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# taz.de -- Späte Anklage in der Türkei
> Justiz Die junge alleinerziehende Mutter wollte selbstbestimmt leben: Gut
> zehn Jahre nach dem Mord an Hatun Sürücü in Berlin klagt die türkische
> Justiz zwei Brüder an
Bild: Hatun Sürücü mit ihrem Sohn im Dezember 1999
von Astrid Geisler
BERLIN dpa/taz | Der Bruder muss sich sehr sicher gefühlt haben, als er vor
gut einem Jahr ein Kamerateam in seine Istanbuler Wohnung ließ. Mutlu
Sürücü, ein freier Mann, trotz internationalen Haftbefehls: „Hass war schon
da, auf jeden Fall“, sagte er den rbb-Reportern. Seine 2005 ermordete
Schwester Hatun habe schließlich den falschen „Lebenswandel“ gepflegt und
„Unzucht“ verübt. Nur eines bestreitet der Mann im Interview mit den
deutschen Journalisten: seinem jüngsten Bruder die Mordwaffe besorgt zu
haben.
Nun allerdings ist Mutlu Sürücü in der Türkei gemeinsam mit einem weiteren
Bruder doch noch wegen des Mordes an ihrer Schwester Hatun Sürücü angeklagt
worden – rund zehn Jahre nachdem die 23 Jahre alte alleinerziehende Mutter
nach drei Schüssen in den Kopf an einer Bushaltestelle in Berlin starb. Zu
dem Mord hatte sich ihr jüngster Bruder bekannt. Er wurde dafür zu einer
Haftstrafe verurteilt, die er inzwischen abgesessen hat. Die mutmaßliche
Tatbeteiligung zweier weiterer Brüder blieb jedoch bisher juristisch für
diese folgenlos.
Das könnte sich nun ändern. Berlins Justizsenator Thomas Heilmann sei vom
Bundesamt für Justiz über den Schritt der türkischen Behörden informiert
worden, sagte seine Sprecherin Claudia Engfeld und bestätigte damit einen
Medienbericht. Demnach erhob die Generalstaatsanwaltschaft Istanbul am 10.
März Anklage vor dem 10. Schwurgericht der Stadt wegen Mordes zum Nachteil
eines Familienangehörigen. Wann der Prozess beginnt, ist noch unklar.
„Dass nun in der Türkei Anklage erhoben wurde, ist ein wichtiges Signal:
Man kann sich durch Flucht nicht der Strafverfolgung entziehen“, sagte der
CDU-Politiker Heilmann. Auch Renate Künast, Vorsitzende des
Rechtsausschusses im Bundestag, sprach von einer „lang ersehnten
Nachricht“. Die Anklage sei nicht nur ein Zeichen des Respekts vor der
Selbstbestimmung von Frauen, sagte die Grünen-Abgeordnete. „Tätern in
Deutschland wird jetzt auch die Botschaft gesandt, dass sie sich dem
Strafverfahren nicht entziehen können, indem sie sich in die Türkei
absetzen.“
Hatun Sürücü war am 7. Februar 2005 in Berlin von ihrem jüngsten Bruder
erschossen worden, weil die Familie den westlichen Lebensstil der jungen
Frau abgelehnt hatte. Die junge Mutter hatte sich nach einer Zwangsehe von
ihrem ersten Mann getrennt, das Kopftuch abgelegt und ihren Sohn in Berlin
allein aufgezogen.
Der sogenannte „Ehrenmord“ an Hatun Sürücü hatte eine bundesweite Debatte
über Integration und Parallelgesellschaften ausgelöst. Der Todesschütze
wurde im Sommer 2014 nach verbüßter Haft nach Istanbul abgeschoben. Seine
Brüder nahm er stets in Schutz und versicherte, die Tat alleine geplant und
verübt zu haben. Seine jetzt angeklagten Brüder waren dennoch seit Jahren
international zur Fahndung ausgeschrieben, nachdem sie sich in die Türkei
abgesetzt hatten.
Beide waren 2006 in einem ersten Prozess in Berlin aus Mangel an Beweisen
freigesprochen worden. Der Bundesgerichtshof hob die Freisprüche 2007 auf.
Zu einem neuen Verfahren kam es aber wegen ihrer Flucht nicht mehr. Die
türkische Seite leitete 2013 ein eigenes Strafverfahren gegen die beiden
Männer ein.
27 Jul 2015
## AUTOREN
Astrid Geisler
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