# taz.de -- Trend: Französische Schlange | |
> Meine Schlange ist länger: Wer schon bei Knut war, muss für seinen | |
> Berlin-Besuch einen Abstecher in der Neuen Nationalgalerie einplanen - | |
> und sich brav anstellen. | |
Bild: Die kann sich sehen lassen: MOMA siegt! | |
Die wackeren Herzen der Bildungsreisenden können vor Freude beginnen zu | |
flimmern. Berlin hat einen neuen Publikumsmagneten der schönen Künste | |
bekommen: eine Ausstellung französischer Impressionisten. Die hängen | |
gewöhnlicherweise im Metropolitan Museum of Art in New York, weil das aber | |
renoviert wird, finden die Bilder in Berlin ein Zuhause. Nicht zufällig, | |
sondern der Berlin-meets-MoMA-Erfahrung wegen, bei der sich 2004 ansonsten | |
vernünftige Menschen dazu hergaben, länger auf Einlass zu warten, als ein | |
Flug nach New York dauert. | |
Für die derzeitige Ausstellung, die bis zum 7. Oktober in der Neuen | |
Nationalgalerie zu sehen ist, werden mindestens eine halbe Millionen | |
Besucher erwartet, was schon tief gestapelt sein dürfte, kamen doch über | |
eine Millionen zur MoMA-Show an gleicher Stelle. Damit es jetzt genauso | |
viele werden, fahren die Berliner Busse herum, als seien sie in einen | |
Luftpostumschlag gepackt worden. Weiß, rot, blau, wie eben auch die | |
Tricolore. Das Besucherpotenzial ist groß, es hat sich nämlich langsam ein | |
wenig ausgeknutet. | |
Nachdem die große Eisbären-Euphorie nachlässt, das Kindchenschema des | |
Kleinen weicht langsam härteren Gesichtszügen, braucht Berlin endlich | |
wieder ein neues Spektakel, ein neues Touristenmekka. Um als erfolgreich zu | |
gelten, sollten die "Franzosen" die Wartezeiten künstlich in die Länge | |
ziehen - auf neun Stunden mindestens. Der Teppich im Museum sollte auch | |
blank gelaufen werden, zum Stehen und Betrachten ist bei solchen | |
Veranstaltungen sowieso kein Platz. | |
Schön, könnte man denken, wenn die Menschen sich für Kunst und Knut | |
interessieren. Doch ein Ausstellungsbesuch macht noch keinen Kunstfreund. | |
Kochsendungen im TV sind erfolgreich, weil die Menschen lieber etwas | |
vorgesetzt bekommen, als sich selbst über ein Menü Gedanken zu machen. Für | |
die Kunst gilt das Gleiche: Lieber das ansehen, was alle sehen, dann muss | |
es ja was wert sein. | |
Auch ist es schließlich die Massenhysterie, die uns ins Museum treibt, | |
nicht 150 Bilder. Der kleine Teil eines ganzen Schwarms zu sein befriedigt | |
ein instinktives Rudelgefühl. Deswegen geht es ab zu Knut oder man legt zum | |
10-jährigen Todestag von Prinzessin Diana noch Blumen vor den | |
Kensington-Palast in London und verdrückt ein Tränchen. | |
Die Organisatoren der Ausstellung aber, blind auf dem Hysterie-Auge, drohen | |
sich mit verschiedenen Maßnahmen ins eigenen Fleisch zu schneiden: Ein | |
neues Ticket-System und "intelligentes" Warten, weil durch | |
SMS-Benachrichtigungen unterstützt, soll die Wartezeiten drastisch | |
reduzieren, auf andere Kunstgenüsse in der Nähe aufmerksam machen, quelle | |
dommage! Wo kommen wir denn hin, wenn jeder rumläuft, wo er will? Die | |
Besucher sollen sich schön einreihen und den Ruhm Berlins mehren. Auch die | |
Bewohner Berlins fiebern als treue Bürger von Besucherrekord zu | |
Besucherrekord. Die Stadt spielt eben nicht in der Liga der großen | |
Hauptstädte dieser Welt mit, die wirklich große Touristenattraktion, die | |
Mauer, ist weg, ein Riesenrad ist ein blasser Ersatz. | |
Wirtschaftlich ist eine lange Schlange um die Neue Nationalgalerie herum | |
sowieso ein Millionengrab: Wer ansteht, kann nicht shoppen, auch wenn der | |
Potsdamer Platz in Sichtweite ist. Gut, da ist der Museumsshop, aber der | |
federt das Ganze auch nicht ab. Die lange Schlange könnte sich aber auch | |
positiv auf die Lebensqualität in Berlin auswirken: Je mehr Touristen in | |
Reih und Glied gefangen sind, desto weniger werden in Rußpartikel-freien | |
Sightseeing-Bussen durch die Straßen gejagt. | |
2 Jun 2007 | |
## AUTOREN | |
Natalie Tenberg | |
Natalie Tenberg | |
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