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# taz.de -- TITANEN Ein britisches Ehepaar hat Beweise, dass Google seine Macht…
Bild: Larry Page, Geschäftsführer des Tech-Giganten Google, gegen Europas Wet…
Von Johannes Gernert (Text) und Christian Barthold (Illustration)
Die EU-Kommissarin Margrethe Vestager erklärt in Brüssel noch, warum sie
gegen Google vorgehen wird, da fahren Shivaun und Adam Raff schon im Taxi
durch London, um den großen Fernsehsendern ihre ersten Interviews zu geben.
Sechs Jahre haben sie für diesen Moment gearbeitet. Für ihre Chance.
Im Fernsehstudio von Sky News setzt Shivaun Raff sich an einen Tisch vor
ein Glas Wasser. Der grauhaarige Moderator schaut nachrichtenernst und
dreht einen Stift zwischen den Fingern. Raffs Sätze sind klar und präzise.
Ihre rote Wangen schimmern durch das dicke Fernseh-Make-up.
„Google hat seine Suchergebnisse manipuliert“, sagt Shivaun Raff.
Der Konzern missbrauche seine Macht, um Wettbewerber zu verdrängen.
Wettbewerber wie sie, das Ehepaar Raff aus der Nähe von London, 48 und 46
Jahre alt, die vor zehn Jahren beschlossen, mit ihrer eigenen Suchmaschine
gegen Google anzutreten. Adam und Shivaun Raff können zeigen, wie der große
Konkurrent ihre Firma aus seinen Trefferlisten verschwinden ließ. Die
EU-Wettbewerbskommissarin hat sie getroffen. Sie glaubt ihnen.
Margrethe Vestager steht an diesem 15. April 2015 in einem schlichten
beigen Kleid vor einer tiefseeblauen Wand. „Wenn sich ein Verstoß
feststellen ließe …“, sagt sie. Sie nimmt Anlauf, verheddert sich fast in
ihrem Englisch, aber schließlich sagt sie: „Es könnte ein Präzedenzfall
dafür werden, wie wir das Wettbewerbsrecht der EU durchsetzen.“
Bei Google fürchten sie nichts mehr als das.
Vestager will Prinzipien etablieren, nach denen der Konzern arbeiten soll.
Google könnte seine Angebote nicht mehr einfach in den eigenen Suchlisten
nach oben schieben. Das Unternehmen würde weniger verdienen. Ihm drohen
mehrere Milliarden Euro Strafe.
Noch am selben Tag reagiert Google mit einem Blog-Eintrag auf den Angriff
seiner „eisernen europäischen Gegnerin“, wie die New York Times Vestager
bald nennt. Als „völlig überzogen“ bezeichnet der Chef des Suchteams die
Vorwürfe. Sein Name ist Amit Singhal.
Bisher hat Google die meisten Versuche, seine Macht einzuschränken,
ignoriert. Einzelne Staaten tun sich schwer, einen Konzern mit 70
Niederlassungen in 40 Ländern zu beeindrucken. Die Europäische Union ist
der einflussreichste Staatenbund der Welt, 28 Mitglieder, reich. Jetzt
tritt eine Großmacht gegen eine andere an.
Vier internationale Anwaltskanzleien und zwei Wirtschaftsberatungen gegen
den Brüsseler Beamtenapparat. Die EU nimmt es mit einem Unternehmen auf,
das im vergangenen Jahr 66 Milliarden Dollar Umsatz machte, das in Europa
quasi ein Monopol auf das Suchen im Internet hat und dessen Produkt sich in
jedem Moment verändert.
## Der Krimi beginnt mit der Suche nach Sex
Das Unternehmen von Shivaun und Adam Raff heißt Foundem. Es ist eine
Preisvergleichsseite. Und es ist die Plattform, von der sie ihren Kampf
gegen Google führen. Seit 2009, seit sie als Erste bei der EU-Kommission
geklagt haben.
Der Wirtschaftskrimi, in dem Shivaun und Adam Raff für die EU gegen Google
ermitteln, beginnt mit der Suche nach Sex. Am 16. April 2003 meldet Adam
Raff ein Patent an, das Singles in Großstädten helfen soll, jemanden zu
finden, der mit ihnen schlafen möchte. Es trägt die Nummer
PCT/GB2003/001647.
Menschen, die gern Sex hätten, aber schüchtern sind, sollen über ihre
mobilen Geräte Kontakt mit anderen Nutzern aufnehmen, deren Geräte ähnliche
Interessen mitteilen. Man könne auf diese Art auch Tennispartner finden,
schreibt Raff im Patentantrag.
Mit seiner Frau gründet er eine Firma, die Infederation Ltd. Registriert
ist sie in einem Städtchen eine Dreiviertelstunde vor London. Sie
übertragen ihre Suchtechnologie auf das Internet. Daraus entsteht 2005 die
Preisvergleichsseite Foundem. In Blau und Rot, beste Schnäppchen.
Shivaun Raff lächelt zu breit und nickt etwas zu häufig. Es ist 2007, in
einem Video erklärt sie in feinem britischen Englisch, was ihre Suche so
einzigartig macht: Während Google das gesamte ihm bekannte Internet
durchforstet, konzentriert sich Foundem auf Sparten wie Flüge, Hotels,
Mietautos oder Bücher. Google sucht in der Breite, Foundem geht in die
Tiefe. Vertikale Suche heißt das.
„Wir wollen das Google der vertikalen Suche werden“, sagt Shivaun Raff.
Google hat sie da längst verschwinden lassen.
Gibt man den Namen „Foundem“ ein oder forscht nach dem günstigsten Angebot
für ein Buch, taucht die Firma der Raffs in den Suchergebnissen nicht mehr
auf.
Anfangs denken sie noch, das sei ein Irrtum.
Am Fuße des Himalaya, dort, wo sich Indien, Nepal und Tibet treffen, wächst
in einem Städtchen in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein
Junge auf. In Schwarz-Weiß sieht er Wiederholungen der US-Serie Star Trek.
Der Computer des Raumschiffs „Enterprise“ fasziniert ihn, weil er auf jede
Frage eine Antwort weiß. Er studiert, macht seinen Bachelor, wechselt in
die USA. In New York promoviert er über „Information Retrieval“. Wie findet
man Informationen?
Der junge Mann, heiratet, bekommt ein Kind und einen Job beim
Telekomkonzern AT&T. Ein Freund fragt ihn, ob er nicht zu Google kommen
wolle, einer kleinen Firma, die zwei Stanford-Absolventen gerade gegründet
haben. „Was willst du mit deinem Google-Schmoogle?“, antwortet Amit
Singhal. „Ich habe eine Familie zu ernähren.“
Er geht dann doch zu Google. 2001 wird er mit einem Team einen neuen
Suchalgorithmus programmieren. Singhal macht Google groß und Google ihn. Er
ist eine der wichtigsten Führungsfiguren. Sein Team beaufsichtigt den
Algorithmus der entscheidet, welche Webseiten bei Google oben stehen.
Interviews zum EU-Verfahren? Leider nein, teilt Google mit. In
YouTube-Videos, in denen Amit Singhal auftritt, erlebt man einen lustigen
Typen, der unterhaltsam erzählt, aber eine große Strenge nie verliert, wenn
es um das Thema Suchen geht.
Bei einem Ehemaligen-Treffen seiner Universität fragt jemand Singhal, wie
der Google-Algorithmus funktioniert. Das bestgehütete Mysterium des
Konzerns. Singhal tigert vor dem Publikum auf und ab. Mit neuen Kollegen,
erzählt er, gingen sie einen trinken. Wenn der Neue nach dem vierten Drink
etwas über seinen vorherigen Arbeitgeber erzählt, ist er raus.
„So bewahren wir unsere Geheimnisse“, sagt Singhal. „Mit dem Trinktest.“
Alle lachen.
Geheimnisse. Auch das Verfahren gegen Google besteht aus Geheimnissen.
Die Beschwerdeschrift der EU-Kommissarin, die an Kläger wie Foundem
geschickt worden ist, trägt personalisierte Wasserzeichen für einzelne
Adressaten. Anwälte, die das Dokument an Unbefugte weitergeben, riskieren
standesrechtliche Strafen. Wenn EU-Beamte und ehemalige Mitarbeiter
sprechen, wollen sie meist nicht zitiert werden.
Bis zu 6,6 Milliarden Dollar könnte das Bußgeld für Google betragen. Das
ist auch für diesen Konzern viel. Wenn etwas herauskommt, steht das ganze
Prozedere auf dem Spiel. Bisher agiert Margrethe Vestager geschickt. Eine
Woche nachdem sie gegen Google vorgegangen ist, eröffnet sie auch ein
Verfahren gegen den russischen Energieversorger Gazprom. Ausgewogen sieht
das aus. Um das Verhältnis Europas zu den USA geht es schließlich auch,
freies Unternehmertum gegen die Regelgläubigkeit der Alten Welt. Beim
Handelsabkommen TTIP gibt es diesen Konflikt bereits. Beteiligte vermuten,
Barack Obama könnte sich in den Fall einschalten.
Wenn man lange und höflich fragte, ließen sich Adam und Shivaun Raff
womöglich treffen, wenn auch auf keinen Fall für ein Interview. Könnte
sein, man begegnete dabei einem großen Briten in Jeans und weißem Hemd und
einer Frau im Kostüm, die bei all ihrer professionellen Freundlichkeit
nicht verbergen können, wie sehr es sie trifft, dass Google ihre Erfindung
zu vernichten versucht, wie wütend sie das macht. Aber selbst wenn das so
gewesen wäre, hätte dieses Gespräch nie stattgefunden. Welches Gespräch
überhaupt?
Will man etwas über die Raffs erfahren, dass sich schreiben lässt, muss man
sich auf Google verlassen. Es gäbe auch duckduckgo.com oder Yahoo. Man
googelt, weil es so praktisch ist. So wie die meisten. Marktanteil in
Europa: mehr als 90 Prozent. Im Grunde ein Monopol. 3,3 Milliarden
Suchanfragen weltweit. Täglich. 38.000 pro Sekunde.
Googles Algorithmus entscheidet, wie wir die Welt sehen.
Ende Juni 2006 sortiert er Foundem einfach aus.
Die Website erscheint nicht mehr in der Google-Suche. Die Raffs merken es,
weil ihre Zugriffszahlen einbrechen. Der Google-Algorithmus sondert nach
einem Update vor allem Seiten mit wenigen eigenen Inhalten aus.
Suchmaschinen wie Foundem haben keine eigenen Inhalte, sie sammeln die von
anderen Seiten.
Shivaun und Adam Raff stellen einen Antrag auf Überprüfung der Maßnahme.
Das muss doch zu klären sein.
Einen solchen Antrag akzeptiert Google allerdings nur, wenn eine Seite
manuell aussortiert wurde und nicht vom Algorithmus. Das finden die Raffs
aber erst nach Jahren heraus.
Während Foundem von britischen Medien ausgezeichnet wird, findet es auf
Google nicht statt, nicht in der Liste der Suchergebnisse, und im Grunde
auch nicht in der bezahlten Anzeigenliste daneben. Google erhöhte die
Anzeigenpreise für Foundem automatisch von fünf Cent auf fünf Pfund – pro
Klick.
Mehr als ein Jahr lang senden Shivaun und Adam Raff Mails in sämtliche
Google-Kanäle, die sie auftun können. Im September 2007 wird immerhin der
erhöhte Anzeigenpreis aufgehoben.
Ermutigt stellen die Raffs noch einen Antrag auf Überprüfung.
Im September 2008 schreiben sie an Amit Singhal. Auch im Oktober. Im
November.
Keine Antwort.
Google verdient da schon Geld mit seinem eigenen Preisvergleichsdienst, der
heute Google Shopping heißt. Dieser Dienst steht im Mittelpunkt des
Verfahrens, das die Kommissarin Margrethe Vestager am 15. April in Brüssel
eröffnet.
Ein Journalist will danach von Vestager wissen, wie weit sie gehen wird.
Falls die Kommission Prinzipien einführt, nach denen man im Internet
Bratpfannen oder Hotelzimmer findet, könnten diese Regeln doch auch für
Googles andere Dienste gelten, nicht nur für Google Shopping.
Dann dürfte Google seinen eigenen Kartendienst in den Suchergebnissen
nicht mehr nach oben schieben. Musikclips seines Videoportals YouTube auch
nicht. Dann ginge es nicht mehr um Preisvergleiche, sondern grundsätzlich
darum, wie der Konzern sein Geld verdient.
Die Kommissarin bestätigt das. Sie wolle Prinzipien etablieren, die Bestand
hätten, sagt Vestager. „Das muss zukunftssicher sein“, sagt sie. „Future
proof.“ Von der Bratpfanne zum Großangriff auf Google. Das Video der
Pressekonferenz steht nicht auf YouTube, aber auf den Seiten der
Europäischen Union, 809 Visits.
Bratpfannen also.
Ein kleiner Test: ein Computer in Berlin-Neukölln, 19-Zoll-Monitor,
Firefox-Browser. Man gibt das Wort in den zartblau umrahmten Suchschlitz
ein und Google fährt all sein antizipatorisches Können auf. Es ahnt mit
jedem Buchstaben mehr.
Von
BVG
Bild
Bundesliga
über
Brutto Netto Rechner
Britzer Garten
Briefporto
zu
Brandenburg
Bravo
Brasilien
und
Bratkartoffeln
Bratislava
Brathähnchen
dann noch
Bratpaprika
Bratpfannen
Bratpfannen Berlin
bis es sich schließlich bei
Bratpfannen
Bratpfannen Berlin
Bratpfannen Test
nach sechs Buchstaben völlig sicher ist: Da sucht jemand eine Bratpfanne.
Dann erscheinen sie, die Bratpfannen. 501,000 Ergebnisse. 0,35 Sekunden.
Das Browserfenster ist in zwei Hälften geteilt. In der rechten Hälfte sind
sie aufgereiht: Cerafit Deluxe zu 99,90 Euro, Cerafit Gold zu 49,95, Ikea
Trovärdig für 29,99 Euro. Acht kleine Kacheln, in jeder eine Pfanne und ein
Preis. In hellem Grau steht da „Anzeigen“. Wer auf das winzige i darüber
klickt, erfährt: „Google wird möglicherweise von einigen dieser Anbieter
bezahlt.“
Auf der linken Seite des Browserfensters noch drei Anzeigen. Erst Amazon,
ein Laden namens Lesara, dann bratpfannen.testsiege.net. Zum ersten
Suchergebnis, das keine Anzeige ist, muss man herunterscrollen. Der
sichtbarste Teil dieser Anzeigen stammt von Google Shopping.
Welche Verantwortung trägt ein Konzern, an dessen Suchmaschine sich täglich
Millionen Menschen wenden? Ein Konzern, von dessen Algorithmus auch seine
Wettbewerber abhängig sind. Muss so ein Unternehmen neutral sein? Muss es
garantieren, dass seine stärksten Konkurrenten im Internet genauso leicht
zu finden sind wie es selbst? Oder ist es sein Recht, das nicht zu tun?
Bei Google hatten sie früher eine klare Haltung dazu. Im Mai 2004 sagte
Firmengründer Larry Page in einem Interview: „Die meisten Portale zeigen
ihre eigenen Inhalte über all den anderen aus dem Netz. Wir betrachten das
als Interessenkonflikt.“
Inzwischen lebt Google von diesem Interessenkonflikt. Der Konzern tritt als
unbeteiligter Schiedsrichter auf, befugt zu urteilen, was wichtig ist und
was nicht und findet sich dabei selbst oft am allerwichtigsten. Knapp 60
Milliarden Dollar Umsatz machte Google 2014 mit Werbung, die es nicht nur
auf seinen eigenen Seiten verkauft. Fast zehn Milliarden mehr als 2013.
Die EU-Kommission fragt jetzt nach der Verantwortung. Nach der Neutralität
der Suchmaschine. Bei Google sind sie aufgeschreckt. Larry Page persönlich
verteidigt sein Unternehmen in der Wochenzeitung Die Zeit. Er glaube
„absolut nicht“, dass Google Vorteile verschaffe. Eric Schmidt, der
Vorstandsvorsitzende, ist jetzt häufig in Europa. Er kommt zur Eröffnung
von Start-up-Zentren in Berlin, besucht Wirtschaftskongresse und diskutiert
öffentlich mit dem deutschen Wirtschaftsminister.
„Für mich ist jetzt die Frage, ob wir das deutsche und das europäische
Recht so ändern müssen, dass wir in den Algorithmus reingucken können“,
sagt Sigmar Gabriel da.
Für Google-Manager muss das klingen, als drohe Gabriel mit Enteignung.
Im November hat das EU-Parlament auch noch eine Erklärung verabschiedet, in
der die Zerschlagung Googles als Option auftaucht. „Alle Monopole sind
irgendwann gescheitert“, souffliert Mathias Döpfner, der
Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, Googles mächtigstem europäischen
Konkurrenten.
Shivaun und Adam Raff machen drei Jahre lang immer neue E-Mail-Adressen von
immer neuen Google-Mitarbeitern ausfindig. Sie bitten höflich, wieder in
die Trefferlisten vorgelassen zu werden. Google promotet seine eigenen
Dienste: Google-Maps, YouTube, Google Shopping. Das Unternehmen leugnet,
dass es Seiten, die sein Algorithmus aussortiert, händisch wieder
einsortiert. Die Raffs haben aber selbst erlebt, dass es das tut, als sie
wieder in Googles Anzeigenliste hineindurften.
## Sie haben den Computer der „Enterprise“ gebaut
Im Dezember 2008 schickt ein Google-Mitarbeiter Foundem diese Antwort: „Wir
können leider keinen privaten Support bei Suchfragen anbieten.“
Im März 2009 engagieren Shivaun und Adam Raff, eine PR-Agentur. Erste
Artikel erscheinen, unter anderem in der britischen Zeitung Guardian.
Ihr Kampf ist jetzt ein öffentlicher.
Google reagiert. Auf den Seiten befänden sich zu viele Rechtschreibfehler.
Foundem weist Google Shopping ähnliche Fehler nach.
Amit Singhal ist wie Shivaun und Adam Raff Ende der 1960er Jahre geboren
und in den 70ern aufgewachsen. Wahlscheiben-Telefone.
Schwarz-Weiß-Fernseher. Er weiß, was sie bei Google geleistet haben, als
sie die Maschine erfunden haben, die man alles fragen kann. Den Computer
von Raumschiff „Enterprise“.
Also Google, wer ist Shivaun Raff?
Porträtaufnahmen eines rundlichen Gesichts mit ovaler Brille. Darunter in
Blau eine Schlagzeile: „Shivaun Raff ist Googles hartnäckigster Gegner“.
30 Billionen Webseiten habe Google bisher gefunden, sagte Amit Singhal vor
drei Jahren. Jeden Tag durchkämme der Algorithmus 20 Billionen dieser
Seiten. Immer wenn jemand ein Suchwort eingibt, findet er im Bruchteil
einer Sekunde die zehn Treffer, die Google als die wichtigsten definiert
hat. Milliarden Seiten drängen auf diese Plätze. Milliarden Seiten
versuchen den Algorithmus auszutricksen. Das nennt sich
Suchmaschinenoptimierung. Zeitungsverlage bezahlen Spezialisten dafür, ihre
Angebote in den Trefferlisten nach oben zu schieben. Google muss immer noch
besser sieben. Das ist die Aufgabe von Amit Singhal und seinen Leuten.
20 Billionen Webseiten. Da kann schon mal eine verloren gehen. Oder?
Im Juli 2009 fragen Shivaun und Adam Raff bei der Wettbewerbsdirektion der
Europäischen Kommission, wie man eine Kartellklage einreichen kann.
Google hat Foundem nach dem öffentlichen Druck wieder auftauchen lassen.
Die Zugriffszahlen stiegen um 10.000 Prozent. Aber es geht ihnen jetzt ums
Prinzip.
Die Wettbewerbsdirektion arbeitet den Wettbewerbskommissarinnen zu.
Zuerst landen alle Beschwerden hier. Die zuständige Abteilung heißt: C3.
Kartellrecht: IT, Internet und Verbraucherelektronik. Ihr Leiter hat schon
gegen Microsoft ermittelt.
Microsoft war einmal das, was Google heute ist. Ein Quasimonopolist, sein
Betriebssystem Windows lief in fast jedem Haushalt – und damit auch sein
Browser, der Internet Explorer.
Die EU-Kommission zwang Microsoft dazu, auf Windows alternative Browser
anzubieten. Der Konzern zahlte Hunderte Millionen Dollar Strafe.
Im Microsoft-Fall, erzählt einer, der daran mitgearbeitet hat, sei auch
Google sehr präsent gewesen. Der Konzern hatte präzise Daten zur
Browsernutzung. Er half, die Verteilung auf dem Markt abzuschätzen und trug
zur Niederlage von Microsoft bei.
Shivaun und Adam Raff reichen 2009 ihre Klage ein. Sie wohnen jetzt
häufiger in einem eckigen Business-Hotel mit grauer Fassade. Zehn Minuten
laufen sie von dort zur Wettbewerbsdirektion, deren Hochhaus eine blaue
Banderole mit EU-Sternchen umgibt.
Sie rechnen den Beamten vor, wie Google sich vordrängt.
Google schlägt zurück. Shivaun Raff sei Mitglied einer Lobbyorganisation,
die von Microsoft finanziert werde, schreibt eine Mitarbeiterin auf einem
Blog.
„Hören Sie endlich auf, mich als Microsoft-Marionette zu verunglimpfen“,
fordert Raff auf ihrer Webseite. Sie erhält Beraterhonorare von der
Organisation. Sie sieht darin kein Problem.
Im Laufe der Jahre haben auch der Bund der Deutschen Zeitungsverleger und
das Berliner Portal ladenzeile.de Klagen gegen Google eingereicht. An der
Seite, die Möbel, Schuhe und Pferdefutter verkauft, hält der
Axel-Springer-Verlag eine Mehrheit.
Manche bezweifeln, dass die Europäische Union diesen Großkonflikt
bewältigen kann.
„Ich denke, man kann ganz klar institutionelle Schwächen erkennen“, sagt
Thomas Höppner, der Anwalt von ladenzeile.de. „Es ist misslich, wenn die
Kommission ein Verfahren an sich zieht, damit alle nationalen
Wettbewerbsbehörden blockiert und dann über Jahre hinweg hinter
verschlossenen Türen verhandelt, ohne dass etwas dabei herauskommt.“
Solange die EU-Ermittler sich mit Google befassen, müssen die nationalen
Kartellbehörden alle Verfahren gegen den Konzern ruhen lassen. Margrethe
Vestagers Vorgänger Joaquín Almunia hatte lange ergebnislos mit Google
verhandelt. Höppner hätte gern eine spezialisierte, schnellere Behörde,
„die auf konkreten Hinweis beim Anfangsverdacht Ermittlungen einleiten
kann, die Einsichtsrechte hat“.
Die Raffs kämpfen weiter. Auf ihrer Seite searchneutrality.org fordern sie
Neutralität für Suchmaschinen. Sie sollen umfassende, objektive und
relevante Ergebnisse liefern.
Klingt gut.
Aber was heißt umfassend bei einer Liste, die im Grunde nur aus den zehn
Treffern besteht, die man auf den ersten Blick sieht?
Wie soll das objektiv funktionieren, wenn das Ziel ist, subjektiv jedem
Einzelnen das zu liefern, was er gerade sucht?
Und Relevanz?
Relevant ist ein Lieblingswort von Amit Singhal. Das Wort beginnt zu
tanzen, wenn er es sagt, Singhal verleiht ihm eine schöne Melodie. Alles
muss relevant für den Nutzer sein, sagt er. Permanent filtern sie das aus
ihren Daten, was die Nutzer für das wichtigste halten. Warum haben sie dann
Google Shopping schon bevorzugt, als es schlechtere Ergebnisse lieferte als
die Konkurrenz? Als Google seinen Dienst unter die ersten Treffer schob,
mochten die Nutzer das nicht. Googles eigene Tests zeigten das. Seine
Entwickler manipulierten den Algorithmus, bis die Reaktionen positiver
wurden.
Davon würde die Öffentlichkeit gar nichts wissen, gäbe es nicht einen
Bericht der Federal Trade Commission, der obersten Wettbewerbsbehörde der
USA. Die Mitarbeiter schreiben, Googles Manipulationen schadeten „den
Verbrauchern und der Innovation ernsthaft“.
Der Vorsitzende der Trade Commission sprach Google trotzdem frei. Später
trat er zurück.
Am 15. April, während Shivaun und Adam Raff durch die Rundfunkstudios
tingeln, veröffentlicht Amit Singhal einen Eintrag auf dem Google-Blog.
An diesem Tag macht er seinen Konzern ganz klein.
Er schreibt, die Leute hätten so viel Auswahl: Bing, Yahoo, Quora,
DuckDuckGo als Suchmaschinen. Beim Shopping stehe Amazon an der Spitze,
dahinter eBay. Singhal postet eine Grafik, in der Googles blaue Kurve ganz
unten dümpelt.
Shivaun und Adam Raffzerlegen diese Grafik in ihrem Blog. Sie entfernen die
Kurven von allen Seiten, die keine Preise vergleichen. Plötzlich ist die
Google-Kurve wieder oben.
Die Schreiben mit der Beschwerde der EU-Kommission sind gerade verschickt
worden. Google hatte bis Ende Juni Zeit zu antworten. Seine Anwälte haben
in dieser Woche eine Verlängerung der Frist bis Mitte August erreicht.
Der nächste Schritt könnte eine Anhörung in Brüssel sein. Alle tragen noch
einmal ihre Argumente vor.
Dann fällt die Kommissarin ihre Entscheidung.
Google Shopping ist in Googles Trefferlisten präsent wie nie, hat der
Dienst Searchmetrics gerade festgestellt, der den Suchmaschinenkonzern
beobachtet.
Vielleicht versuchen sie bei Google die Konkurrenz mit aller Macht
verschwinden zu lassen, mutmaßen manche Kläger. Bevor die EU-Kommission
einschreitet.
Johannes Gernert,35, ist Redakteur der taz.am wochenende. Er kauft
Bratpfannen bei Ikea
Christian Barthold,47, ist freier Illustrator. Er findet Google viel
effizienter als die Konkurrenz
4 Jul 2015
## AUTOREN
Johannes Gernert
Christian Barthold
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