# taz.de -- Hamburger Szene von Kristof Botka: Die Lederjacke und die Geschicht… | |
Wenig stört den Hamburger am Sonntagnachmittag, wenn er sich mit der U-Bahn | |
durch die Stadt fahren lässt. Der Lärm der Woche verflogen, die Hektik des | |
Alltags aus den Gesichtern gewichen. Kein Gedränge mehr. Zwischen | |
Ausflüglern und Langschläfern auf dem Weg zum Brunch findet sich immer ein | |
Platz. Ausruhen, Luft holen. | |
Doch dann steht er plötzlich in der Tür. Der Zahnarztsohn. Lederjacke, | |
weißes Hemd drunter, enge Jeans, die Haare stilecht nach hinten gekämmt. Er | |
setzt sich mir gegenüber, ist allein unterwegs. Das friedliche Surren der | |
Bahn durchbricht er trotzdem. Gut gelaunt, aber vor allem ungebremst | |
beginnt er seinem Kumpel am Telefon die Verläufe der letzten Nacht zu | |
skizzieren: „Pass auf, die ersten haben wir schon in der Bahn angelabert. | |
Münchnerinnen. Hab dir die Bilder ja geschickt.“ | |
Da fällt mir ein, dass ich meiner Nichte versprochen hatte, die Bilder vom | |
Zoobesuch gestern zu schicken. | |
Das Schlimme am Bahnfahren ist ja, dass man ab und an auch Gesprächen | |
lauscht, denen man eigentlich gar nicht lauschen möchte. Oder eben | |
Telefonaten. Wie das Essen bei Verwandten – oft nicht lecker und doch | |
unumgänglich. Die detailreiche Erzählung nimmt ihren Lauf: „Ja die | |
Münchnerinnen waren aber nur so halb geil, deswegen sind wir weiter gezogen | |
in einen Club und hey, nach fünf Minuten hatte ich gleich die Nächste am | |
Start.“ | |
Der junge Lebemann fährt sich zufrieden durch die Haare. Nach fünf Minuten, | |
denke ich, bin ich im Supermarkt meistens noch in der Gemüseabteilung. Das | |
Surren der U-Bahn wird immer ungemütlicher, die Luft immer dicker. Ich hab | |
Bauchweh. Doch meine Station ist zum Glück nicht mehr weit. Dann holt er | |
zur finalen Wendung der Nacht aus: „Am Ende bin ich doch bei Lisa gelandet. | |
Obwohl ich ja eigentlich gar nicht mehr so Bock auf die hab. Bin jetzt auch | |
einfach da abgehauen.“ | |
Die Bahn hält. Die Tür geht auf, ich trete heraus. Hier ist die Luft | |
irgendwie leichter. Die U-Bahn fährt weiter, mit ihr die Lederjacke und | |
ihre Geschichte der vergangenen Nacht. Da ist er wieder, der ungestörte | |
Sonntagnachmittag. | |
Obwohl – die alten Vasen auf dem Balkon, fällt mir ein. Die wollte ich | |
heute noch verschrotten. | |
11 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Kristof Botka | |
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