# taz.de -- Regenbogenfarben aus Mexiko | |
> AUSSTELLUNG Die mexikanische Künstlerin Rurru Mipanochia zeigt im | |
> Projektraum 404 grafische Arbeiten, die mit Sexualität, Geschlecht und | |
> Identität experimentieren | |
Bild: Verglichen mit anderen Arbeiten von Rurru Mipanochia geht es hier recht z… | |
von Nele Wagner | |
Die bunten Haare sehen zunächst glatt ein wenig kitschig aus. In bunten | |
Regenbogenfarben gemalt, wallen sie aus dem Mund zurück in den Mund, | |
fließen und schwingen. Aber wenn die junge mexikanischer Künstlerin Rurru | |
Mipanochia erzählt, dass die bunten Haare von uralten Darstellungen einer | |
mesoamerikanischen Gottheit inspiriert sind, tut sich da eine andere Ebene | |
auf, verändert sich der Blick. Diese Ebene zieht sich durch alle Bilder | |
ihrer Ausstellung im Projektraum 404. | |
Gottheiten der Sexualität und der Lust, der Geburt und des Kampfes, der | |
Seen und der Flüsse, wie sie von Mayas, Azteken und Hueztaken vor der | |
Kolonialisierung verehrt und in Ritualen gefeiert wurden, hat Mipanochia | |
recherchiert. Vor allem ethnologische Studien habe sie gelesen und Bilder | |
von Ritualen und Gottheiten studiert. Weil diese für sie als Zeichnerin | |
ansprechender seien als skulpturale Darstellungen. Ihre Bilder zeigen | |
allerdings Eigeninterpretationen, keine Nachbildungen der für sie zentralen | |
Symbole. Die Künstlerin verarbeitet in ihnen ebenso Pop- wie | |
Trash-Elemente. Für die Körper, die ein weiteres wesentliches Element ihrer | |
Bilder sind, standen keine Gottheiten, sondern FreundInnen und Bekannte | |
Modell. Manchmal habe sie sich auch an PornodarstellerInnen orientiert, so | |
Mipanochia. | |
Ein großer, nackter Körper mit einem runden, etwas faltigen Bauch, vollen | |
Brüsten, prallen Beinen, gekleidet in schwarz-weiß gestreifte Kniestrümpfe, | |
sitzt breitbeinig auf dem Boden, rechter Unterarm und rechter Unterschenkel | |
wurden offenbar amputiert. Das behaarte Geschlecht zeigt sowohl Penis als | |
auch Vagina. Auf der Haut zwischen den Beinen, im Bauch- und Brustbereich | |
befinden sich kleine, runde Stellen, die an Pickel oder Warzen erinnern. | |
Die Arme sind mit kleinen Strichen versehen, die Haare sein könnten. Das | |
Gesicht bildet eine große, farbige Maske: Ein großer, lächelnder Mund, | |
mehrere Augen, eine Hand ist eingearbeitet, abstrakte Formen, die eine Art | |
Kopfschmuck bilden. Der Körper der Figur ist schwarz-weiß, die Maske mit | |
Schwarz und fluoreszierenden Pastellfarben gestaltet. | |
Kraftvoll, wuchtig und zugleich weich wirkt die Gestalt. Durch die | |
archetypische Maske wird die Person abstrakt, fast übermenschlich. Nicht | |
trotz, sondern gerade wegen des entblößten Geschlechts ist die Figur nicht | |
eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen. Die fehlenden Gliedmaßen fallen | |
hingegen kaum auf. Der gestreifte Kniestrumpf hängt nicht lose herab, | |
sondern sitzt angepasst hautnah am kürzeren Bein. Der Arm verschwindet fast | |
hinter dem Körper. So erinnert das Bild eher an sogenannte Venusfiguren, | |
die nackt oder halbnackt sind. Bauch, Brüste und Hüfte sind akzentuiert. | |
Ihre Glieder sind abgebrochen oder waren ohnehin bedeutungslos, als hätten | |
sie nie zur Figur gehört. Die Hautunreinheiten und Körperbehaarungen sind | |
ein wiederkehrendes Element und geben den Körpern zusätzlich Struktur. | |
Wie ein Triptychon wirkt die Arbeit „Zots“. Aus der Sprache der Maya | |
übersetzt, bedeutet das Fledermaus. Das Bild ist angelehnt an eine | |
mexikanische Legende, die von der Entstehung der Menstruation erzählt. Eine | |
Fledermaus, geboren aus dem Samen eines Gottes, biss die Göttin der Blumen | |
und der Liebe in ihre Genitalien. Diese begann zu bluten – der Anfang der | |
Menstruation. Die Fledermaus wiederum brachte das herausgebissene Stück den | |
Göttern, die es wuschen. Später wuchsen Blumen daraus. | |
Das Bild enthält all diese Elemente. Im linken Bildteil sitzt ein Mann mit | |
einer archetypischen Maske. Besonders auffällig ist sein großer, erigierter | |
grüner Penis, aus dem pinkfarbene Spermien spritzen. Im Zentrum des Bildes | |
liegt eine fast völlig unbekleidete Frau, mit wallenden, langen Haaren in | |
Regenbogenfarben. Ihre Augen sind gelb, der Blick wirkt dämonisch. An ihrer | |
pinkfarbenen Vulva nagt eine Fledermaus. Weitere Fledermäuse mit bunt | |
gefärbten Flügeln umgeben sie. Große, schwarz-weiße Blumen im Jugendstil | |
ranken sich vor allem um die Bildmitte. Der Fruchtbarkeit der Menstruation | |
wird hier ein kreatives, schöpferisches Potenzial zugesprochen, das über | |
die Reproduktion hinausgeht. | |
Die eigene Deutung von und Auseinandersetzung mit Sexualität, | |
Geschlechtsidentität und Schönheit scheinen elementare Beweggründe der | |
Arbeiten von Mipanochia zu sein. Die Arbeiten sind Teile eines | |
Findungsprozesses. „Meine Bilder“, so Manipochia, „sind immer auch | |
Selbstporträts.“ Es sind spielerische Kompositionen, in denen sie mit den | |
Kräften von Sexualität und Göttlichkeit, Schönheit, Lust und Körper | |
experimentiert. | |
Um zu ihren eigenen Bilder von Sexualität zu finden, bezieht sich die | |
Künstlerin auf ihre Wurzeln. Und verbindet diese mit modernen, | |
emanzipatorischen Elementen, mit der Lust, den eigenen Körper zu | |
inszenieren, zu gestalten und auszuprobieren. Es ist allerdings auffällig, | |
dass die kraftvolle Inszenierung von Sexualität nicht auch begleitet wird | |
von Verletzlichkeit, Scham oder Unsicherheit. Die Figuren sind zwar | |
verletzt, sehen aber nicht verletzlich aus. Was allerdings den Reiz der | |
experimentellen Auseinandersetzung nur geringfügig schmälert. | |
Bis zum 23. August, Projektraum 404, Hegelstraße 38, Donnerstag und | |
Freitag von 16 bis 19 Uhr, am Wochenende von 14 bis 17 Uhr. | |
Im Rahmen der Ausstellung findet am heutigen Samstagabend, 19 Uhr, eine | |
Performance von Darkam Arcadia und Kukulcan Rituals statt. | |
25 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Nele Wagner | |
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