Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Lesen statt Wischen
> Ausstellung Bei „Photo-Poetics“ in der Deutsche Bank KunstHalle stehen
> zehn Künstler für eine neue Strömung in der Fotografie: postdigitale
> Konzeptkunst. Kuratiert wurde das von der Guggenheim Foundation
Bild: Erica Baums „Jaws“ (2008) aus der Serie „Naked Eye“
von Jan Russezki
Überall sind Fotos. Ob in sozialen Netzwerken, der Werbung oder auf dem
Cover des Lieblingsmagazins: Die Bilder werden flüchtig überflogen, auf dem
Smartphone weggewischt und vergessen, als wären sie nie präsent gewesen.
Jetzt zeigt die Deutsche Bank KunstHalle die Ausstellung „Photo-Poetics:
Eine Anthologie“, die dazu auffordert, fotografische Werke zu lesen, statt
sie nur zu überfliegen.
Die zehn internationalen Künstler der Gruppenausstellung dokumentieren eine
neue Strömung in der zeitgenössischen Fotografie, die als postdigitale
Konzeptkunst bezeichnet werden könnte. Mit ihren in Studios entstandenen
Stillleben erzählen die Künstlerinnen – Elad Lassry ist der einzige
Künstler in der Schau − von der Tradition, Magie und Materialität der
Fotografie. Sie lassen aussterbende Fototechniken wiedererstehen und
untersuchen darüber die Gesetze des Mediums und Fragen von Repräsentation
und Reproduktion.
Die Ausstellung wurde von der New Yorker Solomon R. Guggenheim Foundation
organisiert, von Jennifer Blessing und ihrer Assistenz Susan Thompson
kuratiert. Blessing ordnete die Ausstellung und den dazugehörigen Katalog
als Anthologie. Die Einzelräume, die jede Künstlerin hat, helfen,
unterschiedliche Positionen zu ähnlichen Themen zu zeigen.
Im Raum von Claudia Angelmaier springen einem zwölf Hasen ins Auge. Oder
besser: ein ganz bestimmter Hase. Der von Albrecht Dürer. Angelmaier hat
zwölf Kunstbücher mit diesem Motiv aufgeschlagen, sie zusammen fotografiert
und als großes Bild gedruckt. Die Arbeit aus der Serie „Pflanzen und Tiere“
(2004) trägt den Titel „Hase“. Die Abbildungen unterscheiden sich in Farbe,
Auflösung und Maßstab, was das Interesse am Original weckt. Angelmaier
setzt Reproduktion und Rezeption von Kunst miteinander in Verbindung. Werke
der Malerei wie Dürers Aquarell „Hase“ werden häufig analog in Büchern u…
digital im Internet betrachtet. Nur über Reproduktionen kann man sich über
(öffentlich oft nicht zugängliche) Kunstwerke informieren. Das Original
rückt dabei in den Hintergrund.
Diesen Gedanken unterstreicht eine weiß leuchtende Fläche an der
gegenüberliegenden Wand. An ihren Rändern sind ein Barcode, Copyright und
ein feiner horizontaler Schriftzug in der Bildmitte zu sehen. Tritt man
näher, dann erkennt man, dass es sich um die unbeschriebene Rückseite einer
riesigen Postkarte handelt, die von hinten beleuchtet wird. Die
Vorderseite, die durch den Karton ganz leicht hindurchschimmert, zeigt
Gerhard Richters „Betty“. Die Leuchtkasten-Reproduktion bezieht sich nun
ganz direkt auf die vorangegangene Reproduktion als Postkarte und spielt
mit der Verfälschung des Formats des Originals, das in der Postkarte auf
handliche Größe schrumpft, während es in der Projektion überlebensgroß
werden kann.
Für ihre Fotoserie „Naked Eye“ blättert Erica Baum in gefundenen, billigen
Paperbacks wie True Crime Stories oder Biografien von Persönlichkeiten der
Populärkultur. Allerdings schlägt sie die Seiten nicht richtig auf, und so
verstellt der orangefarbene oder grüne Schnitt der Seitenkanten den Blick
auf den Inhalt. Texte und Bilder werden in die Abstraktion vertikaler
Streifen fragmentiert. Bei „Jaws“ etwa handelt es sich um die Fotografie
eines leicht aufgeblätterten und beschädigten Sachbuchs zum gleichnamigen
Film. Auf einer Seite ist ein Schauspieler in einer Schwarz-Weiß-Szene des
Films abgebildet. Auf einer anderen werden die Enden der Textzeilen
sichtbar. Der türkise Schnitt der vergilbten Seiten bringt eine frische
Farbe in das Bild, das auf den ersten Blick wie eine Collage wirkt, wobei
man meint, in den Zeilenenden vielleicht ein Gedicht lesen zu können. Pure
fotografische Fiktion und Abstraktion.
Weitere Perspektiven zur modernen Drucksache Bild als einem durch das Netz
gefährdetem Relikt des 20. Jahrhunderts zeigen Elad Lassry, Anne Collier,
Leslie Hewitt, Sara VanDerBeek, Lisa Oppenheim, Moyra Davey, Kathrin
Sonntag und Erin Shirreff mit dem Mittel der Diaprojektion, des Videos, der
Fotoinstallation und Fotoskulptur. Jede Position ist es wert, studiert und
nicht nur überflogen zu werden.
Bis 30. August, Deutsche Bank KunstHalle, Unter den Linden 13–15, tägl.
10–20 Uhr. Katalog (englisch/deutsch) 29 Euro
14 Jul 2015
## AUTOREN
Jan Russezki
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.