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# taz.de -- Projekt Espra: Das globale Bürgernetz
> Programmierer aus London und Berlin wollen das Web neu erfinden: „Espra“
> soll der Zivilgesellschaft helfen, mit Konzernen gleichzuziehen.
Bild: Soll die Software-Basis für das Espra-Projekt legen: Programmierprojekt …
Seit zwei Jahren hält nun schon der Hype um das „soziale Internet“ mit all
seinen Blogs, Online-Communities und Kampagnen-Plattformen an. Als
Rückeroberung aus den Klauen der großen Online-Unternehmen ist es gar
gefeiert worden. Doch bei aller Euphorie über die dabei entstandene
Gegenöffentlichkeit bleibt ein blinder Fleck: Das große Rauschen des
weltweiten Meinungsaustauschs hat keine wirklich produktive Vernetzung
zivilgesellschaftlicher Gruppen hervorgebracht. Während transnationale
Konzerne das Netz längst erfolgreich nutzen, um etwa ihre Produktionsketten
zu globalisieren, sind netzvermittelte Dienstleistungen und
Kollaborationen, die nicht ausschließlich der Logik von Markt und
Wettbewerb folgen, bislang rar.
Was fehlt, ist ein Webstandard, der es ermöglichen würde, „die kritische
Masse der aufkommenden digitalen Weltzivilgesellschaft miteinander zu
vernetzen, was heute im Rahmen einzelner Webseiten unmöglich ist“, wie es
in einem Positionspapier des World Social Web Dialog heißt.
Diese Lücke will nun ein Projekt aus dem Netzuntergrund in London und
Berlin füllen: Espra – „eine parallele öffentliche Infrastruktur“, wie …
sein Initiator, der Londoner Programmierer Tav, nennt. Die soll nicht
weniger leisten, als das Web noch einmal neu zu erfinden. Mit Espra könnten
sich in nicht allzu ferner Zukunft Individuen zu Projekten organisieren und
ihr kollektives Wissen tatsächlich produktiv nutzbar machen. Espra soll
digitale „weapons for mass construction“ für alle schaffen – vorbei am B…
Business.
Ein wesentliches Element darin sind „Trust Maps“, in die die Idee der
Small-World-Theorie eingeflossen ist, nach der alle Menschen über eine
Kette aus nicht mehr als sechs Kontaktpersonen miteinander verbunden werden
können. Derzeit wird die Theorie vor allem in Online-Clubs wie Xing
genutzt, um über Freunde von Freunden sein persönliches Netzwerk zu
erweitern. Die Trust Maps sollen jedoch nicht neue Geschäftspartner
erschließen. In ihnen sind persönliche Kontakte enthalten, die zu
irgendeinem Sachverhalt eine gewisse Autorität mitbringen. Sucht etwa Peter
nach Informationen zu Gebrauchtwagen, so werden die Kontakte seines
Freundes Rudolph, die als Auto-Spezialisten in dessen Trust Map stehen,
automatisch als vertrauenswürdige Quellen mit einbezogen. Anstatt
Informationen auf undurchsichtigen Verbraucherportalen einzuholen, würde
Espra ein riesiges Wissensnetz knüpfen, dessen Qualität automatisch für
alle Nutzer nachvollziehbar wäre. Die Trust Maps würden dabei von der
Infrastruktur ständig aktualisiert.
Ein anderes Konzept trägt dem allgegenwärtigen Privacy-Problem Rechnung:
Jeder Espra-Nutzer kann sich „Mesh Identities“ zulegen, also andere
Identitäten mit je eigenen Trust Maps, die er für verschiedene Aktivitäten
nutzt. Ein weiteres Ziel von Espra ist außerdem der „Ecology 1 Million
Index“, in den die „Espians“ die Unternehmen stellen, die wirklich einen
fairen Handel und eine nachhaltige Produktion praktizieren.
Derartige Ideen – sowie die 21 weiteren, die das Projekt benennt – sind für
sich genommen natürlich nicht unbedingt neu. Was die Espra-Idee so
interessant macht, ist die Chuzpe, mit der ihre Protagonisten sie in einer
einheitlichen Architektur verbinden wollen. Inspiriert ist die von so
genannten P2P-Netzen wie Freenet oder BitTorrent, in denen Nutzer heute
Dateien aller Art tauschen.
Ihr technischer Kern ist ein eigenes Protokoll namens „Plexnet“, das all
diese Espra-Dienste abwickelt. „Plexnet ersetzt das bisherige Netz nicht,
sondern setzt als eigene Schicht auf ihm auf“, erläutert Tav. Dabei legen
er und seine Mitstreiter – unter anderem aus der Berliner C-Base – Wert
darauf, dass möglichst viel von dem, was in Espra entsteht, als Teil der
Public Domain der Öffentlichkeit zur Verfügung steht. Der Code von Espra
selbst wird folglich frei zugänglich, also Open-Source-Software, sein.
Das könnte man natürlich als typische Nerd-Phantasien abtun. Aber anders
als viele Netzprojekte wird das Espra-Kollektiv nicht von einem digitalen
Spieltrieb bleicher Programmierer angetrieben. Die Motivation entspringt
dem Bewusstsein dafür, dass das Internet ein Raum werden muss, der die
sozialen Bedürfnisse „von unten“ anpackt.
Es ist derselbe Geist, der das GNU-Projekt von Richard Stallman beflügelt
hat, der Linux zu dem gemacht hat, was es heute ist, der Tim Berners-Lee
das Web hat vorantreiben lassen. Mit dem Unterschied, dass es diesmal um
die Bürgergesellschaft geht, die sich ebenfalls globalisieren muss, will
sie dem Netz der Konzerne mehr entgegenhalten als nur eine andere Sicht der
Dinge. Natürlich müssen einige glückliche Umstände zusammenkommen, um eine
solch groß angelegte Idee Wirklichkeit werden zu lassen. Aber warum soll
nur Technokraten die Maxime „Think big!“ vorbehalten sein?
Espra könnte am Ende auch die Frage beantworten, wie sich die
Bürgergesellschaft mit Hilfe des Internet über enge nationale Grenzen
hinweg organisiert. Den transnationalen Konzernen könnte ein Gegenpart in
Gestalt eines neuen, digital vermittelte Tribalismus entstehen: der
„metanationals“. In denen würden sich Individuen aus verschiedenen Ländern
zusammenfinden, um gemeinsam zu produzieren und zu informieren – ohne die
Technologie bei einem herkömmlichen Webdienstleister gegen Bares oder
aufdringlich platzierte Werbebanner zu beziehen. In dem öffentlichen
Programmierprojekt „24weeks“ soll in den kommenden Monaten die
Software-Basis für Espra gelegt werden.
18 Jun 2007
## AUTOREN
Niels Boeing
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