# taz.de -- „Wer sich frei machen kann, geht baden“ | |
> Ausgeliefert Wer ins Schwimmbad geht, der lässt die Hülle fallen. Das | |
> gefällt nur jenen Menschen, die sich gern präsentieren oder denen es | |
> schlicht egal ist, sagt Sozialpsychologin Gisela Steins | |
Interview Kristof Botka | |
taz: Frau Steins, trifft man beim Schwimmbad-Besuch auf ein besonders | |
soziales Gefüge? | |
Gisela Steins: Was sich auf den ersten Blick verändert, ist die Darstellung | |
des Körpers. Der kann jetzt nicht mehr verhüllt oder durch Kleidung perfekt | |
gestaltet werden. Kleider repräsentieren ja ein bestimmtes soziales Symbol. | |
Wenn Sie wissen, in Kontext A lacht man über Ihren Bauch, dann ziehen Sie | |
sich anders an als in Kontext B. Im Schwimmbad haben Sie nur noch sehr | |
begrenzte Symbole zur Verfügung. Die Schutzstrategie entfällt. Personen, | |
die sich symbolisch mit Kleidung repräsentiert, können das nicht mehr im | |
Schwimmbad. | |
Verhalten sich die Menschen deshalb auch ganz anders? | |
Das hängt stark von den Standards der Gruppe ab. Gerade Heranwachsende, bis | |
Ende 20, vergleichen sich noch sehr stark. Sie schauen nach den Hierarchien | |
in der Gruppe und fragen sich oft noch, wer sie überhaupt sind. In unserer | |
Gesellschaft gibt es sehr strenge Vorstellungen davon, was ein schöner | |
Körper ist. Deswegen wird es, gerade in einer Gruppe, in der dieser | |
Standard nicht kritisch reflektiert wird, ganz andere Emotionen geben, wenn | |
man den Körper enthüllen muss. | |
Wie wirkt sich das aus? | |
Durch Beschämtheit, wenn man glaubt, diesem Standard nicht zu genügen. Aber | |
auch durch gesteigertes Selbstbewusstsein, wenn man diesen Standards sehr | |
wohl genügt. | |
Ist das Schwimmbad auch der Ort, wo Selbstbewusstsein schneller in | |
Aggression umschlägt? | |
Ich glaube das betrifft einzelne Schwimmbäder mit einem bestimmten | |
Publikum. Das Schwimmbad kann natürlich schon eine Art Bühne sein, wie | |
andere öffentliche Räume aber auch. Schlägereien oder andere Ausfälle | |
finden Sie im Sommer auch anderswo. Im Schwimmbad stellen eben gerade junge | |
Männer ihre muskulösen Körper zur Schau. Für Frauen dagegen ist das Bad | |
eher keine beliebte Bühne. | |
Inwiefern? | |
In der Gesellschaft existieren viel strengere Vorstellungen davon, was eine | |
schöne Frau ist. Diese Standards zu erfüllen, ist für sie ungleich | |
schwerer. Wenn Frauen sich körperlich öffentlich präsentieren, kann das | |
zudem sehr missverständlich interpretiert werden, im Sinne einer Anmache. | |
Hier existiert in der Gesellschaft sicher noch ein Doppelstandard. | |
Wer seine Identität stark über den eigenen Körper definiert, verhält sich | |
also entsprechend? | |
Ja, aber das ist kein Spezifikum des Körpers. Wenn Menschen aufgrund eines | |
bestimmten Merkmals übermäßig stolz auf sich sind, dann besteht immer die | |
Gefahr, dass sie sich in ihrer Werte-Hierarchie nach oben katapultieren und | |
andere aus ihrer Sicht unterlegen sind. Wenn man das ohne Konsequenzen | |
zeigen kann, dann endet das schnell in abwertendem Verhalten. Es macht | |
einen Unterschied, ob ich nur weiß, dass ich viele Muskeln habe, oder auch | |
denke, deswegen ein toller Hecht zu sein. | |
Und wenn ich eben kein toller Hecht bin? | |
Die Kehrseite zeigt das gegenteilige Gefühl. In dem Moment, wo ich meinen | |
Körper nicht mehr zur Schau stellen kann, weil ich diese Merkmale nicht | |
oder nicht mehr vorweisen kann, fühle ich mich miserabel. Der schöne Körper | |
ist eines der wichtigsten Identitätsmerkmale. Das ist, ganz unabhängig vom | |
Schwimmbadkontext, eine generelle Gefahr in unserer Gesellschaft. In ihr | |
sehen sich heute viele junge Menschen gefangen. Auch das führt | |
normalerweise zu antisozialem Verhalten. | |
Und dazu, dass viele das Freibad meiden? | |
Ja, auf jeden Fall. Im Schwimmbad tritt das noch mal verschärft zu Tage. | |
Sie geben eben relativ viel ab, in der Umkleidekabine. Und man ist nicht | |
immer im Wasser, sondern auch auf dem Weg dorthin oder auf der Liegewiese. | |
Der durchschnittliche übergewichtige Mensch wird wissen, dass er einem | |
bestimmten Standard nicht genügt. Nur wenn man sich davon frei machen kann, | |
geht man trotzdem schwimmen. Umso toller finde ich es deshalb, wenn | |
Menschen zu ihrem Körper stehen und, egal wie sie aussehen, ins Freibad | |
gehen. Eigentlich hat das Freibad das Potenzial zu einer gesellschaftlichen | |
Bühne, auf der jeder frei ist und zu sich stehen kann. Nur genutzt wird | |
dieses Potenzial meist nicht. | |
Liegt es also am Drumherum? | |
Ja, das Becken bietet umgekehrt tolle Möglichkeiten. Wasser ist ein | |
Element, in dem Sie sich theoretisch, egal welchen Körper Sie haben, super | |
bewegen und richtig gut fühlen können. Da kann man den Körper sehr positiv | |
erleben. Vielen übergewichtigen Kindern macht Schwimmen deshalb wahnsinnig | |
Spaß. | |
Lebt das negative Körpergefühl immer davon, dass die Anderen besser | |
aussehen? | |
Nicht nur, aber die soziale Komponente ist sehr stark. Allerdings in beide | |
Richtungen. Es tut sehr gut, wenn wohlwollende Blicke auf einem ruhen. Aus | |
der Forschung zu adipösen Kindern wissen wir, dass sich die Betroffenen in | |
ihrer Familie oft total wohl und geschützt fühlen, weil sie dort akzeptiert | |
werden. Das ändert sich, wenn sie in den öffentlichen Raum gehen, wie eben | |
ins Schwimmbad. Das Ziel von Therapien ist deshalb auch, eine unabhängige | |
Selbsteinschätzung zu erreichen, damit man sich davon frei machen kann. Das | |
ist aber oft ein lebenslanger Prozess, von Jugendlichen kann man das kaum | |
erwarten. | |
Schon gar nicht im Badezeug. | |
Richtig. Das Schwimmbad ist nur für Menschen ein Vergnügen, die sich | |
entweder gerne präsentieren oder denen es schlicht egal ist. | |
15 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Kristof Botka | |
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