# taz.de -- Björk: Auszeit für die Assoziationsmaschine | |
> Mit "Volta" kehrt Björk Gudmundsdottir glücklich auf die Erde zurück und | |
> verabschiedet sich endlich von den eigenen Klischees. | |
Bild: Sieht so Avantgarde aus? | |
Jetzt wird wieder viel geschrieben werden über Elfen und Trolle. Spuckende | |
Geysire werden als Metaphern herhalten müssen, Märchenfeen und | |
Meerjungfrauen werden durch die Zeilen wabern. Der Anlass ist, dass eine | |
gewisse Frau Gudmundsdottir ihre erste neue Platte nach drei Jahren | |
veröffentlicht. Mit der Folge, dass die bekannte Assoziationsmaschine | |
unerbittlich losrattert. | |
Und es ist ja was dran. Auch auf "Volta" erfüllt Björk die allseits | |
abgesicherten Klischees ihrer selbst, wuseln absonderliche Geräusche durch | |
die Musik, tutende Schiffe oder vorbeirasende Züge, zwitschernde Vögel und | |
prasselnder Regen. Andererseits aber ist dieses Album, ihr sechstes, auch | |
ihr womöglich diesseitigstes geworden: Musikalisch recht handfest, mit | |
bisweilen kräftigen Rhythmen und zeitgemäßen Texten über Religion, ihre | |
Mutterrolle, eine schwangere Selbstmordattentäterin und eine erlittene | |
Lungenentzündung. | |
Die isländische Ikone lebt in Reykjavík, New York und London und reiste für | |
"Volta" durch die Welt. "This relentless restlessness liberates me", singt | |
sie in "Wanderlust". Diese "unbarmherzige Rastlosigkeit" führte sie nach | |
Jamaika und Tunesien, Malta und Mali. Dort traf sie Kollaborationspartner, | |
fand seltsame Klänge und neue Ideen. Vielleicht deshalb ist "Volta" im | |
Vergleich zu ihren beiden letzten Platten, die - auch aufgrund mütterlicher | |
Verpflichtungen - fast ausschließlich im Heimstudio aufgenommen wurden, | |
sehr viel irdischer und urbaner geraten. "Vespertine" von 2001 wurde | |
dominiert von Streichern und Harfen, war ein Winteralbum, fand die | |
Urheberin damals selbst, erzählte von Abgeschlossenheit. Drei Jahre später, | |
für "Medulla", verzichtete Björk nahezu völlig auf Instrumente und baute | |
allein auf Stimme, ihre und andere. So ätherisch, so körperlos ist "Volta" | |
lange nicht. Das macht allerspätestens "Declare Independence" klar, ein | |
atonal schabendes Noiserock-Monster mit einem ungewohnt stumpfen 4/4-Takt, | |
in dem Björk überraschend wieder so räudig und rüde klingt wie die | |
Punksängerin, die sie einmal war: "Raise your flag!", kreischt sie, Flagge | |
soll man zeigen, die eigene Unabhängigkeit erklären. | |
Das Stück ist zwar der Extrempunkt des Albums, aber doch symptomatisch. | |
Denn schon zuvor, in Songs wie "Innocence" oder "Earth Intruders", klappern | |
die Rhythmusmaschinen wie lange nicht bei Björk. Verantwortlich dafür ist | |
vor allem Timbaland, der, bevor er Justin Timberlake und Nelly Furtado an | |
die Spitze der Charts produzierte, zusammen mit Björk schnell ein paar | |
Beats gebastelt hatte. | |
Die Gerüchte aber, die zwischenzeitlich im Internet kursierten, Björk würde | |
mit Timbalands Hilfe ein Rap-Album aufnehmen, hätten kaum irreführender | |
sein können. Umstandslos integriert die mittlerweile 41-Jährige auch die | |
Zuarbeiten des aktuell angesagtesten Produzenten weltweit in ihren Kosmos. | |
All die Partner, neben Timbaland noch Konono N°1 aus dem Kongo oder der | |
malische Kora-Spieler Toumani Diabaté, die chinesische Pipa-Virtuosin Min | |
Xiao-Fen, Mark Bell von der Dance-Combo LFO und eine isländische | |
Bläser-Sektion, fügen sich weitgehend widerspruchslos in die versponnene | |
Björk-Welt. Selbst die Beiträge der beiden Schlagzeuger Chris Corsano und | |
Brian Chippendale, die sich ohne jede Vorgabe in Free-Jazz-Manier austoben | |
durften, werden problemlos assimiliert. Und Björk bringt sogar Antony | |
Hegarty, der sonst als Antony and the Johnsons ausschließlich Wohlklang in | |
Moll produziert, dazu, so schräg synkopiert zu singen wie sie selbst. | |
Über das Ergebnis kann man, wie so oft bei Björk, geteilter Meinung sein. | |
Was dem einen avantgardistisch erscheint, ist dem anderen nur nervtötend. | |
Objektiv erstaunlich aber ist wie stets ihre Fähigkeit, sich zwar | |
einerseits auf der Höhe der Zeit zu verorten, andererseits aber nicht die | |
geringsten Zugeständnisse an den Zeitgeschmack zu machen. Und damit auch | |
noch Massenerfolg zu haben. Das ist dann wirklich seltsam. | |
Björk: "Volta" (Polydor/Universal) | |
4 May 2007 | |
## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
Thomas Winkler | |
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