| # taz.de -- TITANEN Ein britisches Ehepaar hat Beweise, dass Google seine Macht… | |
| Bild: Larry Page, Geschäftsführer des Tech-Giganten Google, gegen Europas Wet… | |
| Von Johannes Gernert (Text) und Christian Barthold (Illustration) | |
| Die EU-Kommissarin Margrethe Vestager erklärt in Brüssel noch, warum sie | |
| gegen Google vorgehen wird, da fahren Shivaun und Adam Raff schon im Taxi | |
| durch London, um den großen Fernsehsendern ihre ersten Interviews zu geben. | |
| Sechs Jahre haben sie für diesen Moment gearbeitet. Für ihre Chance. | |
| Im Fernsehstudio von Sky News setzt Shivaun Raff sich an einen Tisch vor | |
| ein Glas Wasser. Der grauhaarige Moderator schaut nachrichtenernst und | |
| dreht einen Stift zwischen den Fingern. Raffs Sätze sind klar und präzise. | |
| Ihre rote Wangen schimmern durch das dicke Fernseh-Make-up. | |
| „Google hat seine Suchergebnisse manipuliert“, sagt Shivaun Raff. | |
| Der Konzern missbrauche seine Macht, um Wettbewerber zu verdrängen. | |
| Wettbewerber wie sie, das Ehepaar Raff aus der Nähe von London, 48 und 46 | |
| Jahre alt, die vor zehn Jahren beschlossen, mit ihrer eigenen Suchmaschine | |
| gegen Google anzutreten. Adam und Shivaun Raff können zeigen, wie der große | |
| Konkurrent ihre Firma aus seinen Trefferlisten verschwinden ließ. Die | |
| EU-Wettbewerbskommissarin hat sie getroffen. Sie glaubt ihnen. | |
| Margrethe Vestager steht an diesem 15. April 2015 in einem schlichten | |
| beigen Kleid vor einer tiefseeblauen Wand. „Wenn sich ein Verstoß | |
| feststellen ließe …“, sagt sie. Sie nimmt Anlauf, verheddert sich fast in | |
| ihrem Englisch, aber schließlich sagt sie: „Es könnte ein Präzedenzfall | |
| dafür werden, wie wir das Wettbewerbsrecht der EU durchsetzen.“ | |
| Bei Google fürchten sie nichts mehr als das. | |
| Vestager will Prinzipien etablieren, nach denen der Konzern arbeiten soll. | |
| Google könnte seine Angebote nicht mehr einfach in den eigenen Suchlisten | |
| nach oben schieben. Das Unternehmen würde weniger verdienen. Ihm drohen | |
| mehrere Milliarden Euro Strafe. | |
| Noch am selben Tag reagiert Google mit einem Blog-Eintrag auf den Angriff | |
| seiner „eisernen europäischen Gegnerin“, wie die New York Times Vestager | |
| bald nennt. Als „völlig überzogen“ bezeichnet der Chef des Suchteams die | |
| Vorwürfe. Sein Name ist Amit Singhal. | |
| Bisher hat Google die meisten Versuche, seine Macht einzuschränken, | |
| ignoriert. Einzelne Staaten tun sich schwer, einen Konzern mit 70 | |
| Niederlassungen in 40 Ländern zu beeindrucken. Die Europäische Union ist | |
| der einflussreichste Staatenbund der Welt, 28 Mitglieder, reich. Jetzt | |
| tritt eine Großmacht gegen eine andere an. | |
| Vier internationale Anwaltskanzleien und zwei Wirtschaftsberatungen gegen | |
| den Brüsseler Beamtenapparat. Die EU nimmt es mit einem Unternehmen auf, | |
| das im vergangenen Jahr 66 Milliarden Dollar Umsatz machte, das in Europa | |
| quasi ein Monopol auf das Suchen im Internet hat und dessen Produkt sich in | |
| jedem Moment verändert. | |
| ## Der Krimi beginnt mit der Suche nach Sex | |
| Das Unternehmen von Shivaun und Adam Raff heißt Foundem. Es ist eine | |
| Preisvergleichsseite. Und es ist die Plattform, von der sie ihren Kampf | |
| gegen Google führen. Seit 2009, seit sie als Erste bei der EU-Kommission | |
| geklagt haben. | |
| Der Wirtschaftskrimi, in dem Shivaun und Adam Raff für die EU gegen Google | |
| ermitteln, beginnt mit der Suche nach Sex. Am 16. April 2003 meldet Adam | |
| Raff ein Patent an, das Singles in Großstädten helfen soll, jemanden zu | |
| finden, der mit ihnen schlafen möchte. Es trägt die Nummer | |
| PCT/GB2003/001647. | |
| Menschen, die gern Sex hätten, aber schüchtern sind, sollen über ihre | |
| mobilen Geräte Kontakt mit anderen Nutzern aufnehmen, deren Geräte ähnliche | |
| Interessen mitteilen. Man könne auf diese Art auch Tennispartner finden, | |
| schreibt Raff im Patentantrag. | |
| Mit seiner Frau gründet er eine Firma, die Infederation Ltd. Registriert | |
| ist sie in einem Städtchen eine Dreiviertelstunde vor London. Sie | |
| übertragen ihre Suchtechnologie auf das Internet. Daraus entsteht 2005 die | |
| Preisvergleichsseite Foundem. In Blau und Rot, beste Schnäppchen. | |
| Shivaun Raff lächelt zu breit und nickt etwas zu häufig. Es ist 2007, in | |
| einem Video erklärt sie in feinem britischen Englisch, was ihre Suche so | |
| einzigartig macht: Während Google das gesamte ihm bekannte Internet | |
| durchforstet, konzentriert sich Foundem auf Sparten wie Flüge, Hotels, | |
| Mietautos oder Bücher. Google sucht in der Breite, Foundem geht in die | |
| Tiefe. Vertikale Suche heißt das. | |
| „Wir wollen das Google der vertikalen Suche werden“, sagt Shivaun Raff. | |
| Google hat sie da längst verschwinden lassen. | |
| Gibt man den Namen „Foundem“ ein oder forscht nach dem günstigsten Angebot | |
| für ein Buch, taucht die Firma der Raffs in den Suchergebnissen nicht mehr | |
| auf. | |
| Anfangs denken sie noch, das sei ein Irrtum. | |
| Am Fuße des Himalaya, dort, wo sich Indien, Nepal und Tibet treffen, wächst | |
| in einem Städtchen in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein | |
| Junge auf. In Schwarz-Weiß sieht er Wiederholungen der US-Serie Star Trek. | |
| Der Computer des Raumschiffs „Enterprise“ fasziniert ihn, weil er auf jede | |
| Frage eine Antwort weiß. Er studiert, macht seinen Bachelor, wechselt in | |
| die USA. In New York promoviert er über „Information Retrieval“. Wie findet | |
| man Informationen? | |
| Der junge Mann, heiratet, bekommt ein Kind und einen Job beim | |
| Telekomkonzern AT&T. Ein Freund fragt ihn, ob er nicht zu Google kommen | |
| wolle, einer kleinen Firma, die zwei Stanford-Absolventen gerade gegründet | |
| haben. „Was willst du mit deinem Google-Schmoogle?“, antwortet Amit | |
| Singhal. „Ich habe eine Familie zu ernähren.“ | |
| Er geht dann doch zu Google. 2001 wird er mit einem Team einen neuen | |
| Suchalgorithmus programmieren. Singhal macht Google groß und Google ihn. Er | |
| ist eine der wichtigsten Führungsfiguren. Sein Team beaufsichtigt den | |
| Algorithmus der entscheidet, welche Webseiten bei Google oben stehen. | |
| Interviews zum EU-Verfahren? Leider nein, teilt Google mit. In | |
| YouTube-Videos, in denen Amit Singhal auftritt, erlebt man einen lustigen | |
| Typen, der unterhaltsam erzählt, aber eine große Strenge nie verliert, wenn | |
| es um das Thema Suchen geht. | |
| Bei einem Ehemaligen-Treffen seiner Universität fragt jemand Singhal, wie | |
| der Google-Algorithmus funktioniert. Das bestgehütete Mysterium des | |
| Konzerns. Singhal tigert vor dem Publikum auf und ab. Mit neuen Kollegen, | |
| erzählt er, gingen sie einen trinken. Wenn der Neue nach dem vierten Drink | |
| etwas über seinen vorherigen Arbeitgeber erzählt, ist er raus. | |
| „So bewahren wir unsere Geheimnisse“, sagt Singhal. „Mit dem Trinktest.“ | |
| Alle lachen. | |
| Geheimnisse. Auch das Verfahren gegen Google besteht aus Geheimnissen. | |
| Die Beschwerdeschrift der EU-Kommissarin, die an Kläger wie Foundem | |
| geschickt worden ist, trägt personalisierte Wasserzeichen für einzelne | |
| Adressaten. Anwälte, die das Dokument an Unbefugte weitergeben, riskieren | |
| standesrechtliche Strafen. Wenn EU-Beamte und ehemalige Mitarbeiter | |
| sprechen, wollen sie meist nicht zitiert werden. | |
| Bis zu 6,6 Milliarden Dollar könnte das Bußgeld für Google betragen. Das | |
| ist auch für diesen Konzern viel. Wenn etwas herauskommt, steht das ganze | |
| Prozedere auf dem Spiel. Bisher agiert Margrethe Vestager geschickt. Eine | |
| Woche nachdem sie gegen Google vorgegangen ist, eröffnet sie auch ein | |
| Verfahren gegen den russischen Energieversorger Gazprom. Ausgewogen sieht | |
| das aus. Um das Verhältnis Europas zu den USA geht es schließlich auch, | |
| freies Unternehmertum gegen die Regelgläubigkeit der Alten Welt. Beim | |
| Handelsabkommen TTIP gibt es diesen Konflikt bereits. Beteiligte vermuten, | |
| Barack Obama könnte sich in den Fall einschalten. | |
| Wenn man lange und höflich fragte, ließen sich Adam und Shivaun Raff | |
| womöglich treffen, wenn auch auf keinen Fall für ein Interview. Könnte | |
| sein, man begegnete dabei einem großen Briten in Jeans und weißem Hemd und | |
| einer Frau im Kostüm, die bei all ihrer professionellen Freundlichkeit | |
| nicht verbergen können, wie sehr es sie trifft, dass Google ihre Erfindung | |
| zu vernichten versucht, wie wütend sie das macht. Aber selbst wenn das so | |
| gewesen wäre, hätte dieses Gespräch nie stattgefunden. Welches Gespräch | |
| überhaupt? | |
| Will man etwas über die Raffs erfahren, dass sich schreiben lässt, muss man | |
| sich auf Google verlassen. Es gäbe auch duckduckgo.com oder Yahoo. Man | |
| googelt, weil es so praktisch ist. So wie die meisten. Marktanteil in | |
| Europa: mehr als 90 Prozent. Im Grunde ein Monopol. 3,3 Milliarden | |
| Suchanfragen weltweit. Täglich. 38.000 pro Sekunde. | |
| Googles Algorithmus entscheidet, wie wir die Welt sehen. | |
| Ende Juni 2006 sortiert er Foundem einfach aus. | |
| Die Website erscheint nicht mehr in der Google-Suche. Die Raffs merken es, | |
| weil ihre Zugriffszahlen einbrechen. Der Google-Algorithmus sondert nach | |
| einem Update vor allem Seiten mit wenigen eigenen Inhalten aus. | |
| Suchmaschinen wie Foundem haben keine eigenen Inhalte, sie sammeln die von | |
| anderen Seiten. | |
| Shivaun und Adam Raff stellen einen Antrag auf Überprüfung der Maßnahme. | |
| Das muss doch zu klären sein. | |
| Einen solchen Antrag akzeptiert Google allerdings nur, wenn eine Seite | |
| manuell aussortiert wurde und nicht vom Algorithmus. Das finden die Raffs | |
| aber erst nach Jahren heraus. | |
| Während Foundem von britischen Medien ausgezeichnet wird, findet es auf | |
| Google nicht statt, nicht in der Liste der Suchergebnisse, und im Grunde | |
| auch nicht in der bezahlten Anzeigenliste daneben. Google erhöhte die | |
| Anzeigenpreise für Foundem automatisch von fünf Cent auf fünf Pfund – pro | |
| Klick. | |
| Mehr als ein Jahr lang senden Shivaun und Adam Raff Mails in sämtliche | |
| Google-Kanäle, die sie auftun können. Im September 2007 wird immerhin der | |
| erhöhte Anzeigenpreis aufgehoben. | |
| Ermutigt stellen die Raffs noch einen Antrag auf Überprüfung. | |
| Im September 2008 schreiben sie an Amit Singhal. Auch im Oktober. Im | |
| November. | |
| Keine Antwort. | |
| Google verdient da schon Geld mit seinem eigenen Preisvergleichsdienst, der | |
| heute Google Shopping heißt. Dieser Dienst steht im Mittelpunkt des | |
| Verfahrens, das die Kommissarin Margrethe Vestager am 15. April in Brüssel | |
| eröffnet. | |
| Ein Journalist will danach von Vestager wissen, wie weit sie gehen wird. | |
| Falls die Kommission Prinzipien einführt, nach denen man im Internet | |
| Bratpfannen oder Hotelzimmer findet, könnten diese Regeln doch auch für | |
| Googles andere Dienste gelten, nicht nur für Google Shopping. | |
| Dann dürfte Google seinen eigenen Kartendienst in den Suchergebnissen | |
| nicht mehr nach oben schieben. Musikclips seines Videoportals YouTube auch | |
| nicht. Dann ginge es nicht mehr um Preisvergleiche, sondern grundsätzlich | |
| darum, wie der Konzern sein Geld verdient. | |
| Die Kommissarin bestätigt das. Sie wolle Prinzipien etablieren, die Bestand | |
| hätten, sagt Vestager. „Das muss zukunftssicher sein“, sagt sie. „Future | |
| proof.“ Von der Bratpfanne zum Großangriff auf Google. Das Video der | |
| Pressekonferenz steht nicht auf YouTube, aber auf den Seiten der | |
| Europäischen Union, 809 Visits. | |
| Bratpfannen also. | |
| Ein kleiner Test: ein Computer in Berlin-Neukölln, 19-Zoll-Monitor, | |
| Firefox-Browser. Man gibt das Wort in den zartblau umrahmten Suchschlitz | |
| ein und Google fährt all sein antizipatorisches Können auf. Es ahnt mit | |
| jedem Buchstaben mehr. | |
| Von | |
| BVG | |
| Bild | |
| Bundesliga | |
| über | |
| Brutto Netto Rechner | |
| Britzer Garten | |
| Briefporto | |
| zu | |
| Brandenburg | |
| Bravo | |
| Brasilien | |
| und | |
| Bratkartoffeln | |
| Bratislava | |
| Brathähnchen | |
| dann noch | |
| Bratpaprika | |
| Bratpfannen | |
| Bratpfannen Berlin | |
| bis es sich schließlich bei | |
| Bratpfannen | |
| Bratpfannen Berlin | |
| Bratpfannen Test | |
| nach sechs Buchstaben völlig sicher ist: Da sucht jemand eine Bratpfanne. | |
| Dann erscheinen sie, die Bratpfannen. 501,000 Ergebnisse. 0,35 Sekunden. | |
| Das Browserfenster ist in zwei Hälften geteilt. In der rechten Hälfte sind | |
| sie aufgereiht: Cerafit Deluxe zu 99,90 Euro, Cerafit Gold zu 49,95, Ikea | |
| Trovärdig für 29,99 Euro. Acht kleine Kacheln, in jeder eine Pfanne und ein | |
| Preis. In hellem Grau steht da „Anzeigen“. Wer auf das winzige i darüber | |
| klickt, erfährt: „Google wird möglicherweise von einigen dieser Anbieter | |
| bezahlt.“ | |
| Auf der linken Seite des Browserfensters noch drei Anzeigen. Erst Amazon, | |
| ein Laden namens Lesara, dann bratpfannen.testsiege.net. Zum ersten | |
| Suchergebnis, das keine Anzeige ist, muss man herunterscrollen. Der | |
| sichtbarste Teil dieser Anzeigen stammt von Google Shopping. | |
| Welche Verantwortung trägt ein Konzern, an dessen Suchmaschine sich täglich | |
| Millionen Menschen wenden? Ein Konzern, von dessen Algorithmus auch seine | |
| Wettbewerber abhängig sind. Muss so ein Unternehmen neutral sein? Muss es | |
| garantieren, dass seine stärksten Konkurrenten im Internet genauso leicht | |
| zu finden sind wie es selbst? Oder ist es sein Recht, das nicht zu tun? | |
| Bei Google hatten sie früher eine klare Haltung dazu. Im Mai 2004 sagte | |
| Firmengründer Larry Page in einem Interview: „Die meisten Portale zeigen | |
| ihre eigenen Inhalte über all den anderen aus dem Netz. Wir betrachten das | |
| als Interessenkonflikt.“ | |
| Inzwischen lebt Google von diesem Interessenkonflikt. Der Konzern tritt als | |
| unbeteiligter Schiedsrichter auf, befugt zu urteilen, was wichtig ist und | |
| was nicht und findet sich dabei selbst oft am allerwichtigsten. Knapp 60 | |
| Milliarden Dollar Umsatz machte Google 2014 mit Werbung, die es nicht nur | |
| auf seinen eigenen Seiten verkauft. Fast zehn Milliarden mehr als 2013. | |
| Die EU-Kommission fragt jetzt nach der Verantwortung. Nach der Neutralität | |
| der Suchmaschine. Bei Google sind sie aufgeschreckt. Larry Page persönlich | |
| verteidigt sein Unternehmen in der Wochenzeitung Die Zeit. Er glaube | |
| „absolut nicht“, dass Google Vorteile verschaffe. Eric Schmidt, der | |
| Vorstandsvorsitzende, ist jetzt häufig in Europa. Er kommt zur Eröffnung | |
| von Start-up-Zentren in Berlin, besucht Wirtschaftskongresse und diskutiert | |
| öffentlich mit dem deutschen Wirtschaftsminister. | |
| „Für mich ist jetzt die Frage, ob wir das deutsche und das europäische | |
| Recht so ändern müssen, dass wir in den Algorithmus reingucken können“, | |
| sagt Sigmar Gabriel da. | |
| Für Google-Manager muss das klingen, als drohe Gabriel mit Enteignung. | |
| Im November hat das EU-Parlament auch noch eine Erklärung verabschiedet, in | |
| der die Zerschlagung Googles als Option auftaucht. „Alle Monopole sind | |
| irgendwann gescheitert“, souffliert Mathias Döpfner, der | |
| Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, Googles mächtigstem europäischen | |
| Konkurrenten. | |
| Shivaun und Adam Raff machen drei Jahre lang immer neue E-Mail-Adressen von | |
| immer neuen Google-Mitarbeitern ausfindig. Sie bitten höflich, wieder in | |
| die Trefferlisten vorgelassen zu werden. Google promotet seine eigenen | |
| Dienste: Google-Maps, YouTube, Google Shopping. Das Unternehmen leugnet, | |
| dass es Seiten, die sein Algorithmus aussortiert, händisch wieder | |
| einsortiert. Die Raffs haben aber selbst erlebt, dass es das tut, als sie | |
| wieder in Googles Anzeigenliste hineindurften. | |
| ## Sie haben den Computer der „Enterprise“ gebaut | |
| Im Dezember 2008 schickt ein Google-Mitarbeiter Foundem diese Antwort: „Wir | |
| können leider keinen privaten Support bei Suchfragen anbieten.“ | |
| Im März 2009 engagieren Shivaun und Adam Raff, eine PR-Agentur. Erste | |
| Artikel erscheinen, unter anderem in der britischen Zeitung Guardian. | |
| Ihr Kampf ist jetzt ein öffentlicher. | |
| Google reagiert. Auf den Seiten befänden sich zu viele Rechtschreibfehler. | |
| Foundem weist Google Shopping ähnliche Fehler nach. | |
| Amit Singhal ist wie Shivaun und Adam Raff Ende der 1960er Jahre geboren | |
| und in den 70ern aufgewachsen. Wahlscheiben-Telefone. | |
| Schwarz-Weiß-Fernseher. Er weiß, was sie bei Google geleistet haben, als | |
| sie die Maschine erfunden haben, die man alles fragen kann. Den Computer | |
| von Raumschiff „Enterprise“. | |
| Also Google, wer ist Shivaun Raff? | |
| Porträtaufnahmen eines rundlichen Gesichts mit ovaler Brille. Darunter in | |
| Blau eine Schlagzeile: „Shivaun Raff ist Googles hartnäckigster Gegner“. | |
| 30 Billionen Webseiten habe Google bisher gefunden, sagte Amit Singhal vor | |
| drei Jahren. Jeden Tag durchkämme der Algorithmus 20 Billionen dieser | |
| Seiten. Immer wenn jemand ein Suchwort eingibt, findet er im Bruchteil | |
| einer Sekunde die zehn Treffer, die Google als die wichtigsten definiert | |
| hat. Milliarden Seiten drängen auf diese Plätze. Milliarden Seiten | |
| versuchen den Algorithmus auszutricksen. Das nennt sich | |
| Suchmaschinenoptimierung. Zeitungsverlage bezahlen Spezialisten dafür, ihre | |
| Angebote in den Trefferlisten nach oben zu schieben. Google muss immer noch | |
| besser sieben. Das ist die Aufgabe von Amit Singhal und seinen Leuten. | |
| 20 Billionen Webseiten. Da kann schon mal eine verloren gehen. Oder? | |
| Im Juli 2009 fragen Shivaun und Adam Raff bei der Wettbewerbsdirektion der | |
| Europäischen Kommission, wie man eine Kartellklage einreichen kann. | |
| Google hat Foundem nach dem öffentlichen Druck wieder auftauchen lassen. | |
| Die Zugriffszahlen stiegen um 10.000 Prozent. Aber es geht ihnen jetzt ums | |
| Prinzip. | |
| Die Wettbewerbsdirektion arbeitet den Wettbewerbskommissarinnen zu. | |
| Zuerst landen alle Beschwerden hier. Die zuständige Abteilung heißt: C3. | |
| Kartellrecht: IT, Internet und Verbraucherelektronik. Ihr Leiter hat schon | |
| gegen Microsoft ermittelt. | |
| Microsoft war einmal das, was Google heute ist. Ein Quasimonopolist, sein | |
| Betriebssystem Windows lief in fast jedem Haushalt – und damit auch sein | |
| Browser, der Internet Explorer. | |
| Die EU-Kommission zwang Microsoft dazu, auf Windows alternative Browser | |
| anzubieten. Der Konzern zahlte Hunderte Millionen Dollar Strafe. | |
| Im Microsoft-Fall, erzählt einer, der daran mitgearbeitet hat, sei auch | |
| Google sehr präsent gewesen. Der Konzern hatte präzise Daten zur | |
| Browsernutzung. Er half, die Verteilung auf dem Markt abzuschätzen und trug | |
| zur Niederlage von Microsoft bei. | |
| Shivaun und Adam Raff reichen 2009 ihre Klage ein. Sie wohnen jetzt | |
| häufiger in einem eckigen Business-Hotel mit grauer Fassade. Zehn Minuten | |
| laufen sie von dort zur Wettbewerbsdirektion, deren Hochhaus eine blaue | |
| Banderole mit EU-Sternchen umgibt. | |
| Sie rechnen den Beamten vor, wie Google sich vordrängt. | |
| Google schlägt zurück. Shivaun Raff sei Mitglied einer Lobbyorganisation, | |
| die von Microsoft finanziert werde, schreibt eine Mitarbeiterin auf einem | |
| Blog. | |
| „Hören Sie endlich auf, mich als Microsoft-Marionette zu verunglimpfen“, | |
| fordert Raff auf ihrer Webseite. Sie erhält Beraterhonorare von der | |
| Organisation. Sie sieht darin kein Problem. | |
| Im Laufe der Jahre haben auch der Bund der Deutschen Zeitungsverleger und | |
| das Berliner Portal ladenzeile.de Klagen gegen Google eingereicht. An der | |
| Seite, die Möbel, Schuhe und Pferdefutter verkauft, hält der | |
| Axel-Springer-Verlag eine Mehrheit. | |
| Manche bezweifeln, dass die Europäische Union diesen Großkonflikt | |
| bewältigen kann. | |
| „Ich denke, man kann ganz klar institutionelle Schwächen erkennen“, sagt | |
| Thomas Höppner, der Anwalt von ladenzeile.de. „Es ist misslich, wenn die | |
| Kommission ein Verfahren an sich zieht, damit alle nationalen | |
| Wettbewerbsbehörden blockiert und dann über Jahre hinweg hinter | |
| verschlossenen Türen verhandelt, ohne dass etwas dabei herauskommt.“ | |
| Solange die EU-Ermittler sich mit Google befassen, müssen die nationalen | |
| Kartellbehörden alle Verfahren gegen den Konzern ruhen lassen. Margrethe | |
| Vestagers Vorgänger Joaquín Almunia hatte lange ergebnislos mit Google | |
| verhandelt. Höppner hätte gern eine spezialisierte, schnellere Behörde, | |
| „die auf konkreten Hinweis beim Anfangsverdacht Ermittlungen einleiten | |
| kann, die Einsichtsrechte hat“. | |
| Die Raffs kämpfen weiter. Auf ihrer Seite searchneutrality.org fordern sie | |
| Neutralität für Suchmaschinen. Sie sollen umfassende, objektive und | |
| relevante Ergebnisse liefern. | |
| Klingt gut. | |
| Aber was heißt umfassend bei einer Liste, die im Grunde nur aus den zehn | |
| Treffern besteht, die man auf den ersten Blick sieht? | |
| Wie soll das objektiv funktionieren, wenn das Ziel ist, subjektiv jedem | |
| Einzelnen das zu liefern, was er gerade sucht? | |
| Und Relevanz? | |
| Relevant ist ein Lieblingswort von Amit Singhal. Das Wort beginnt zu | |
| tanzen, wenn er es sagt, Singhal verleiht ihm eine schöne Melodie. Alles | |
| muss relevant für den Nutzer sein, sagt er. Permanent filtern sie das aus | |
| ihren Daten, was die Nutzer für das wichtigste halten. Warum haben sie dann | |
| Google Shopping schon bevorzugt, als es schlechtere Ergebnisse lieferte als | |
| die Konkurrenz? Als Google seinen Dienst unter die ersten Treffer schob, | |
| mochten die Nutzer das nicht. Googles eigene Tests zeigten das. Seine | |
| Entwickler manipulierten den Algorithmus, bis die Reaktionen positiver | |
| wurden. | |
| Davon würde die Öffentlichkeit gar nichts wissen, gäbe es nicht einen | |
| Bericht der Federal Trade Commission, der obersten Wettbewerbsbehörde der | |
| USA. Die Mitarbeiter schreiben, Googles Manipulationen schadeten „den | |
| Verbrauchern und der Innovation ernsthaft“. | |
| Der Vorsitzende der Trade Commission sprach Google trotzdem frei. Später | |
| trat er zurück. | |
| Am 15. April, während Shivaun und Adam Raff durch die Rundfunkstudios | |
| tingeln, veröffentlicht Amit Singhal einen Eintrag auf dem Google-Blog. | |
| An diesem Tag macht er seinen Konzern ganz klein. | |
| Er schreibt, die Leute hätten so viel Auswahl: Bing, Yahoo, Quora, | |
| DuckDuckGo als Suchmaschinen. Beim Shopping stehe Amazon an der Spitze, | |
| dahinter eBay. Singhal postet eine Grafik, in der Googles blaue Kurve ganz | |
| unten dümpelt. | |
| Shivaun und Adam Raffzerlegen diese Grafik in ihrem Blog. Sie entfernen die | |
| Kurven von allen Seiten, die keine Preise vergleichen. Plötzlich ist die | |
| Google-Kurve wieder oben. | |
| Die Schreiben mit der Beschwerde der EU-Kommission sind gerade verschickt | |
| worden. Google hatte bis Ende Juni Zeit zu antworten. Seine Anwälte haben | |
| in dieser Woche eine Verlängerung der Frist bis Mitte August erreicht. | |
| Der nächste Schritt könnte eine Anhörung in Brüssel sein. Alle tragen noch | |
| einmal ihre Argumente vor. | |
| Dann fällt die Kommissarin ihre Entscheidung. | |
| Google Shopping ist in Googles Trefferlisten präsent wie nie, hat der | |
| Dienst Searchmetrics gerade festgestellt, der den Suchmaschinenkonzern | |
| beobachtet. | |
| Vielleicht versuchen sie bei Google die Konkurrenz mit aller Macht | |
| verschwinden zu lassen, mutmaßen manche Kläger. Bevor die EU-Kommission | |
| einschreitet. | |
| Johannes Gernert,35, ist Redakteur der taz.am wochenende. Er kauft | |
| Bratpfannen bei Ikea | |
| Christian Barthold,47, ist freier Illustrator. Er findet Google viel | |
| effizienter als die Konkurrenz | |
| 4 Jul 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Johannes Gernert | |
| Christian Barthold | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |