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# taz.de -- Ein unsichtbarer Faustschlag vor Gericht
> JUSTIZ Freispruch für Nazigegner: Polizeiaussagen nachträglich verändert
> und widersprüchlich
Versuchte Körperverletzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt und
Landfriedensbruch lauteten die Vorwürfe, die am Dienstag vor dem
Amtsgericht Tiergarten verhandelt wurden. Dieser Delikte sollte sich Lars
G. schuldig gemacht haben, während er im Februar vergangenen Jahres gegen
eine Kundgebung der NPD in Neukölln demonstrierte.
Doch der Verdacht konnte nicht erhärtet werden: Videobeweise und
widersprüchliche Aussagen der Polizeizeugen führten zu einem Freispruch.
„Zum Glück hat mein Mandant Einspruch gegen den schriftlichen Strafbefehl
eingelegt“, sagte Anwältin Lea Voigt. In so einem Fall sei es nicht
unwahrscheinlich, dass es Beschuldigte lieber nicht auf eine Verhandlung
ankommen lassen und den Strafbefehl einfach akzeptieren.
## Angeblicher Faustschlag
Schauplatz des Geschehens war eine NPD-Kundgebung am Rathaus Neukölln. Eine
Gruppe Menschen versuchte damals, die Kundgebung zu verhindern, es wurde
laut Polizei Gemüse geworfen und Pyrotechnik gezündet. Die Polizei beendete
daraufhin die NPD-Kundgebung und geleitete die Teilnehmenden weg.
Als es im Anschluss zur Festnahme eines Gegendemonstranten kommt, wird die
Situation wieder unübersichtlich. Zu diesem Zeitpunkt wollen Polizeizeugen
gesehen haben, wie G. den Polizisten W. mit der Faust zu schlagen versuchte
und ihn nur deshalb nicht traf, weil W. sich zufällig zur Seite bewegte. W.
selbst gibt zu Protokoll, davon nichts mitbekommen zu haben. Sein Kollege
M. versuchte damals, Lars G. festzunehmen, dieser habe sich aber
erfolgreich entwinden können und sei in die Schönstedtstraße geflohen.
Dort gelang kurze Zeit später eine Festnahme. Die Aussagen von
verschiedenen Beamt_innen unterscheiden sich hinsichtlich vieler Details.
Im Prozess gibt ein Polizeizeuge zu Protokoll, dass G. bei seiner Festnahme
Widerstand leistete, in seiner schriftlichen Aussage findet sich darüber
nichts. Von Teilen des Geschehens existieren verschiedene Polizeivideos –
ob sie die strittige Situation dokumentieren oder aber einen Zeitpunkt
davor oder danach, bleibt bis zum Ende der Verhandlung unklar. Ein
Faustschlag von G. ist auf den Videos jedenfalls nicht zu sehen.
Die Polizisten machten eine schriftliche Aussage, in der M. angab, einen
Faustschlag beobachtet zu haben. Dass sich das nicht mit den vorliegenden
Videos in Einklang bringen lässt, scheint auch dem ermittelnden Beamten
aufgefallen zu sein: Er vermerkte, dass Abstimmungsbedarf besteht, W. und
M. wurden erneut einbestellt. Ein weiterer Vermerk lautet, alle
Unstimmigkeiten seien nun ausgeräumt worden – wie das gelang, bleibt bis
zum Verhandlungsende unklar. Aber es stellt sich heraus, dass bei dem
Termin der Verdacht einer Körperverletzung im Amt im Raum stand: Auf dem
Video ist nicht eindeutig zu erkennen, ob M. nach G. greift oder ihn
schlägt.
## Besorgniserregender Vorgang
Die nicht auszuräumenden Unklarheiten veranlassen den Staatsanwalt
schließlich, einen Freispruch zu beantragen. Anwältin Voigt äußert Kritik
an dem Ermittlungsvorgehen: Dass die Zeugen durch den Ermittler eingeladen
wurden, um Aussagen passend zu machen, findet sie äußerst problematisch.
Auch der Richter bezeichnet den Vorgang als besorgniserregend, von
willentlich falschen Aussagen will er aber nicht ausgehen. Bei einer
unübersichtlichen Situation könne es passieren, dass man hinterher meine,
etwas gesehen zu haben, was so nicht passierte.
Hilke Rusch
8 Jul 2015
## AUTOREN
Hilke Rusch
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