# taz.de -- Kunstsommer: Documenta im Quadrat | |
> Von London in die Provinz: Im Trubel des Kunstsommers tritt die | |
> 4.Skulptur Projekte in Münster selbstbewusst gegen Kassel, Basel und | |
> Venedig an. | |
Bild: Die Kuratoren von "Skulpur Projekte" | |
Die Reise war unbequem, gefährlich und dauerte Monate, wenn nicht Jahre. | |
Sie diente weniger dem eigenen Vergnügen als der gesellschaftlichen | |
Initiation: Wer im vornehmen Kreis reüssieren wollte, musste sich mit Rom, | |
Neapel und Venedig auskennen. Für die Grand Tour, die Mutter aller | |
Bildungsreisen, wäre es im 18. Jahrhundert freilich niemanden eingefallen, | |
in die deutsche Provinz zu pilgern - selbst wenn es dort eine noch so | |
interessante aktuelle Ausstellung gegeben hätte. Was zählte, waren Italien | |
und die Antike, basta. | |
Dagegen widmet sich die aus dem Geist der Werbung wiedergeborene "Grand | |
Tour des 21. Jahrhunderts" ausschließlich der zeitgenössischen Kunst frei | |
nach dem Motto: "See (and buy) contemporary art in ten days". Die Route | |
vereint die 52. Venedig Biennale, die 38. Art Basel, die 12. documenta und | |
die 4. "Skulptur Projekte" in Münster. Dass die etablierte Baseler Messe | |
und die documenta auf der Route liegen, zumal letztere der Leitfrage | |
nachgeht, ob die Moderne unsere Antike sei, ist immerhin nachvollziehbar. | |
Aber Münster? Das Städtchen hinter dem Teutoburger Wald gilt als | |
konservativ-katholisch und dass hier alle zehn Jahre eine zeitgenössische | |
Ausstellung stattfindet, wissen trotz des hohen Renommés der Künstler und | |
Kuratoren sicher die wenigsten. Als Gewinner des findigen | |
Marketing-Konzepts für diesen Kunstsommer, das "die drei bedeutendsten | |
Ausstellungen zeitgenössischer Kunst sowie die führende Kunstmesse | |
weltweit" integriert bewirbt, steht Münster damit jetzt schon fest. | |
Tatsächlich verspricht "Skulptur Projekte" aber auch das Niveau, um mit den | |
großen Schwestern mitzuhalten. | |
"Skulptur Projekte" ist so etwas die documenta im Quadrat: Doppelt so | |
selten in einer noch kleineren Stadt, die in einen umso größeren | |
Ausnahmezustand gerät. Denn die Arbeiten - in diesem Jahr 33, es gab aber | |
auch schon doppelt so viele - verstecken sich in keinem Fridericianum oder | |
Pavillongelände, sie verteilen sich quer über die Plätze und Häuser und | |
Naherholungsgebiete der Kommune. Dass die Münsteraner sich damit zunächst | |
nicht leicht taten und manche Künstler ihr Werk nur unter Polizeischutz | |
vollenden konnten, gehört inzwischen zur Ausstellungsgeschichte. Heute ist | |
man stolz auf so manche verbliebene Skulptur, die zum neuen Wahrzeichen der | |
Stadt wurde: zum Beispiel Claes Oldenburgs "Giant Pool Balls", die wie | |
riesige Billardkugeln am nahe gelegenen Aasee liegen, oder Thomas Schüttes | |
seltsam proportionierte "Kirschensäule". Auch manche temporäre Installation | |
aus der jeweils 100 Tage währenden Schau haben sich eingeprägt. Nam June | |
Paiks "32 cars for the 20th century" etwa: Der inzwischen verstorbene | |
Altmeister der Konzept- und Medienkunst hatte 1997 32 silbergefärbte | |
Oldtimer vor dem fürstbischöflichen Schloss arrangiert, die statt eines | |
Motors alte Fernseher und Radios unter der Haube hatten und leise Mozart | |
spielten. | |
In der Extra-Klasse von Künstlern wie Thomas Schütte, Nam June Paik, Josef | |
Beuys, Richard Serra, Ulrich Rückriem, Rebecca Horn, Ilya Kabakov und Bruce | |
Nauman hat die Ausstellung stets gespielt. Sie verdankt dies ihrem Gründer | |
und bis heute amtierenden Kurator Kasper König, der als Professor an der | |
Kunstakademie in Düsseldorf, Rektor der Städelschule Frankfurt und | |
Gründungsdirektor der Ausstellungshalle Portikus in Frankfurt seinen Weg | |
machte und als heutiger Direktor des Kölner Museums Ludwig zu den | |
einflussreichsten deutschen Persönlichkeiten im Bereich zeitgenössische | |
Kunst zählt. König und sein Mitinitiator Klaus Bußmann hatten zunächst | |
einen Schwerpunkt auf amerikanische Minimal Art und Konzeptkunst gelegt, | |
sie zeigten auch Land Art und Pop Art samt deren europäischen Vertreter. | |
Medienkunst und Performance Art spielten bisher eine eher untergeordnete | |
Rolle. Dies hat sich geändert: Mit seinen Ko-Kuratorinnen Brigitte Franzen | |
vom Westfälischen Landesmuseum und Carina Plath vom Westfälischen | |
Kunstverein präsentiert König diesmal zahlreiche Film- und Videoprojekte, | |
Diskursanalytisches und Performatives. So wird Clemens von Wedemeyer, der | |
sich auf der Berlin Biennale 2006 mit der subtil zwischen Theater- und | |
Dokumentarfilm bewegenden Arbeit "Rien du tout" vorstellte, einen neuen, | |
auf Münster bezogenen Film vorstellen, ebenso wie Valérie Jouve, die sich | |
durch ihren soziologischen Blick auf Menschen und Städte auszeichnet. Der | |
israelische Videokünstler Guy Ben-Ner verwandelt Fahrräder mit Hilfe von | |
Bildschirmen und Videoplayern zu "Bildmaschinen", die in Konkurrenz mit der | |
realen Umgebung treten. Mindestens zwei Künstler gestalten ohne den Umweg | |
über die Form lieber direkt Diskussionen: Maria Pask lädt religiöse Gruppen | |
zum Gespräch in den Schlossgarten. Deimantas Narkevi?ius hatte ursprünglich | |
vor, den Kopf einer Marx-Statue aus Chemnitz nach Münster zu bringen. Die | |
frühere Karl-Marx-Stadt mochte, vielleicht wegen eines Rests Totem-Scheu, | |
den Kopf aber nicht hergeben. Für den litauischen Künstler, der jüngst auch | |
die Unruhen um den Abbau eines Weltkriegsdenkmals im benachbarten Estland | |
beobachten konnte, Stoff genug um statt dessen eine Diskussion über | |
Monumente anzusetzen. | |
Mit den Künstlerlisten der Biennale und der documenta gibt es manche | |
Überschneidung: Die nach Münster eingeladene Bildhauerin Isa Genzken etwa | |
gestaltet den deutschen Pavillon in Venedig, Andreas Siekmann ist auch in | |
Kassel präsent. Andere Künstler wie Bruce Nauman (auch er parallel zu Gast | |
in Venedig) und Thomas Schütte zitieren sich in Münster selbst als | |
Klassiker: Nauman realisiert die Arbeit "Square Depression", die er für die | |
erste Ausstellung 1977 geplant, aber nicht umgesetzt hatte: Eine 25 Meter | |
breite Senke oder "negative Pyramide", in deren Mitte der Besucher auf | |
Augenhöhe mit der Bodenkante steht. Schütte bearbeitet den Platz neu, auf | |
dem er 1987 seine berühmte "Kirschensäule" installierte. Aber diese Folie | |
von früheren und konkurrierenden Arbeiten ist unumgänglich und sollte | |
befruchtend gesehen werden. Den Alleinbesitz auf einen Künstler kann im | |
heutigen Kunstbetrieb ohnehin niemand mehr anmelden. | |
"Die Unterschiedlichkeit der Beiträge ist groß. Wir wollten das nicht durch | |
ein Motto eingrenzen", sagt König mit Blick auf den Leitsatz "Think with | |
the senses / Feel with the mind" der Biennale und die Leifragen der | |
Documenta. Im Zentrum von "Skulptur Projekte" stehe ohnehin kontinuierlich | |
das Verhältnis von Öffentlichkeit und Kunst. Die Notwendigkeit, die | |
Arbeiten an die Stadt Münster anzudocken, sei Matrix genug. Der Umgang mit | |
damit falle freilich jedes mal anders aus: "1987 ging es sehr stark um den | |
genius loci, um Münster als besonderen Ort und für was er steht. Das | |
scheint heute weniger der Fall zu sein. Münster ist das Beispiel, hier | |
findet die Verhandlung statt. 1997 ging in Richtung Infotainment, wenn auch | |
ironisch. Diesmal haben wir weniger Beiträge, eine gewisse Verlangsamung | |
und die Zuwendung zu allgemeinen, grundsätzlichen Fragen", sagt König. | |
In diesem Sinne beobachtet auch Carina Plath: "Der städtische Raum wird | |
nicht länger als Container wahrgenommen, sondern als flüchtiger Raum. | |
Dieses Unfassbare ist ein wichtiger Untersuchungsgegenstand." Der britische | |
Turner-Preis Mark Wallinger etwa wird eine hauchfeine Angelschnur in einem | |
Kreis durch die Stadt spannen. Er bezieht sich damit auf die subtilen | |
Mechanismen von Ein- und Ausgrenzung in einer Gemeinschaft, lässt | |
Assoziationen zu geschlossenen Vierteln, Ghettos und auratischen Tabu-Orten | |
anklingen. Die Amerikanerin Martha Rosler beschäftigt sich mit der | |
verdrängten Geschichte im Stadtbild von Münster: Das Bild von | |
Geschlossenheit und zur "Niedlichkeit entwerteter, biederer Schönheit", das | |
die im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstörte Stadt heute wieder | |
vermittele, soll durch den Transfer von städtebaulichen und | |
architektonischen Details in neue Zusammenhänge gestört werden. | |
Mit solchen Arbeiten, die das Selbstbild der Stadt wie den kulinarischen | |
Anspruch des Kunstkonsumenten irritieren, war man früher allerdings viel | |
stärker auf Konfrontation aus. Heute werde die Arbeiten eingehegt durch ein | |
breites Vermittlungsangebot, auf das man in Münster wie in Kassel | |
besonderen Wert legt. Ein ungewohnt hoher Anteil des Gesamtbudgets von 5,25 | |
Millionen E ist für Führungen zu Fuß oder per Fahrrad, Multimedia Guides, | |
Workshops und ein breites Angebot an Jugendliche und Kinder reserviert: | |
rund 410.000 ¤ Finanzmittel plus 300.000 ¤ Sachmittel. Rund 10 Prozent des | |
Gesamtetats fließen außerdem ins Marketing. Der Zusammenhang liegt auf der | |
Hand: Wer Grand Tour sagt, sagt eben auch Bildung und wer einen breiten | |
Strom von Touristen und Sammlern bis nach Asien, Afrika und Lateinamerika | |
ansprechen will, muss sich von Sätzen wie "Bei aller Sympathie für | |
didaktische Vermittlung wollten wir keinen kunstpädagogischen Leitfaden" | |
,oder "Der ideale Besucher dieser Ausstellung ist eigentlich nicht der | |
Teilnehmer am internationalen Kunsttourismus, obwohl auch er uns willkommen | |
ist, wenn er ein wenig Zeit mitbringt." (König 1987) verabschieden. | |
Der geballte Auftritt der Kunst in diesem Sommer kann nicht darüber | |
hinwegtäuschen, dass sie gar nicht mehr so selbstbewusst daher kommt. Man | |
spürt den schleichenden Zweifel an ihrer gesellschaftlichen Position und | |
den Wunsch nach größerer Wirkungsmacht, der von Ausstellungsmachern und | |
Künstlern jüngst häufig thematisiert wird. Vor diesem Hintergrund eint es | |
Venedig, Kassel, Basel und Münster, dass sie dem Besucher möglichst viele | |
Denk- und Organisationshilfen anbieten. Die kleinste Schwester verspricht | |
dabei eine sehr persönliche, überschaubare und effiziente Begegnung mit den | |
gleichen Künstlern, die im Trubel und der Fülle der anderen Ausstellungen | |
leicht nivellierter wirken können. Das mag eine Reise von London nach | |
Münster wert sein. | |
6 Jun 2007 | |
## AUTOREN | |
Henrike Thomsen | |
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