# taz.de -- DER AUTOPAPST Als Kind entwickelte Andreas Keßler eine Vorliebe f�… | |
Bild: Autopapst Andreas Keßler: „Beim Arzt hat der Mann einen weißen Kittel… | |
Interview Torsten LandsbergFotos Dagmar Morath | |
taz: Herr Keßler, wie sind Sie heute hergekommen? | |
Andreas Keßler: Mit meinem Auto über den Stadtring. Es gibt andere | |
Uhrzeiten, bei denen ich es mir genau überlege und mit einem anderen | |
Verkehrsmittel fahre. | |
Welches Auto haben Sie gewählt? | |
Meinen 20 Jahre alten 5er BMW, der jetzt 415.000 Kilometer auf der Uhr hat. | |
Wie viele Autos haben Sie eigentlich? | |
Zwei fahrbereite, der andere ist ein 3er BMW von 1976. Die anderen habe ich | |
lange nicht gezählt, zweistellig auf jeden Fall. Ich hab in Brandenburg | |
eine Halle, da stehen die. | |
Zwei alte Autos, wahrscheinlich Spritfresser, die auch ordentlich was | |
rauspusten? | |
Jein, der 20 Jahre alte hat schon Euro 2 und eine Gasanlage mit Umweltgas, | |
da achte ich drauf. Aber so viel mehr verbrauchen alte Autos gar nicht. | |
Moderne Autos sind auf dem Prüfstand fabelhaft, wenn man mit denen aber | |
Langstrecke fährt, ist man –ruckzuck! – bei den gleichen Werten wie vor 20 | |
Jahren. Da wird eine Menge geschummelt, wenn immer gesagt wird, dass | |
moderne Autos umweltfreundlich sind. | |
Zu den Stoßzeiten lassen Sie das Auto stehen? | |
Fahre ich in die Innenstadt, nach Mitte, dann nehm ich die S-Bahn. Ich bin | |
schneller da und hab keinen Ärger, Parkplatzsuche ist für mich tödlich! Zum | |
Glück haben wir so viele verschiedene Mobilitätskonzepte: zu Fuß gehen, | |
Fahrradfahren, Taxi, Carsharing. Man sieht ja beim Bahnstreik, was | |
passiert, wenn mal eins wegfällt. Und wer es vermag, die Konzepte | |
intelligent zu vernetzen, ist in einer glücklichen Lage. | |
Genießen Sie jede Fahrt? Oder werden Sie bei Staus aggressiv? | |
Wenn man zu den Stoßzeiten in die Stadt fahren muss, kann man das nicht | |
genießen, ich werde krank dabei, das mache ich nie. Die Lemmingrouten gilt | |
es zu vermeiden. Und wenn man mit einem alten Schätzchen unterwegs ist: Die | |
sind nicht für unseren heutigen Stoßverkehr geeignet. Die werden dann heiß | |
oder die Gänge gehen nicht mehr rein. | |
Der ausgestreckte Mittelfinger ist Ihnen fremd? | |
Die Zeiten sind vorbei. Als Fahranfänger in der Sturm-und-Drang-Zeit, aber | |
das ist lange her. | |
Sie haben das Autofahren in Berlin gelernt. | |
Ja, in der damals ummauerten Stadt. Nichtberliner fragten immer: „Wie | |
hältst du denn das aus, fährst ja immer gegen die Mauer?“ Haben wir damals | |
nicht gemerkt, selbst Westberlin war so groß. Außerdem gab’s die Avus, da | |
konnte man so schnell fahren, wie man wollte. Entsprechend hoch war auch | |
der Blutzoll, insbesondere bei den Motorradfahrern. Die Babyboomer, die | |
damals den Motorradführerschein machten, allein bei mir sind noch zu | |
Schulzeiten drei oder vier ums Leben gekommen. In der Zeit wurde erst die | |
Helmpflicht eingeführt, irgendwann kam die Gurtpflicht. Das waren alles | |
Sachen, die gab es in den 70ern nicht. | |
Das Auto hat in Berlin heute nicht mehr das beste Image. | |
Das Auto war immer schon ideologisch belastet. Es gab immer die mit den | |
Autos und die ohne, die entweder bewusst kein Auto fahren oder sich keins | |
leisten können. Auf der Mobilität liegen schließlich extreme Abgaben. | |
Gerade Metropolenbewohner sagen: Was hab ich davon? Eine Menge Ärger: kein | |
Parkplatz, Kredit abbezahlen, es muss in die Werkstatt, zum TÜV. Wenn ich | |
mobil sein will, mache ich Carsharing. Andere sagen: „Ein eigenes wäre auch | |
nicht schlecht“ und kaufen einen Oldtimer. Der ist nicht teuer, verliert | |
nicht an Wert und sieht lustig aus: Eine quietschbunte 70er-Jahre-Karre | |
wird immer gern gefahren und der Mehrverbrauch ist klein, weil man ja nur | |
am Wochenende fährt. Wenn man unter der Woche mal in Prenzlauer Berg durch | |
die Straßen geht, das ist das reinste Oldtimermuseum. Das ist fast schon | |
ein nachhaltiger Ansatz, denn jetzt kommen auch schon Kat-Autos in die | |
Oldtimerphase rein. | |
Manchen ist unverständlich, warum ein einzelner Mensch mit einem großen | |
Auto individuell in der Stadt unterwegs sein muss. | |
Nehmen wir mal an, man hat wenig geschlafen, draußen ist es kalt und | |
windig, bis zur S-Bahn sind es 800 Meter, da stehen lauter nasse, | |
übelriechende Leute und der mit dem Hund sitzt auch zu nah an mir dran. Da | |
denkt man: Hach, wäre ich doch bloß mit meinem Auto gefahren! Das sind rein | |
emotionale Dinge. Die meisten Leute, die wider besseres Wissen im Stau | |
stehen, wollen einfach ihre Ruhe haben: alleine sein, Musik hören und ihren | |
Gedanken nachhängen. | |
Der Stress durch Stau und Parkplatzsuche ist dann geringer als der in der | |
Bahn? | |
Das ist auch eine Art von Stress, sich auf engem Raum mit wildfremden | |
Leuten aufzuhalten, die einem vielleicht alles andere als sympathisch sind. | |
Das verstehe ich sehr gut, ich bin auch kein Freund von | |
Menschenansammlungen, insbesondere wenn ich nicht gut drauf bin. | |
Es gibt Menschen, die aus Umweltbewusstsein kein Auto haben. Ist das | |
Elektroauto in Berlin eine Alternative? | |
Also die Technologie ist toll. Allerdings ist das Elektroauto kein Ersatz | |
für eins mit Verbrennungsmotor, sondern ein zusätzliches Mobilitätskonzept. | |
Wegen der geringen Laufleistung der Akkus? | |
Die durchschnittliche Tagesfahrleistung in der Stadt würde jeder Akku | |
locker schaffen. Aber die Ladeinfrastruktur existiert nicht, die ist | |
technisch-physikalisch nicht so ohne weiteres herzustellen. Und zum anderen | |
ist die administrative Seite teilweise gar nicht willens, sie zu schaffen. | |
Es gibt in Berlin Bezirke, die sagen: Wir weisen hier keine Standorte für | |
Ladesäulen aus, wir haben schon zu wenig Parkplätze. | |
Und die Netzbetreiber? | |
Die sind auch verhalten. So eine Ladesäule kostet rund 10.000 Euro, die | |
kriegen sie nie wieder rein, im Gegenteil: Wenn die drei Tage dasteht, hat | |
der erste Hund in die Steckdose gepullert, Kurzschluss, muss der Techniker | |
kommen, sind wieder 500 Euro weg. | |
Was ist denn eigentlich nötig, um die verschiedenen Möglichkeiten der | |
Mobilität miteinander zu verbinden? | |
Nehmen wir an, es wohnt jemand in Teltow oder Oranienburg und arbeitet in | |
Mitte. Der fährt mit seinem Auto an eine S-Bahn-Station in der Nähe, parkt | |
sein Auto, steigt in die Bahn und fährt entspannt zum Arbeitsplatz … | |
… klassisches Park-and-ride. | |
Genau. Nur muss das möglich sein. Es gibt aber Kommunen und Bezirke, die | |
führen rund um die Bahnhöfe eine Parkraumbewirtschaftung ein. Weil so eine | |
hohe Nachfrage nach Parkraum besteht. Kann man so machen, wenn man | |
unternehmerisch denkt, nur wird damit eine intelligente Facette der | |
Mobilitätsplanung ad absurdum geführt. Denn was macht der Mensch? Er fährt | |
eben doch mit dem Auto und verstopft die Straße, weil das Parken am Bahnhof | |
über den Tag teurer ist. | |
Aber die Bereitschaft, das Auto abzustellen, wäre da? | |
Unbedingt! An den Umland-S-Bahnhöfen finden Sie rundherum keinen Parkplatz, | |
die sind knackevoll. Es fehlt auch an Fahrradparkplätzen. Die großen | |
Bahnhöfe sind ein reiner Drahtdschungel, man kann nicht mal mehr am | |
Verkehrsschild in zwei Meter Höhe sein Rad abschließen. | |
Wenn es um Mobilität in der Stadt geht, sehen politische Vorstöße mitunter | |
so aus wie kürzlich rund um den Helmholtzplatz. In Prenzlauer Berg sollten | |
zugunsten von Elektroautos einen Monat lang keine herkömmlichen Autos | |
fahren dürfen. Nur die Anwohner wurden nicht gefragt. | |
Solche Ideen entstehen am grünen Tisch. Warum nutze ich die | |
Crowdintelligence nicht aus? Die Leute, die davon betroffen sind, haben | |
auch Ideen, die können viel besser sein. Es gäbe doch Möglichkeiten, zum | |
Beispiel eine Citymaut wie in London, wo sich der Verkehr deutlich | |
harmonisiert hat. Die könnte man als Jahresvignette ausgeben, die | |
gleichzeitig Umweltkarte ist. Die BVG hätte mehr Einnahmen und viele Leute | |
würden sich denken: Ich lass das Auto stehen, die Karte hab ich ja sowieso. | |
Aber in der Stadt wird immer von der Maximierung der Einnahmen ausgegangen. | |
Die Umweltzone halten Sie für Quatsch. | |
Die Kommunen und Länder müssen etwas tun, weil es EU-Vorgaben gibt. Sie | |
hätten auch jeden Tag einen mit einem feuchten Lappen über die Kreuzung | |
wischen lassen können. Der Senat geht theoretisch vor: Sie rechnen, wie | |
viele schadstoffstarke Autos jetzt ausgeschlossen sind, wie viele | |
Schadstoffe diese Autos theoretisch emittiert hätten und ziehen die dann | |
ab: Wir haben 45 Prozent weniger Feinstaub, weil 45 Prozent weniger | |
schadstoffstarke Autos in die Zone reinfahren dürfen. Nur wenn man dann | |
einen Schnorchel in die Luft hält und misst, gibt es faktisch keine | |
Veränderung. Denn die Grenzwerte werden immer noch zu oft überschritten. | |
Manche Menschen hängen emotional an ihrem Auto, geben ihm sogar einen | |
Namen. | |
Wenn ich dabei bin, wenn jemand sein Auto verkauft, rollen bei den Frauen | |
immer Tränen. Autos, die ans Herz gewachsen sind, mit denen man durch dick | |
und dünn gefahren ist, sind gute Autos. Walter Röhrl, der | |
Rallyeweltmeister, hat mal gesagt: „Man kann ein Auto nicht wie einen | |
Menschen behandeln, ein Auto braucht Liebe.“ Aber das stirbt aus. | |
Wieso? | |
Wer vor 30, 40 Jahren als Kind beim Vater oder Opa mitgefahren ist: Diese | |
Erinnerungen verblassen nie. Wenn man ein neues Auto anguckt, diese | |
Massenautos, die leider superähnlich sind, leasinggrau und leasingschwarz: | |
auf dem Supermarktparkplatz, im Halbdunkel, wenn es regnet, findet man sein | |
Auto gar nicht wieder. Da muss man auf die Fernbedienung drücken und sehen, | |
wo es blinkt. Die internationalen Autodesigns sehen alle kacke aus. | |
Ist der Deutsche zu unentspannt mit seinem Auto? | |
Ja, total! Man fährt in eine Parklücke und setzt dem hinter einem einen | |
kleinen Stupser und dem vorne auch noch, da kriegen die meisten einen | |
Blutsturz, weil möglicherweise eine kleine Schramme an der lackierten | |
Prallfläche ist. | |
In Frankreich gehört das als bise als Stoßstangenkuss zum guten Ton. | |
Da ist das ganz normal. Warum müssen Prallflächen eigentlich lackiert sein, | |
das schließt sich doch eigentlich aus? Jetzt gibt es natürlich | |
Fußgängerschutzvorschriften, die völlig zu recht existieren, das muss man | |
technisch lösen. Aber dass man bei jedem kleinen Parkrempler gleich einen | |
800-Euro-Schaden verursacht, das ist völlig gaga. Aber der Deutsche | |
reagiert so: Oh, mein Auto hat‚ne Schramme, ich kann nachts nicht mehr | |
schlafen! | |
Lässt sich der Ursprung Ihres Autofaibles rekonstruieren? | |
Ich bin mal mit meinen Eltern im Bayerischen Wald spazieren gegangen, eher | |
widerwillig. Dann kamen wir an so einem Schrottplatz mit zehn überwucherten | |
Autos vorbei, damals war es tatsächlich noch so, dass die Landbevölkerung | |
ihre alten Sachen einfach in den Wald gekippt hat. Ich war euphorisiert: Da | |
gibt’s was zu klettern und zu basteln. So fing es an. Dann hab ich alte | |
Bedienungsanleitungen, Radkappen oder mal einen Mercedes-Stern gesammelt. | |
Und als ich lesen konnte, hab ich auto motor sport verschlungen, und dann | |
gab es noch meinen Onkel, der für damalige Verhältnisse viele | |
unterschiedliche Autos fuhr, und der hatte Freunde, die eine Werkstatt | |
hatten. | |
Sie haben Maschinenbau studiert. Schon mit dem Ziel, in die Autobranche zu | |
gehen? | |
Ja, ich hätte auch gerne Fahrzeugbau studiert, das gab es aber in Berlin | |
nicht. Während des Studiums hab ich alte Karren gekauft, übern TÜV | |
geschweißt und wieder verhökert zur Studienfinanzierung. | |
Sie haben Schindluder getrieben? | |
Das ist relativ. Immerhin hatten die ja eine reguläre, gültige | |
Hauptuntersuchung in der Prüfstelle. Ich hab damals auch an Freunde Autos | |
verkauft, mit denen ich zum Teil heute noch befreundet bin. Danach hab ich | |
angefangen, S-Klassen und Porsches nach Amerika zu exportieren, Mitte der | |
80er. Das war ein Riesengeschäft, was dazu führte, dass sich mein Studium | |
deutlich verlängert hat. Ich hab ein Feriensemester genommen, geschäftlich. | |
Fand die Uni nicht mal schlecht, im Ausland Erfahrungen sammeln. | |
Nach dem Studium sind Sie aber nicht in der Werkstatt, sondern am Theater | |
gelandet. | |
Ja, auch über eine Autoconnection. Ich war dann in der technischen Leitung | |
des Hebbel-Theaters. Das war eine Faszination, die der des Autos kaum | |
nachstand. | |
Der Schritt in den Motorjournalismus liegt da nicht so nahe. | |
Eines Montagmorgens räume ich im Theater von der Sonntagsshow auf. Da | |
klingelt das Telefon, eine Kollegin ist dran und sagt: Die haben hier einen | |
neuen Sender eröffnet, und am nächsten Sonnabend ist eine Auto-Talkshow, | |
kannst du die nicht moderieren? Glaubt einem heute kein Mensch. War | |
natürlich ein totaler Schiffbruch, man kann nicht ohne Erfahrung eine | |
dreistündige Talkshow machen. | |
Wer hat Sie denn zum Autopapst ernannt? | |
Das war Zufall. Es gab mal eine öffentliche Sendung meines damaligen | |
Senders, ein Fotograf stand hinter mir und sagte zu sich selbst: „Verdammt | |
noch mal, wo ist denn jetzt dieser Autopapst?“ Den Begriff hat dann Robert | |
Skuppin von radioeins verwurstet, augenzwinkernd: Audienz beim Autopapst, | |
hier in Berlin, der konfessionslosen Heidenwelt. Nicht überall ist das | |
gleich lustig. Beim ZDF in Mainz hieß es: Das lassen wir mal lieber weg. | |
Warum rufen die Leute bei Ihrer Sendung an? Sie geben eine Ferndiagnose, | |
die kann richtig sein oder falsch. In die Werkstatt muss das Auto aber | |
trotzdem. | |
Na ja, wenn der Normalmensch ein Problem mit seinem Vehikel hat, denkt er | |
als Erstes: Mist, teuer! Beim Arzt hat der Mann einen weißen Kittel an, in | |
der Werkstatt einen blauen, beide erzählen mit sorgenvoller Miene irgendwas | |
Unverständliches. Und später klappert’s immer noch. Und weil das fast jeder | |
schon erlebt hat, wird er zum kritischen Verbraucher: Bevor ich zum Mann im | |
blauen Kittel gehe, frag ich doch mal nach, was ungefähr auf mich zukommt. | |
Brauch ich einen Austauschmotor oder reicht Luftdruckauffüllen auf der | |
Hinterachse? | |
Kennen Sie jedes Auto? | |
Bei Weitem nicht, aber: Ein Auto hat in aller Regel vier Räder, die sind | |
schwarz, aus Gummi und reichen bis zur Erde, und irgendwo sitzt ein | |
Zerknalltreibling drin. Es wird überall nur mit Wasser gekocht. | |
4 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Torsten Landsberg | |
Dagmar Morath | |
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