# taz.de -- EMPOWERMENT Das „Roma Center Göttingen“ setzt den Erzählungen… | |
Bild: Roma-Proteste in Hamburg: Isen Asanovski, einer der Organisatoren, fährt… | |
Interview Katharina Schipkowski | |
taz: Herr Emini, das Roma Center Göttingen bezeichnet sich als | |
selbstorganisiert. Was bedeutet das? | |
Kenan Emini: Dass wir uns zusammentun und uns gegenseitig fördern, damit | |
gehört wird, was wir sagen. Und dass wir die Bilder, die von uns bestehen, | |
korrigieren und eigene machen. Historisch betrachtet hatten Roma keine | |
Stimme. Und nicht das Recht, ihre Meinung zu sagen. Die Weißen meinten oft, | |
die Geschichte der Roma besser zu kennen. Und das ist noch heute so: Es | |
gibt Experten, die theoretisch über Roma sprechen – und manchmal damit | |
Antiziganismus noch reproduzieren. Praktisch wissen die nicht, was ein Rom | |
ist oder wie er lebt. Was auch pauschal nicht leicht festzulegen ist, wir | |
haben nicht die eine gemeinsame Identität. | |
Haben Sie eine Antwort darauf – was bedeutet es, ein Rom zu sein? | |
Das ist schwierig – jeder hat seine eigenen Erfahrungen. Es sind immer | |
negative Erfahrungen dabei. Fast alle erfahren Diskriminierung, ob in der | |
Schule, in der Arbeit, oder woanders in der Gesellschaft. Zum Beispiel in | |
Serbien gibt es auch andere Minderheiten, Kroaten, Bosnier, aber das sind | |
alles Weiße. Und dann gibt es Roma – die sind total erkennbar. Hier ist das | |
anders: Man weiß nicht ob ich Rom, Spanier oder Perser bin. Wir genießen | |
diese scheinbare Freiheit hier, obwohl wir hier auch nicht gerade | |
diskriminierungsunerfahren bleiben. Und dann gibt es die Medien, die | |
Projekte machen, so wie Sie. Aber anstatt uns zu helfen, reproduzieren sie | |
– vielleicht unbewusst – Stereotypen. | |
Wer ist im Roma Center organisiert? | |
Der Verein wurde von Roma gegründet, wir arbeiten auch mit vielen Deutschen | |
zusammen. Aber im Prinzip ist es so: Wir haben kein Land. Du läufst durch | |
die Stadt und du siehst kein Haus, das einem Roma gehört. Du kannst | |
kilometerweit fahren und wirst nichts finden. | |
Haben Roma eine kleinere Lobby als andere Flüchtlingsgruppen? | |
Es gibt kein Interesse daran. Es gibt größere Probleme, zum Beispiel im | |
Mittelmeer oder in Syrien. Das ist wichtig und hier supporte ich auch. Was | |
Roma betrifft, haben die Medien auch viel dazu beigetragen, dass das so | |
ist. Sie reden von „Wirtschaftsflüchtlingen“, Roma bräuchten kein Asyl. | |
Aber es gibt ja auch Leute, die gegen die deutsche Asylpolitik kämpfen. | |
Wenn uns das betrifft, sind die auch da. Aber das sind sehr wenige. Wir | |
haben zur Zeit häufig Sammelabschiebungen. Da kommen dann auch Supporter. | |
Aber nicht so viele, wie gewünscht. | |
Woran liegt das? | |
Die Regierung hat viel dazu beigetragen und die Medien auch. Wenn Roma aus | |
Serbien und Mazedonien nach Deutschland kommen, werden wir in Schubladen | |
gesteckt wie „Asylbetrüger“, „Wirtschaftsflüchtling“. Aber die Leute … | |
nicht, dass diese Roma auch Flüchtlinge sind, die vom Kosovo nach Serbien | |
oder Mazedonien vertrieben wurden. Dort sind sie jahrelang Flüchtlinge | |
geblieben. Mit der Visafreiheit 2009 bekamen sie die Chance, weiterzuziehen | |
und das haben sie gemacht. Wenn sie jetzt abgeschoben werden, landen sie | |
nicht zu Hause, oder ihre Häuser existieren nicht mehr. Sie landen auf der | |
Straße. | |
Was ist das Anliegen des Roma Center Göttingen? | |
Es geht zum Beispiel ums Bleiberecht. In der zweiten Generation sind viele | |
Kinder hier geboren und aufgewachsen. 1991 hat der Krieg in Ex-Jugoslawien | |
angefangen, seitdem gibt es in Deutschland Flüchtlinge aus Kroatien, | |
Serbien, Bosnien und so weiter. Manche leben hier seit über 20 Jahren und | |
sollen dann abgeschoben werden. Nur weil sie Roma sind, kann man mit denen | |
so einfach spielen. Wenn wir eine andere Bevölkerung wären, zum Beispiel | |
Juden – stellen Sie sich vor, man würde das mit den Juden machen. Die ganze | |
Welt würde aufstehen und fragen „Was macht ihr da in Deutschland?“ | |
Roma haben in Deutschland besonders schlechte Asylchancen. | |
Ich kenne keinen Rom, der Asyl bekommen hat. Vor 1995 gab es das, diese | |
Leute haben als Albaner Asyl bekommen, als es noch das Milosevic-Regime | |
gab. Aber als Roma gibt es kein Asyl. Damals, als wir vom Kosovo vertrieben | |
waren, als ganz viele Roma umgebracht und vergewaltigt wurden – da gab es | |
Argumente. Heute gibt es auch welche, aber wenn wir damals schon kein Asyl | |
bekommen haben, wie sollen die Leute dann heute Asyl bekommen? | |
Führen Sie einen aussichtslosen Kampf? | |
Asyl für Roma existiert einfach nicht, weil die Gründe nicht verstanden | |
werden. Wir sind keine Wirtschaftsflüchtlinge, Armut ist ein Produkt von | |
Ausgrenzung. Dabei hat Deutschland eine historische Schuld gegenüber Roma. | |
Es gab aber nie eine Wiedergutmachung. Sofort nach dem Krieg wurden die | |
Leute weiter diskriminiert von den gleichen Leuten, die weiter in den | |
Behörden gearbeitet haben. 2012 war das erste Mal, das Merkel eine Rede | |
gehalten hat und wir ein Denkmal bekommen haben. Es war so viel Kampf | |
nötig. Genauso bis anerkannt wurde, dass am 2. August 1944 3.000 Roma in | |
Auschwitz vergast wurden. Man hat in Bezug auf Roma den | |
Nationalsozialismus vergessen. Aber statt das anzuerkennen, wird in | |
Deutschland in gute und schlechte Flüchtlinge unterteilt. Die schlechten | |
sind dabei immer die Roma. | |
Warum? | |
Wir haben zum Beispiel in Mazedonien recherchiert, wie das mit den sicheren | |
Herkunftsländern kommt. Wir haben recherchiert, wie die da recherchieren. | |
Es läuft so: Deutsche Botschafter besuchen die besten Orte, die besten | |
Projekte. Das ist manipuliert. Alle wissen das, aber sie spielen mit. Die | |
Politiker sagen „Alles hier funktioniert gut“. Das schreiben sie dann in | |
ihre Berichte. Und alle bekommen ein gutes Bild. Für Mazedonien ist das | |
gut, denn sie wollen in die EU. Genauso läuft das in Serbien und auch im | |
Kosovo. | |
Es wird argumentiert, Roma hätten schlechte Bildung, seien schlecht | |
qualifiziert. Woher kommt das? | |
Bildung ist für Roma häufig nicht zugänglich. Viele bekommen auch keinen | |
guten Job, weil sie Roma sind. Dann haben sie schlecht bezahlte Jobs und | |
die Kinder müssen mitarbeiten. Es sind viele Faktoren. Aber ein Flüchtling | |
flieht wegen wirklichen Problemen. Falsche Bilder sollten keine Rolle | |
spielen. | |
Was verbirgt sich hinter der Kampagne „Alle bleiben“, mit der Roma derzeit | |
auf die Straße gehen? | |
Wir vom Roma Center Göttingen haben 2009 die Kampagne gegründet. Dann haben | |
wir andere Initiativen ins Boot geholt und gemeinsam Strukturen aufgebaut: | |
„Was macht man, wenn eine Abschiebung ansteht?“ Wie ist die bundesweite | |
Vernetzung von Roma-Organisationen? Die haben verschiedene Anliegen. „Roma | |
Thüringen“ und „Roma Jekipe ano Hamburg“ sind zum Beispiel Roma, die von | |
Abschiebung bedroht sind. 2012 haben wir den Bundesromaverband gebildet. | |
Dass das notwendig ist, zeigen die vielen Gruppen, die mitmachen. Zur Zeit | |
ist die Vorsitzende eine Frau, die mit ihrer Familie im Alter von 14 Jahren | |
aus dem Kosovo floh und es geschafft hat, mit, oder besser gesagt trotz, | |
Duldung Jura zu studieren. Heute ist sie Rechtsanwältin. Aber sie ist nicht | |
die einzige, im Bundesromaverband sind viele, die ihre Wege gehen und sich | |
gegenseitig unterstützen. | |
Findet die Diskriminierung in Deutschland hauptsächlich auf der | |
asylrechtlichen Ebene statt oder auch viel im Alltag? | |
Diskriminierung findet jeden Tag statt. Zum Beispiel bei der Wohnungssuche: | |
Eine gute Wohnung zu finden ist unmöglich. Auch bei Ärzten zum Beispiel, | |
dass man nicht oder schlecht behandelt wird. Dazu kommt die Schikane vom | |
Amt. | |
Haben Sie auch Erfolge zu verzeichnen? | |
Kleine Erfolge, ja klar. Die Mobilisierung in Hamburg ist in dem Sinn schon | |
ein Erfolg: Die Leute sind motiviert, zu kämpfen, nicht nur für sich, | |
sondern für alle. Die Frage nach Erfolg ist aber schwer zu beantworten. Wir | |
haben kleine und große Ziele, so lässt es sich eher sagen. Die kleinen | |
erreichen wir manchmal, was Bleiberechte angeht oft auch nur auf Zeit. Wir | |
versuchen Strukturen aufzubauen in denen Leute gut zusammenarbeiten. Wenn | |
Sie das als Erfolg bezeichnen ... | |
18 Jul 2015 | |
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