# taz.de -- HAUSBESUCH Barbara Staudacher und Heinz Högerle wohnen in Horb am … | |
Bild: Bereit, Verantwortung für die Geschichte zu übernehmen: Barbara Staudac… | |
von Lena Müssigmann (Text)und Maria Hopp (Fotos) | |
Horb am Neckar: Zu Besuch bei Barbara Staudacher und Heinz Högerle. | |
Draußen: Mit strahlend weißer Fassade und grünen Fensterläden steht das | |
große, fünfgeschossige Haus an der Ecke, als sei es von zwei Straßen in den | |
Schwitzkasten genommen worden. | |
Drin: Seit drei Jahren wohnen Barbara Staudacher und Heinz Högerle im | |
dritten Stock. Hell ist es hier, dunkel ist nur das Parkett. In einem | |
einzigen Raum sind Küche, Ess- und Wohnzimmer untergebracht. In der Ecke | |
steht ein Radio mit großen Drehknöpfen („Aus dem haben wir schon gehört, | |
dass Kohl Kanzler vom vereinigten Deutschland wird“). Vom Zimmer kommt man | |
auf eine Dachterrasse mit Blick auf Högerles Gemüsegarten. Die | |
Bohnenstangen sind grün umrankt. | |
Wer macht was? „Wir sind Rentner!“, sagt Barbara Staudacher. „Wir sind ec… | |
glücklich. Jetzt machen wir nur noch Gedenkstättenarbeit.“ Barbara | |
Staudacher und Heinz Högerle erforschen seit Jahren für einen Verein die | |
jüdische Geschichte der Region rund um Horb. Das nahe gelegene Dorf | |
Rexingen war bis in die 1930er Jahre das religiöse Zentrum einer der | |
größten jüdischen Landgemeinden Württembergs. | |
Wer denkt was? Staudacher und Högerle sind viel an Schulen, um mit | |
Jugendlichen über das Schicksal der deutschen Juden im Zweiten Weltkrieg zu | |
sprechen. Sie diskutieren mit den Schulkindern oft darüber, ob man die | |
Namen der Täter von damals heute kenntlich oder unkenntlich machen sollte. | |
„Je älter die Jugendlichen sind, desto eher sagen sie, dass es ihnen | |
unangenehm wäre, wenn ihr Familienname irgendwo auftaucht. Die Scheu ist | |
noch immer da.“ Högerle sagt: „Wir stellen das fest. Es fehlt eine | |
Diskussionskultur zu diesem Thema.“ | |
Barbara Staudacher: Sie hat in Stuttgart gelebt, bis sie 20 Jahre alt war. | |
Dann heiratete sie „den Herrn Keller, das war ein Autonarr. Er hatte einen | |
Fiat 500 mit Rallyestreifen und war so groß, dass er mit den Knien lenken | |
konnte“. Sie kann inzwischen sagen: „Das war eine lustige Ehe.“ Damals ha… | |
sie aber schnell die Nase voll gehabt. Sie trennten sich. Die gemeinsame | |
Tochter ist 51 Jahre alt und lebt mit ihrer Frau in einem kleinen Dorf auf | |
der Alb („sehr glücklich, sehr akzeptiert“). Barbara Staudacher ist | |
gelernte Buchhändlerin, hatte eine Zeit lang ihre eigen Buchhandlung in | |
Stuttgart. Mit Högerle zusammen hat sie einen Kleinverlag gegründet („als | |
wir uns endlich im Alter kennengelernt haben“). | |
Heinz Högerle: Er ist auf den Fildern am Rand des Stuttgarter Talkessels | |
aufgewachsen, hat Schriftsetzer gelernt – in den letzten Tagen des | |
Bleisatzes. In einem Jura Verlag konnte er sein kreatives Potenzial nicht | |
ausleben. „Besser wurde es im ehrwürdigen Gustav Fischer Verlag in | |
Stuttgart-Hohenheim.“ Dort arbeitete er bald nur halbtags, um freie | |
Projekte nebenbei zu realisieren („mit meinem ersten Apple“). 2001 hat er | |
sich selbständig gemacht. | |
Das erste Date: Bei Optik Martin in Stuttgart haben sie sich kennengelernt. | |
Vor 27 Jahren. Heinz Högerle hat damals in seiner Freizeit Puppenmöbel | |
gebaut „richtig schön, mit gedrechselten Beinen“, die er im Schaufenster | |
des Optikers ausstellte („Man konnte ein nobles Brillengestell auf so einem | |
Tisch dekorieren“). Damals arbeitete Staudacher dort als Empfangsdame. Sie | |
entdeckte die neue Dekoration („Wow!“) mit den kleinen Schildern „von Hei… | |
Högerle“. | |
Zur gleichen Zeit fuhr Staudachers Tochter per Mitfahrgelegenheit aus | |
Stuttgart in die Schweiz – zufällig in dem Auto von Högerle. Die zwei | |
verstanden sich gut. Die Tochter nahm Högerle noch mit auf ein Fest. Auf | |
dem Fest vergaß er seine Jacke. Die Tochter wusste von Högerles Ausstellung | |
bei Optik Martin und bat ihre Mutter später, ihm die Jacke zurückzugeben. | |
Als Högerle seine Puppenmöbel bei Optik Martin abholte, sprach Barbara | |
Staudacher ihn an. „Im Jil-Sander-Kostüm! Meine Kolleginnen haben immer | |
gesagt, ich sei von Trockeneisnebel umhüllt auf Heinz zugeschwebt.“ Die | |
beiden werden ein Paar. „Wir waren so wahnsinnig verliebt.“ | |
Heiraten? „Wir haben immer gesagt, wenn wir alt sind, heiraten wir“, sagt | |
Staudacher. | |
Das Haus: Im Erdgeschoss befand sich in den 30er Jahren der jüdische | |
Betsaal von Horb; eine Synagoge gab es im Städtchen nicht. 1938 haben | |
Horber Gymnasiasten („unter Anleitung ihres SA-Kunstlehrers“) den Betsaal | |
zerstört. Später wurden Wände eingezogen und die Räume als Wohnungen | |
genutzt. 2004 sollte das heruntergekommene Haus („eine Schande“) verkauft | |
und sogar abgerissen werden. Unter Beteiligung von Staudacher und Högerle | |
hat eine Stiftung es gekauft und den historischen Ort wiederhergestellt | |
(„Durch das Arbeiten hat man eine enge Beziehung zu dem Haus“). Im Betsaal | |
betreiben die beiden mit dem Gedenkverein nun ein Museum, zwei Etagen | |
darüber wohnen sie. | |
Der Alltag: Mit den Deutschlandfunknachrichten um sechs oder halb sieben | |
beginnt ihr gemeinsamer Tag. Högerle geht anschließend im Schlafanzug zum | |
Briefkasten, die Zeitung holen. Barbara Staudacher macht Müsli. Später | |
gehen sie zusammen in ihr Verlagsbüro zwei Orte weiter. „Manchmal machen | |
wir Listen, was wir alles machen müssen.“ Die Mittagspause gibt es | |
konsequent „mit Schläfchen – von zwölf bis zwei“. Zurück im Büro, gil… | |
end. „Abends hocken wir dann hier wieder zusammen in der Wohnung“, sagt | |
Staudacher. „Wir haben einen ziemlichen Gleichklang.“ Auch abends lesen sie | |
viel. „Einen Fernseher brauchen wir nicht, das saugt dich so auf“, sagt | |
Högerle. | |
Wie finden Sie Merkel? Barbara Staudacher meint: „Merkel gehört zur | |
Staatsräson.“ Sie will damit auf einen vieldiskutierten Satz der Kanzlerin | |
anspielen, die sagte, das Existenzrecht Israels gehöre zur Staatsräson. | |
Heinz Högerle sagt: „Merkel manövriert den deutschen Tanker, ohne viel | |
anzuecken, durch die Krise. Oft geht es nur noch um uns Deutsche, nicht um | |
Europa. Das ist eigentlich chauvinistisch.“ | |
Wann sind Sie glücklich? Heinz Högerle: „Ich bin glücklich, wenn die Bohnen | |
wachsen und die Schnecken die am Leben lassen.“ Barbara Staudacher: „Wenn | |
ich morgens am Esstisch sitze und auf den Neckar runterschaue. Der sieht | |
jeden Tag anders aus. Heute kräuselig und grün. Das Beste ist, wenn in dem | |
Moment dann noch die Schwäne vorbeischwimmen.“ | |
Sie wollenauch besucht werden? Senden Sie eine Mail an: [email protected] | |
27 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Lena Müssigmann | |
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