# taz.de -- Deutsch-iranischer Frauenfußball: Regimekritik unter Fußballfans | |
> Beim Teheraner Fadjr-Festival gibt es viele kritische Gesten, aber auch | |
> Unterstützung für Präsident Mahmud Ahmadinedschad. Eindrücke von der | |
> Veranstaltung | |
Bild: Ob die Partie überhaupt stattfinden könnte, war lange unklar … | |
VON DOROTHEA MARCUS | |
Warum gab es in Teheran letztens eine Wasserknappheit? Der Präsident hat | |
endlich ein Bad genommen! Warum gab es Cholerafälle, als Ahmadinedschad an | |
die Macht kam? Weil er zur Feier des Tages seine alten Socken in den Kanal | |
warf! Das Erste, wovon uns Iraner erzählen, sind die Witze. Sie kursieren | |
in 90 Prozent aller SMS-Botschaften. Nun versucht der iranische Präsident, | |
ein Kontrollsystem für Mobiltelefone zu entwickeln - aber er hat genug | |
damit zu tun, das Internet zu kontrollieren und die NGOs zu bespitzeln. Im | |
Iran werden immer neue Webseiten blockiert, allein 90 Prozent der | |
feministischen Seiten - während wir da waren, kam die persische BBC-Seite | |
dazu. | |
Wenn man zu Hause erzählt, dass man in den Iran fährt, kann man auf die | |
Standardfrage "Hast du keine Angst?" wetten. Seit Ahmadinedschad jeden Tag | |
mit provokativen Bonmots in den Schlagzeilen steht, können sich | |
Iranunkundige kaum vorstellen, dass in Teheran so etwas Harmloses wie das | |
größte Theaterfestival im Mittleren Osten stattfindet. Der Iran, dessen | |
Bevölkerung zu 70 Prozent aus Menschen unter 35 besteht, ist ein absolut | |
sicheres Reiseziel - und macht zudem süchtig. | |
Denn es gibt kaum einen Ort im Vorderen Orient, wo es eine so große Schicht | |
kulturinteressierter, offener und gebildeter Menschen gibt. "Hier kann man | |
nicht anders, als Künstler zu werden", sagt eine junge Frau im | |
Stadttheater, die eigentlich Buchhalterin ist. Es summt und braust im | |
runden Theaterbau, etwa 15.000 Zuschauer hat das Festival, die Plakate | |
hängen weit sichtbar im Stadtbild, schon nachmittags bilden sich Schlangen | |
vor den Kassen. Das Fadjr-Festival wurde 1983 als Feier der Revolution | |
gegründet, eine "Morgenröte", (so "Fadjr" auf Deutsch), die zehn Tage | |
dauert. Auf den ersten Blick ist es dieses Jahr viel besser organisiert als | |
sonst. Das Festivalprogramm auf Englisch war schon eine Woche vorher da, | |
der Katalog bereits fertig - allerdings blicken Chomeini und Chamenei zum | |
ersten Mal streng aus den Seiten und rufen zum islamischen Theater auf. | |
Auch Ahmadinedschad, der angeblich das Theater liebt, hat ein Grußwort | |
geschrieben: Theater soll vor allem religiöses Wissen in die Welt bringen. | |
Davon ist im Festivalprogramm nicht viel zu merken. Sunny im iranischen | |
Stück "F.A.N.S." tanzt zu den frivolen Klängen von Vanessa Paradis, wenn | |
sein älterer Bruder nicht guckt - dabei hat der Präsident gerade westliche | |
Musik verboten. Sunny ist ein wenig zurückgeblieben, aber noch hell genug, | |
um mit seiner Schwester Agnes und der Schwägerin Nancy Fans von Manchester | |
United zu sein. "F.A.N.S" von Mohammad Rahmanian wird auf der größten der | |
zwölf Festivalbühnen gegeben und ist seit 40 Vorstellungen ausverkauft. | |
Eine doppelbödige Metapher: Der älteste Bruder Fanny ist so vernarrt in | |
ManU, dass er dafür über Leichen geht. Er klaut den Pokal, als sie | |
verlieren, bricht seiner Frau den Arm, als sie ihn zurückhalten will, | |
verbietet seiner Schwester den Frauenfußball - und treibt Sunny in den | |
Selbstmord, als er nicht spurt. | |
Tod oder Exil - etwas anderes gibt es nicht, um seinem Fußballfanatismus zu | |
entkommen. Für Iraner ist völlig klar, dass der schwarzgekleidete Fan Fanny | |
für den religiösen Fundamentalismus der iranischen Regierung steht - sie | |
amüsieren sich prächtig. Eine freche Gleichung: Iraner, die ja selbst den | |
Fußball über alles lieben, führen vor, wohin übersteigertes Lieben führen - | |
und auch wenn sie die Sachlage in eine englische Familie verlegen, bleibt | |
klar, wer gemeint ist. | |
Auch andere der rund 60 Stücke brechen mit Erwartungen, die man als | |
westlicher Besucher vielleicht mitbringt. Keine USA-feindlichen oder | |
märtyrerverherrlichenden Stücke weit und breit - sondern Antikriegsstücke. | |
In "Schlacht" von Sasan Ghajar malträtieren zwei Soldaten, es könnten | |
amerikanische oder iranische sein, einen stummen Mann. Er sieht aus wie ein | |
Heiliger -vielleicht Mohammed. Oder Jesus. Die Intensität der Folter | |
steigert sich, da sich der Mann schweigend immer wieder aufrichtet - bis | |
sich die Soldaten selbst erschießen. | |
In "2 Quadratmeter Krieg" kämpfen vier Soldaten slapstickartig um jeden | |
Zentimeter eines Spielfelds, den sie hinter ihrem Rücken wieder an den | |
Feind verlieren - bis sie entdecken, dass sie schon tot sind und nur noch | |
Schattenkämpfe führen. Der Krieg ist in diesen Stücken nicht heroisch, | |
sondern ziemlich lächerlich - fast wie ein Reflex auf die Drohgebärden | |
zwischen Iran und dem Westen. Wenn man Regisseur Nima Deghan darauf | |
anspricht, weicht er aus. "Krieg findet auf vielen Ebenen statt - man | |
scheint ihn irgendwie zu brauchen. Können Sie mir sagen, warum Amerika im | |
Namen des Friedens andere Länder attackiert? Warum sie anderen Menschen | |
Zivilisation bringen wollen, indem sie foltern? Als ich mit einem Stück | |
nach Italien eingeladen wurde, wunderte man sich dort, dass Iraner modern | |
angezogen waren und Theater spielten. Amerika scheint ein ähnliches | |
Missverständnis zu haben." | |
Iraner sind sich schmerzhaft bewusst, wie unvereinbar Außen- und Innensicht | |
auf ihr Land auseinander klaffen. Der Künstler Mahmoud Bakhshi hat gar eine | |
Installation über den angstvollen Blick gemacht, der aus reinen | |
Oberflächenzeichen genährt wird: In "Mahmouds Driving School" stellt er | |
grafische Fahrschul-Verkehrssituationen dar, im Text darunter beschreibt er | |
terroristische Eskalationsszenarien, was ein schönes, konzeptuelles | |
Flimmern ergibt. | |
"Wir gehen durch dunkle Zeiten", sagt nicht nur die Theaterkritikerin Laleh | |
Taghian, aber sie ist die Einzige, die ihren Namen unter das Zitat setzen | |
lassen möchte. Ihr Theatermagazin wurde geschlossen. Sie erzählt, dass die | |
gesamte Kultur jetzt nach religiösen und traditionellen Werten ausgerichtet | |
wird. Dass kaum mehr Bücher veröffentlicht werden, sondern monatelang bei | |
der Zensurbehörde liegen. Dass wieder die gesamte Festivalleitung | |
ausgetauscht wurde, wie auch die Leiter der anderen Kulturbehörden. "Seit | |
24 Jahren versuchen wir, ein gutes und internationales Festival zu machen. | |
Jetzt ist es schlecht, klein und provinziell geworden, das stimmt traurig", | |
sagt sie. | |
Auch die vier deutschen Stücke - Deutschland ist so gut repräsentiert wie | |
kein anderes Land - kommen diesmal von kleinen, freien Gruppen. Doch weder | |
das Freiburger Theater im Marienbad mit dem Kinderstück "Der Teufel mit den | |
drei goldenen Haaren" noch die freie Kölner Theatergruppe "Tiefrot" mit | |
einer müden Adaption von Fellinis "La Strada" sind sehr typisch - im Iran | |
erhält man einen seltsam verschobenen Blick auf die deutsche | |
Theaterlandschaft. Einzig Anja Gronaus großartiges Einfraustück "Johanna" | |
verhandelt einen brisanten Stoff: Wo beginnt der legitime Tyrannenmord - | |
und wo schlägt er in Terror um? Der Diskussionsbedarf der Iraner ist | |
immens, aber sie beschäftigen sich vor allem mit der Form dieses Theaters - | |
zu Diskussionen über die Legitimität von Gewalt kommt es kaum. | |
Wenn man sich unter den jungen Menschen auf dem Festival bewegt, kann man | |
fast vergessen, dass diesen Präsidenten ja auch jemand gewählt haben muss. | |
Auf der Suche nach einem Ahmadinedschad-Anhänger gerate ich an einen | |
Verkäufer von Küchengeräten. Für ihn ist die Atmosphäre gerade wie zu | |
Zeiten der Revolution. "Er hat viele Feinde, aber er wird es schaffen", | |
sagt er. | |
Ahmadinedschad hat die Kreditzinsen heruntergesetzt und er hat endlich mal | |
gesagt, was viele vor ihm nur dachten: dass der Iran ein Recht auf | |
Atomenergie hat, und dass das mit den Zionisten ja wohl auf | |
Geschichtsfälschung beruht - ohnehin werden in regelmäßigen Abständen | |
Interviews mit Holocaust-Leugnern in der englischsprachigen Tehran Times | |
veröffentlicht. | |
Das ist natürlich erwartbar. Trauriger ist vielleicht, dass selbst eine | |
20-Jährige, Mitglied in einer politischen Frauengruppe, es gar nicht so | |
schlimm findet, dass Ahmadinedschad jetzt an der Regierung ist. "Er ist das | |
wahre Symbol des Regimes - unter Chatami haben sich die Menschen nur faul | |
zurückgelehnt. Jetzt werden sie aktiv und wehren sich endlich mal selber." | |
Natürlich nur, fügt sie hinzu, wenn es keinen Krieg gibt. Dass es ihn nicht | |
geben wird, daran glaubt man selbst nicht mehr so recht. | |
4 Feb 2006 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Marcus | |
## TAGS | |
Frauenfußball | |
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