| # taz.de -- Ein langer Weg | |
| > PROTESTGESCHICHTE Seit Jahren protestieren Roma für ein Bleiberecht. 1989 | |
| > und 1993 besetzten einige dafür die KZ-Gedenkstätte Neuengamme | |
| Die Vorgeschichte der aktuellen Proteste ist lang. Einige Organisatoren der | |
| gegenwärtigen Streiks demonstrierten schon zur Zeit der Wende und waren vor | |
| 25 Jahren bei der Besetzung der KZ-Gedenkstätte Neuengammes dabei. Schon | |
| damals, im Februar 1989, ging es den AktivistInnen darum, gegen drohende | |
| Abschiebungen nach Jugoslawien zu protestieren. Ins KZ Neuengamme und auch | |
| in die vielen Außenlager wurden während des Nationalsozialismus etwa 500 | |
| Sinti und Roma, Männer und Frauen, verschleppt. Darunter der berühmte | |
| Profiboxer Johann Trollmann. Dass Roma in ihren südosteuropäischen | |
| Herkunftsländern auch danach weiterhin rassistisch diskriminiert und | |
| verfolgt wurden, war für die Bundesrepublik auch 1989 kein Grund, Asyl zu | |
| gewähren. | |
| Zu der Besetzung aufgerufen hatte die 1975 gegründet Hamburger Rom & Cinti | |
| Union (RCU), die sich in Abgrenzung zum Zentralrat der Sinti und Roma stark | |
| für ein Bleiberecht der Roma aus Südosteuropa einsetzte. Rudko Kawczynski, | |
| der Vorsitzende der RCU, formulierte damals provokant: „Ein KZ ist offenbar | |
| der einzige Ort, wo Zigeuner heute willkommen sind.“ Auf Bannern in der | |
| Gedenkstätte hieß es: „In Auschwitz vergast – bis heute verfolgt“ und: | |
| „Keine Abschiebung! Recht auf Asyl!“. 20 Männer waren für dieses Ziel in | |
| einen unbefristeten Hungerstreik getreten, Bilder von Aktionen wie der | |
| öffentlichen Verbrennung von Ausweispapieren schafften es weltweit in die | |
| Presse. Eine erneute, mehrwöchige Besetzung eines Teils des Geländes wurde | |
| am 2. Oktober 1989 schließlich von der Polizei beendet. | |
| Die Anliegen der beteiligten AktivistInnen und Gruppen waren dabei durchaus | |
| unterschiedlich, was auch zu Konflikten führte: In nichtöffentlichen | |
| Gesprächen hatte Kawczynski mit dem damaligen Hamburger Innensenator | |
| Werner Hackmann (SPD) ein Bleiberecht für 1.500 Roma ausgehandelt. Linke | |
| UnterstützerInnen kritisierten, es solle weitergekämpft und nicht | |
| eingelenkt werden. Kawczynski hingegen erklärte, er habe „nicht den großen | |
| ideologischen Sieg“ davontragen, sondern „den Menschen ein Bleiberecht | |
| besorgen“ wollen. Als er von den Grünen 1989 zum Spitzenkandidaten für die | |
| Europawahl nominiert wurde, warf ihm wiederrum der Zentralrat der Sinti und | |
| Roma vor, die staatenlosen Roma „für eigene spektakuläre Auftritte“ zu | |
| instrumentalisieren. Politisches Asyl sei nicht die Lösung der Probleme der | |
| Roma. | |
| In jedem Fall hatten die Aktionen in Neuengamme eine Wirkung im deutschen | |
| Erinnerungsdiskurs: Sie provozierten unweigerlich die Frage, wem die Orte | |
| der Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen „gehören“. In | |
| einer Pressemitteilung hieß es damals vom Hamburger Senat: „Die Initiatoren | |
| dieser Besetzung versuchen, die kollektive Scham der Deutschen für ihre | |
| PR-Zwecke zu missbrauchen.“ Kawczynski sprach seinerseits der Stadt | |
| Hamburg ein Recht auf den historischen Ort ab: „Das Hausrecht gehört den | |
| Opfern.“ | |
| Das Operieren mit „Erinnerung“ durch die Roma-AktivistInnen funktionierte | |
| dabei wie eine Art öffentliche Gegeninszenierung, es war ein Ringen um | |
| Diskurshegemonie mit der Mehrheitsgesellschaft: Der Genozid an den Sinti | |
| und Roma war in der öffentlichen Gedenkkultur der Bundesrepublik bis in die | |
| 1990er-Jahre kaum präsent. Noch elf Jahre nach Ende des Nationalsozialismus | |
| hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Verfolgung und | |
| Vernichtung der Sinti und Roma durch die Nationalsozialisten nicht | |
| „rassenideologisch“ begründet, sondern durch die „asozialen Eigenschaften | |
| der Zigeuner“ motiviert gewesen sei – ein Urteil, das von Gerichten in den | |
| Jahren darauf immer wieder bestätigt wurde. Erst 1982 hatte die | |
| Bundesrepublik die Verfolgung und Vernichtung durch die Nationalsozialisten | |
| als Völkermord anerkannt. Entschädigungszahlungen haben Roma bis heute | |
| allerdings in den seltensten Fällen erhalten. | |
| Die Aneignung von Gedächtnisorten von seiten der Roma war dabei auch 1989 | |
| nichts Neues. Bereits zehn Jahre zuvor hatte man mit einer internationalen | |
| Gedenkkundgebung im ehemaligen KZ Bergen-Belsen unter dem Motto „In | |
| Auschwitz vergast, bis heute verfolgt“ auf die eigene Situation aufmerksam | |
| gemacht, 1980 wurde ein Hungerstreik in der Gedenkstätte Dachau | |
| organisiert. Rudko Kawczynski hatte 1986 Hamburgs Bürgermeister Klaus von | |
| Dohnanyi (SPD) nach einer Demonstration auf dem Rathausmarkt eine | |
| Deklaration überreicht, die auf die „besonderen historischen Verpflichtung“ | |
| Deutschland verwies und forderte, die von den Nazis verfolgten Sinti und | |
| Roma „endlich menschlich zu behandeln“. | |
| Zu einer erneuten erinnerungspolitisch ausgetragenen Konfrontation kam es | |
| 1993, als die KZ-Gedenkstätte Neuengamme vor dem Hintergrund mehrerer | |
| Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte erneut besetzt werden sollte. Weil | |
| Hundertschaften der Polizei das Gelände belagerten, kam es zu | |
| Auseinandersetzungen, als Roma versuchten, dennoch darauf zu gelangen. | |
| Kawczynski setzte sich in den Jahren danach weiter für die Roma ein, wurde | |
| Mitglied der Grünen-Fraktion im Europa-Parlament und gründete mit anderen | |
| das „European Roma and Traveler Forum“. An einem Bleiberecht für Roma in | |
| Deutschland aber hat sich bis heute wenig getan.Jean-Philipp Baeck und | |
| Kathrin Herold | |
| 18 Jul 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Jean-Philipp Baeck | |
| Kathrin Herold | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |