# taz.de -- Gesellschaft: Von echten und falschen Wölfen | |
> Der Quotenhit bei Schlagzeilen ist der Mensch. Allerdings, wie ihn Thomas | |
> Hobbes sah, als Wolf. Weil "homo homini lupus est" aktueller denn je ist, | |
> kommt der wirkliche Wolf meist nur am Rande vor. | |
Bild: Die letzten Raucher: Werwölfe an der Friedhosmauer | |
"Die Wölfe sind unter uns!" So übersetzten wir uns einen Spruch auf dem | |
Demotransparent der kurdischen Maoisten am 1. Mai in Kreuzberg. Meinten sie | |
damit global alle Neoliberalen oder die türkischen Ultranationalisten? "Als | |
Mörder gelten graue Wölfe aus der Provinz", schrieb die | |
Unter den desorientierten kleinen Leuten in der Provinz spielt auch der | |
slowenische Roman "Wolfsnächte" von Vlado Þabot. Der Pfarrer eines Dorfes | |
ist "unter mysteriösen Umständen" verschwunden, sein Organist und Mesner | |
bemüht sich um Ersatz, aber bis der kommt, nähern sich die "Wolfsnächte: | |
Dann sind sie in der Nähe. Dann sind sie hier. Auch in den Menschen ..." | |
Der Literaturkritiker Slavo Ðerc urteilt: Es ist zwar ein slowenisches | |
Buch, aber "Thematik und Problematik der Wolfsnächte sind allgemein und | |
universell". Speziell für die Global Leader war dann der "Lesetipp für | |
Leitwölfe" in der Süddeutschen Zeitung: der Reader "Alphatiere" von Kate | |
Ludeman und Eddie Erlandson. Der Namensgeber von Roland Berger Strategy | |
Consultants, inzwischen Professor, schreibt im Vorwort: "Macht ist immer | |
nur geliehen - ob Alphatiere sich tatsächlich als mutige Unternehmer und | |
exzellente Manager bewähren, hängt letztendlich von ihren persönlichen | |
Eigenschaften, Entwicklungsmustern und Kompetenzen ab. Die Autoren bringen | |
diese Zusammenhänge unterhaltsam auf den Punkt und geben Tipps für den | |
wirkungsvollen Umgang mit Alphatieren." Kate Ludeman ist Gründerin der | |
Worth Ethic Corporation und Eddie Erlandson ihr Vizepräsident. Es scheint | |
eine Art Scientology-Spreadout zu sein - und annonciert sich wie folgt: | |
"Executive Coaching, Leadership Assessment, Alpha Management Training - | |
What makes you sure your organisation is providing effective leadership? | |
How can you know?" Einen dieser "Alpha Manager" - Klaus Hommels - stellte | |
dann die FAS als "Leitwolf der Internetinvestoren" vor. | |
Unser Bundesumweltminister stritt derweil eher gleichmacherisch - für alle | |
in Deutschland lebenden Rudel - mit der ersten "Wolfskonferenz" in Berlin. | |
In der Pressemitteilung heißt es: "Im Anschluss an die Tagung 'Wer hat | |
Angst vorm bösen Wolf' (9.30 bis 18 Uhr) findet ein Abendempfang statt, in | |
dessen Rahmen die Pianistin und Wolfschützerin Hélène Grimaud ein Gespräch | |
mit Umweltminister Sigmar Gabriel führen wird." Sein Minister-"Magazin" gab | |
dazu die Themen vor: "Wölfe - Zu Unrecht verteufelt und verfolgt/ | |
Rotkäppchen ist an allem schuld/ Liebevolles Rudel". Vordergründig war | |
dieser ganze Aufwand gegen die Propaganda vom "bösen Wolf" gerichtet - | |
meinte die Junge Welt anschließend: "Im Gespräch mit der sächsischen | |
Jägerschaft gibt es ein echtes Problem", beklagte Gesa Kluth, die | |
Mitarbeiterin des Wildbiologischen Büros Lupus Spreewitz, auf der | |
Konferenz. Während die Rückkehr der Wölfe in der Bevölkerung mehrheitlich | |
auf Zustimmung stoße, versuche "eine kleine Gruppe von Extremisten", mit | |
Falschinformationen Angst zu verbreiten. Gemeint ist dabei vor allem der | |
Verein "Sicherheit und Artenschutz", der fleißig "am Mythos vom bösen | |
Wolfe" stricke. Zwei Wolfsrudel mit insgesamt 30 Tieren leben derzeit in | |
der Lausitz. "Von den Wölfen geht derzeit keine Bedrohung aus", unterstrich | |
Kluth. "Solange sich die Menschen richtig verhalten ..." Der | |
Antiwolfsstimmung in Teilen der Jägerschaft liegen "rein wirtschaftliche | |
Interessen" zugrunde, ergänzte Elisabeth Emmert, selbst Jägerin und | |
Bundesvorsitzende des Ökologischen Jagdverbandes (ÖJV)." Ein Professor | |
Huber Job meinte jedoch: Die Stimmungsmache in Sachsen sei lediglich "die | |
Spitze des Eisberges". Da horchte die Bild-Zeitung auf - und titelte: | |
"Experten fordern - Schießt die deutschen Wölfe ab!" Dazu zitierte das | |
Blatt den finnischen Wolfsexperten Nyholm: "30 Wölfe auf 600 | |
Quadratkilometer. Das ist Wahnsinn." Dessen Kollegen Hagelstam: "Hier ist | |
bereits Gefahrenstufe 5 von 7 erreicht. In Stadium 7 reißt der Wolf | |
Menschen." Und den Russen Danilov: "Die einzige Rettung ist der Abschuss." | |
Wenig später legte Bild noch einen drauf - mit Fotos: "Wölfe greifen | |
Tierpflegerin im Gehege an - und verletzten sie schwer." | |
Die FAZ titelte: "Der Kulturkampf um die erste Nachkriegspopulation des | |
Raubtiers spitzt sich zu". In "Bertolt Brechts volkstümlicher Dialektik | |
('Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf') wurde Canis lupus noch eindeutig | |
die in Fabeln und Märchen festgezurrte uralte Rolle des Bösen zugewiesen, | |
jetzt aber, da die globalisierte Raubtiergesellschaft quasi als Krönung | |
politischer Utopien gefeiert und gelebt wird, erfährt er eine | |
bemerkenswerte Popularität." Bis hin zum Bundesumweltminister, der "in der | |
Rückkehr des verfemten Räubers eine 'Herausforderung', aber keine Gefahr | |
sieht." Nicht einmal in der Rückkehr der Bild-Zeitungsredaktion von Hamburg | |
nach Berlin scheinen die davon Betroffenen eine Gefahr zu sehen: "Angst | |
vorm bösen Wolf?", titelte der Tagesspiegel und befragte dazu ein Dutzend | |
Politiker und Prominente, die dem Bild-Umzug jedoch allesamt nur Positives | |
abgewinnen konnten. | |
Eher droht den wiederangesiedelten Lausitzer Wölfen Gefahr. Nicht nur von | |
"extremistischen Jägern": Kurz nach der Wolfskonferenz wurde dort ein | |
Jungtier überfahren: "Die Henkersmahlzeit des Wolfs war ein Wildschwein", | |
ergab eine Obduktion - laut BZ, in der Wolfsforscher Oliver Krone sogleich | |
alle Wolfsfans beruhigte: "Brandenburg ist ein Paradies für Wölfe". Zudem | |
nahm dort noch ein zusätzlicher "Wolfsmanager" - André Klingenberger - | |
seine Arbeit auf: als "Ansprechpartner für Probleme im Zusammenleben | |
zwischen Mensch und Wolf." Und dann wurde auch noch - erstmalig - mit einer | |
Infrarotkamera eine lebende Lausitzer Wölfin fotografiert: "Sie hat ein | |
festes Revier und sucht einen Rüden", behauptete die BZ. Dr. Reinhard | |
Möckel, ehrenamtlicher Wolfsbetreuer des Internationalen Tierschutzfonds, | |
jubelte. "Diese Fotos sind Sternstunden meiner jahrelangen Arbeit." Der | |
Berliner Kurier fragte daraufhin, ob die Wölfe nun abgeschossen gehören | |
oder nicht. Die Mehrheit war für Verständigung statt Vernichtung. Anders in | |
Anatolien: Als dort ein neunköpfiges Wolfsrudel mitten in der | |
Provinzhauptstadt Bingöl auftauchte, griff ein "übereifriger Stadtbewohner | |
zum Gewehr und erschoss ein Tier, woraufhin die anderen flüchteten," | |
meldete AFP. | |
Ähnlich reagierten Teile der litauischen Bevölkerung auch auf versprengte | |
deutsche Soldaten, die sich nach 1945 in den Wäldern versteckten, wo sie | |
sich zu antikommunistischen Partisanengruppen zusammenfanden. Erst in den | |
Fünfzigerjahren gelang der Roten Armee die Liquidierung der letzten | |
"Waldmenschen", wie die Illegalen dort hießen, ihre verwaist herumirrende | |
Nachkommenschaft nannte man "Wolfskinder". 1990 drehte Eberhard Fechner | |
einen Film über sie, 1996 veröffentlichte Ruth Kibelka ein Buch über sie, | |
und 2006 drehte Hans-Christoph Blumenberg noch einen TV-Film über die | |
"Wolfskinder". Parallel dazu veröffentlichte der Spiegel eine große | |
Reportage. Darin geht es jedoch weniger um die Waisenkinder von einst, | |
sondern um die wölfischen Sowjetsoldaten: "Ingrid ergriff Todesangst vor | |
ihnen." In Albanien wurde derweil ein Wolf berühmt, den man gefangen und zu | |
einem Esel in den Stall gesperrt hatte. Statt diesen zu fressen, | |
"freundeten sich die beiden an", wie Welt Kompakt berichtete. | |
Dann bekam Wolf Biermann das Bundesverdienstkreuz, woraufhin sein früherer | |
Manager Diether Dehm im Tagesspiegel mit der Überschrift "Unter dem | |
Wolfspelz" vor ihm warnte: "Wer diesen Wolf würdigt, muss wissen, wie gern | |
und wohlinszeniert er in Hände beißt, die ihm Gutes antragen." Aus Russland | |
kam eine Werwolf-Meldung: In der Petersburger Eremitage klauten Mitarbeiter | |
Juwelierkunstwerke für 400.000 Euro. Solch "korrupte Beamte nennt man in | |
Russland 'Werwölfe'," erklärte die FAZ. Über die "Lausitzer Wölfe", die den | |
staatlichen Renaturierungsanstrengungen in den Braunkohlefolgelandschaften | |
quasi die Krone aufsetzen sollen, jedoch bisher von niemandem wirklich | |
gesehen wurden, berichtete zuletzt die taz, dass man ihre Jungtiere nun mit | |
GPS-Sendern ausrüsten werde: "Per SMS bekommen wir dann Bescheid, wo sich | |
der Wolf aufhält," so die Wolfsschützerin Ilka Reinhardt in Rietschen. | |
Le Monde Diplomatique war da - unter der Überschrift "Der Wolf als Ente" - | |
eher skeptisch und listete eine Reihe medialer Fakes auf. U. a. einen | |
Artikel aus der Los Angeles Times, in dem der Gouverneur von Wyoming | |
erklärte, er wolle die Wiederansiedlung von Wölfen rückgängig machen und | |
das Bundesgesetz zum Schutz bedrohter Tierarten nicht anerkennen. Für ihn | |
sei der Wolf ein "Hund des Bundes, auf den die Bestimmungen nicht | |
zutreffen". Bei dieser Gouverneursnachricht handelte es sich um einen | |
"Aprilscherz" aus dem Internet. | |
Das waren die Wolfsnachrichten 2007 - bis etwa zum W-8-Gipfeltreffen. Als | |
Trend zeichnet sich bereits ab: Die Wölfe beherrschen immer mehr die | |
Überschriften - auch wenn sie im Text nur noch am Rande vorkommen. Sollte | |
uns das nicht zu denken geben? Ich denke, nein. | |
18 Jun 2007 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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