# taz.de -- Bindung Die Mittelschicht wächst. Sie wohnt in Vierteln mit privat… | |
Bild: Die Autos brummen | |
Aus San Salvador Cecibel Romero | |
Wenn Autos ein Gradmesser dafür sind, dass ihre Besitzer nicht mehr arm | |
sind, dann muss die Mittelschicht in El Salvador ziemlich breit sein. Im | |
vergangenen Jahrzehnt wurde in der Hauptstadt eine Stadtautobahn nach der | |
anderen gebaut, in mehreren Ringen und bis zu acht Fahrspuren breit – und | |
trotzdem verkeilt sich der Verkehr zu so gut wie jeder Tageszeit. Vor zehn | |
Jahren waren bei der Zulassungsbehörde knapp 585.000 Fahrzeuge registriert, | |
heute sind es über 850.000. | |
Mehr als 73 Millionen Lateinamerikaner haben nach der Statistik des | |
Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) im vergangenen | |
Jahrzehnt die Armut überwunden und gehören nun zur Mittelschicht, zu der | |
jede Familie gezählt wird, deren Einkommen zwischen 10 und 50 Dollar pro | |
Kopf und Tag liegt. Der tiefe Graben zwischen Arm und Reich schließt sich | |
langsam. Trotzdem ist der Halbkontinent weiterhin die Weltgegend mit den | |
größten sozialen Unterschieden. | |
## Nehmen | |
Internationale Finanzorganisationen wie die Weltbank und die | |
Interamerikanische Entwicklungsbank drängen die Regierungen Zentralamerikas | |
schon seit Jahren zu höheren und effizienter eingetriebenen Steuern. Dann | |
seien diese Länder selbst in der Lage, ihren Bürgern eine akzeptable | |
Gesundheitsversorgung, ein ordentliches Bildungswesen, Infrastruktur und | |
öffentliche Sicherheit zu bieten – ohne Kredite und Finanzhilfe von außen. | |
Die Zentralbank von El Salvador verbuchte 2014 ein Gesamtsteueraufkommen | |
von knapp 4 Milliarden Dollar. Das entspricht gut 16 Prozent des | |
Bruttoinlandprodukts – ein historischer Rekord: In den vergangenen Jahren | |
lag die Staatsquote stets bei nur 14 Prozent, eine der tiefsten in | |
Lateinamerika. Mit so wenig Geld lässt sich kein Sozialstaat aufbauen. Nur | |
Guatemala schneidet mit gerade mal 12 Prozent noch schlechter ab. Die | |
durchschnittliche Staatsquote Lateinamerikas liegt bei 26 Prozent, in | |
Deutschland sind es derzeit 44 Prozent. Über die Hälfte des | |
salvadorianischen Steueraufkommens kommt aus Verbrauchssteuern, allen voran | |
die Mehrwertsteuer von 13 Prozent. Dazu kommen Zölle und ein paar | |
Sondersteuern auf Alkohol, Tabak, Benzin und internationale | |
Telefongespräche. Einkommens- und Gewinnsteuern spielen eine eher | |
untergeordnete Rolle. Diese Staatseinnahmen werden von rund 170 Millionen | |
Dollar bi- und multilateraler Entwicklungshilfe ergänzt. | |
Die Mittelschicht wohnt in eingefriedeten Vierteln mit privaten Wächtern, | |
lässt sich in Privatkliniken behandeln und schickt die Kinder in private | |
Schulen. Nur die Alltagskriminalität lastet auf allen: In El Salvador gibt | |
es kaum einen kleinen Betrieb und kaum ein Ladengeschäft, das nicht von | |
Verbrecherbanden erpresst wird. Wer im Stau steht und die Scheiben seines | |
Autos nicht geschlossen hat, kann schnell in den Lauf einer Pistole | |
blicken. Dutzende von Autos und noch mehr Mobiltelefone, Geldbörsen und | |
Armbanduhren werden bei solchen Überfällen Tag für Tag geraubt. Der Staat | |
hat kein Geld für mehr Polizei. | |
Als 2009 in El Salvador zum ersten Mal die Linke an die Macht kam, | |
versuchte die Regierung immerhin eine kleine Steuerreform. Ein paar | |
Verbrauchssteuern wurden erhöht, das Finanzamt war strikter hinter der | |
Einkommensteuer her. Bis 2014 brachte das dem Staat Mehreinnahmen von 220 | |
Millionen Dollar im Jahr – bei einem Fiskaldefizit von 1 Milliarde. Die | |
Staatsverschuldung stieg in den fünf Jahren der ersten Linksregierung von | |
40,9 auf 59,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). | |
Dabei fließt eigentlich genügend Geld ins Land: Die im Ausland lebenden | |
Salvadorianer überweisen Jahr für Jahr rund 3,5 Milliarden Dollar an ihre | |
Familien zu Hause. Das entspricht 15 Prozent des BIPs. Kein anderes Land | |
der Region erreicht diesen Wert. Doch das Geld wird nicht produktiv | |
investiert. In El Salvador wird eher konsumiert als produziert – und viel | |
von dem, was konsumiert wird, wurde vorher importiert. | |
## Geben | |
Nach einer Statistik des UNDP werden pro 100 Dollar, die im Land | |
erwirtschaftet werden, 102,40 Dollar für den Konsum ausgegeben. El Salvador | |
braucht also ständig Subventionen von außen – sei es durch die Überweisung | |
von Landsleuten im Ausland, sei es durch Entwicklungshilfe. Weltweit haben | |
nur Liberia und Lesoto noch schlechtere Werte. | |
Den Unternehmern aber ist schon jetzt die Steuerlast zu hoch. Sie verlangen | |
einen Rückzug des Staats, selbst aus der Sozialpolitik. „Höhere Steuern | |
würgen nur die Wirtschaft ab“, sagt Fernando Poma, Mitbesitzer eines der | |
größten Firmenkonglomerate des Landes. Die Grupo Poma baut Wohnviertel für | |
die Mittel- und Oberschicht, Hotels und Shoppingmalls und ist der größte | |
Autoimporteur des Landes. 14.000 Neuwagen will allein Poma in diesem Jahr | |
verkaufen. Auch sie werden dann im tagtäglichen Stau stehen. | |
11 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Cecibel Romero | |
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