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# taz.de -- „Eine große Entlastung“
> KUNSTAKTION „Die Toten kommen“ sorgte für Aufsehen. Der
> Wirtschaftsstudent Yasser Almaamoun stellte den Kontakt zu den Familien
> her
Interview Ines Kappert
taz: Herr Almaamoun, Sie haben den Kontakt hergestellt und die
Kommunikation zu den Angehörigen der Geflüchteten ermöglicht, die vor
Kurzem in einer spektakulären und auch umstrittenen Aktion mit dem Titel
„Die Toten kommen” in Sizilien exhumiert und in Berlin begraben wurden.
Warum?
Yasser Amaamoun: Ich komme auch aus Syrien und lebe seit zwei Jahren in
Deutschland. Ich verstehe und fühle, wie schrecklich es ist, nicht zu
wissen, wo die eigene Frau und Mutter oder der eigene Vater begraben sind.
Beide Familien habe ich persönlich kennengelernt. Wir haben so viel
miteinander gesprochen! Zudem wollte ich helfen, dass man in Deutschland
darauf aufmerksam wird, wie mit den im Mittelmeer gestorbenen Flüchtlingen
verfahren wird und welches Leid damit verbunden ist.
Seit wann unterstützen Sie die Aktionen des Zentrum für Politische
Schönheit?
Seit etwa zwei Jahren. Ich habe auch bei der vorhergehenden zu syrischen
Flüchtlingskindern mitgemacht. Das war damals mein erster Kontakt mit der
„Straße” in Deutschland. Ich war entsetzt, wie wenig die meisten hier über
die Situation in Syrien wissen.
Wie war die Reaktion der Familien auf „Die Toten kommen”?
Zunächst waren sie schockiert und haben ihre Einwilligung verweigert. Wir
haben dann etwa zwei Wochen miteinander diskutiert und verhandelt, erst
dann entstand Vertrauen.
Worüber waren die Familien schockiert?
Sich vorzustellen, wie die Überreste ihrer Angehörigen exhumiert und nach
Deutschland transportiert werden, war auch für sie ein Tabu. Hinzu kommt
der politische Teil der Aktion. Syrer haben mit Behörden, der Regierung,
der Polizei und der Presse in Syrien so viele schlechte Erfahrungen
gemacht, dass sie auch in Deutschland nichts mit offiziellen Leuten zu tun
haben wollen. Sie gehen erst mal davon, dass die auch hier gefährlich sind.
Die Familien waren bei der Beerdigungen nicht anwesend. Wie haben sie die
Trauerfeiern erlebt?
Die erste Beerdigung haben wir live per Video übertragen, und ich habe
gemeinsam mit der Familie die Übertragung angesehen. Ihre allererste
Reaktion war ein vorsichtiges Lächeln. Sie waren erleichtert zu sehen, dass
ihre Frau und Mutter in Würde beerdigt wird, in Anwesenheit eines Imam. Die
Familie ist sehr religiös. Der zweiten Familie haben wir die
Videoaufzeichnung einen Tag nach der Beerdigung geschickt. Auch für sie war
die würdevolle Zeremonie eine Entlastung.
Die vielen Journalisten haben sie nicht gestört?
Nein. Darauf waren sie vorbereitet. Zudem haben die Journalisten sich
während der Beerdigung als Trauergemeinde und nicht als Journalisten
verhalten. Und am Ende waren sie auch nicht wichtig. Der Fokus der Familien
galt allein ihren Angehörigen.
Hier wurde kritisiert, dass das Zentrum pietätlos mit den Toten verfahre.
Hatten Sie sie nie Zweifel daran, dass das Ganze schiefgehen kann?
Ich hatte Zweifel daran, dass wir die Leichen überführen können, also dass
wir alle nötigen Papiere zusammen bekommen. Noch eine Woche vorm Termin war
alles völlig offen.
Wie lange hat es von der Exhumierung bis zur Überführung nach Berlin
gedauert?
Wir brauchten rund drei Wochen, bis wir in Sizilien die Genehmigung für die
Exhumierung und Überführung nach Deutschland bekamen. Der Transport selbst
hat dann noch mal zwei Wochen in Anspruch genommen.
Der eine Leichentransporter wurde bei München von der Polizei angehalten.
Warum?
Es gab den Verdacht, dass der Fahrer unter Drogen stünde.
Stimmte das?
Natürlich nicht. Wir haben die Transporte mit einer Firma gemacht, die auf
Überführungen spezialisiert sind. Das sind Profis, die ganz genau darauf
achten, dass mit den Überresten korrekt verfahren wird.
Letztlich hat die Kontrolle der Aktion geholfen, denn es untermauerte die
Erzählung, dass es sich tatsächlich um auf der Flucht kurz vor Sizilien
Verstorbene handelte.
Stimmt, die Polizei uns geholfen, allerdings sehr unfreiwillig.
Sie beteiligen sich an den Kunstaktionen als eine Art loses Mitglied. Wie
viel Gestaltungsraum hatten Sie?
Ich hatte großen Einfluss darauf, wie das Zentrum über die Familie und ihre
Reaktionen und Widerstände denkt. Denn zunächst haben die Deutschen nicht
verstanden, warum die Familien nicht mitmachen wollen. Erst nachdem ich
eine dreistündige Präsentation gemacht habe, sagten sie: „Okay, das also
ist das Problem.”
Dass zwei deutsche weiße Männer die Aktionen dominieren, hat Sie nicht
gestört?
Warum denn? Die Mehrheit in Deutschland ist nun einmal deutsch und weiß.
Wenn zwei weiße Deutsche eine Aktion in Afrika dominieren würden, wäre das
etwas anderes. Außerdem haben wir und auch andere vor der Aktion über
Monate miteinander diskutiert und daraus die Aktion entwickelt.
Wie kümmert sich das Zentrum jetzt um die Familien der Verstorbenen?
Wir stehen im ständigen Kontakt mit ihnen, und sie versichern uns immer,
dass es ihnen gut ginge.
Typische syrische Höflichkeit, oder?
Natürlich. Aber das Zentrum unterstützt sie materiell und auch mit
Sachspenden, und ich kümmere mich vor allem um die psychologische Seite und
spreche viel mit den Kindern. Leider müssen sie noch immer auf ihre Papiere
warten. Doch mir ist ganz wichtig, dass sie schon jetzt mit dem Leben hier
anfangen und nicht nur warten. Stellt man einen Asylantrag, dann muss man
ankreuzen, dass man Deutschland als neue Heimat gewählt habe und sich hier
integrieren werde. Natürlich liest das keiner. Deshalb weise ich immer
darauf hin. Die Familien haben jetzt auch eine Verantwortung für die
deutsche Gesellschaft.
Ist das zum jetzigen Zeitpunkt nicht eine Überforderung? Sie müssen ja erst
einmal ihre Flucht, den Verlust von Angehörigen verkraften und eine ganze
neue Kultur kennenlernen.
Nein, sie haben es Motivation verstanden. Besonders für die Kinder waren
diese Gespräche wichtig. Sie sind nun sehr motiviert, schnell Deutsch zu
lernen, und sie wissen, dass sie das in ein paar Monaten auch können
werden. Das hilft ihnen, die manchmal komischen Blicke ihrer Mitschüler
nicht so ernst zu nehmen. Es ist ja normal, dass sie noch als „die anderen”
angesehen werden, aber das geht vorbei.
6 Jul 2015
## AUTOREN
Ines Kappert
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