# taz.de -- Interview: "Die Schwäche der USA ist auch eine Gefahr" | |
> Washington sollte bald einen Zeitplan für den Abzug aus dem Irak | |
> vorlegen, sagt der syrische Politologe Samir al-Taqi. Syrien fühlt sich | |
> seit dem Irakkrieg von allen Seiten bedroht. | |
## "Die Schwäche der USA ist auch eine Gefahr" | |
## Washington sollte bald einen Zeitplan für den Abzug aus dem Irak | |
vorlegen, sagt der syrische Politologe Samir al-Taqi. Syrien fühlt sich | |
seit dem Irakkrieg von allen Seiten bedroht. Doch ohne Reformen kann das | |
Land nicht überleben | |
taz: Herr al-Taqi, Syrien spielt im Nahen Osten eine Schlüsselrolle. Aber | |
was wollen die Syrer? | |
Samir al-Taqi: Sie wollen vor allem, dass ihr Gefühl der Bedrohung | |
ernstgenommen wird. | |
Von wem fühlen sich die Syrer denn bedroht? | |
Allein schon die Präsenz amerikanischer Truppen an den syrischen Grenzen | |
auf der einen, die israelischen Truppen auf der anderen Seite stellen einen | |
riesigen Bedrohungsfaktor dar. Im Juli vergangenen Jahres fühlte sich | |
Damaskus sogar direkt bedroht: Die Israelis standen nur achtzehn Kilometer | |
von einem Punkt entfernt, an dem sie Syrien hätten zweiteilen können. | |
Solange es keinen Friedensprozess gibt, sehen wir uns immer noch als | |
bedroht an. | |
Für die USA stellt sich die Bedrohung genau anders herum dar: Sie werfen | |
Syrien vor, an der Destabilisierung im Irak mitzuwirken. | |
Wir haben 1.200.000 Flüchtlinge aus dem Irak im Land - wie hätte man die | |
alle zurückhalten sollen? Wir sehen uns mit den Israelis konfrontiert, wir | |
haben die regionale Bedrohung - und gleichzeitig sollen wir all unsere | |
Kraft aufwenden, um die Grenze zum Irak und die amerikanische | |
Besatzungsmacht dort zu schützen? Und wer will den Amerikanern schon helfen | |
- wenn die doch ganz klar sagen, dass sie in Syrien einmarschieren wollen, | |
wenn sie mit dem Irak fertig sind? | |
Hat sich diese Haltung inzwischen nicht ein wenig verändert? | |
Nein, bislang nicht. Die USA testen jetzt die Dialogmöglichkeiten aus. Aber | |
sie gestehen ihren sogenannten Feinden in der Region noch immer nicht das | |
Recht zu, eine positive Rolle zu spielen. Sie wollen nicht, dass die Syrer | |
im Irak irgendeine echte Rolle spielen. Sie wollen nur, dass sie die | |
Interessen der Amerikaner verteidigen. Das Gleiche gilt für den Iran: Sie | |
wollen nur, dass er abseits steht. | |
Welche Folgen hatte der Krieg im Irak für Syrien? | |
Er war eine große Katastrophe. Er basierte ja auf der Haltung, die | |
Stabilität in der ganzen Region zusammenbrechen zu lassen und Amerika die | |
Aufgabe zu übertragen, den Nahen Osten nach seinen Vorstellungen neu zu | |
organisieren. Doch die Anwesenheit der Amerikaner im Irak und ihr Vorgehen | |
dort hat zu einer Zunahme des konfessionellen Denkens geführt. Syrien ist | |
als säkular bekannt, auch im Irak hatten wir eine sehr säkulare Version des | |
Islams. Aber aufgrund all der Fehler, die die Regierung der USA gemacht | |
hat, und unter dem Eindruck von Aggression, Invasion und Zerstörung hat der | |
konfessionelle Aspekt des Konflikts zugenommen. Eine weitere Gefahr für | |
Syrien ist, dass dieser Konflikt dazu führt, die politischen Reformen und | |
die Demokratisierung weiter zu vertagen. Doch die brauchen wir dringend. | |
Denn so, wie es jetzt ist, kann das System nicht überleben. | |
Unter Syriens Präsident Baschar al-Assad schien es anfangs eine | |
Liberalisierung zu geben. | |
Je größer die Bedrohung ist, desto mehr schrecken die Leute vor großen | |
Schritten zurück. Selbst die Opposition hält jetzt zum Regime und fordert | |
es zu einer härteren Haltung gegenüber den Amerikanern und den Israelis | |
auf. Die Bevölkerung fühlt sich bedroht, denn sie haben ja gesehen, was die | |
Amerikaner im Irak angerichtet haben. Alle sind jetzt wie gelähmt und | |
wollen nichts anderes, als den Status quo zu erhalten. Und da die | |
Amerikaner geschwächt sind, ziehen sie sich politisch zurück. Sie haben | |
keine Vision für die Region. Das bedeutet eine große Gefahr. Denn die | |
lokalen Spieler könnten sehr gefährlich werden - und für dieses Spiel gibt | |
es keine Regeln. | |
Wer könnte denn Ihrer Meinung nach besonders gefährlich werden? | |
Wir haben einen verwundeten Tiger in Israel. Die israelische Armee ist | |
wegen des Libanonkriegs angeschlagen. Und sie glaubt, dass sie das | |
Scheitern ihrer psychologischen Abschreckungskraft nicht zulassen darf. | |
Und wer noch? | |
Jeder ist jetzt im Spiel. Was passiert denn, wenn die Amerikaner im Irak | |
geschwächt werden? Dann werden alle Nachbarstaaten überzeugt sein, dort ein | |
Vakuum füllen zu müssen, um ihren Nachbarn zuvorzukommen. Wenn sie dort | |
eingreifen, könnte dies die gesamte Region in neuerliche Wirren stürzen. | |
Sollten sich die USA sofort aus dem Irak zurückziehen? | |
Niemand verlangt das. Aber sie sollten zumindest einen Zeitplan für den | |
Rückzug bekanntgeben. Und versichern, dass es im Irak keine | |
Militärstützpunkte für Angriffe auf andere Länder geben wird. | |
Sie fordern einen Gesamtfriedensplan für die Region. Ist das realistisch? | |
Es geht darum, sich einer Konfliktlösungsstrategie zu nähern, bei der die | |
Interessen aller Partnerländer berücksichtigt werden. Sie müsste auf einer | |
Win-win-Strategie beruhen, bei der es weder Gewinner noch Verlierer gibt. | |
Wenn man dies zum Prinzip macht, dann könnte man in der Region ein Problem | |
nach dem anderen lösen. | |
Wer sollte das tun? | |
Die Amerikaner sind zu schwach, sie können es nicht. Wir brauchen einen | |
Konsens zwischen der internationalen Gemeinschaft - EU, USA und UN | |
eingeschlossen. | |
INTERVIEW: ANTJE BAUER | |
11 Apr 2007 | |
## AUTOREN | |
Antje Bauer | |
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