# taz.de -- Hochschule: "Ungleichheit beginnt im Kindergarten" | |
> Die soziale Auslese ist im deutschen Schulsystem besonders ausgeprägt, | |
> sagt Bildungsforscher Klaus Klemm. | |
Bild: Kaum ausgespielt, schon ausgesiebt | |
taz: Herr Klemm, sind Sie vom Ausmaß der sozialen Ungleichheit an | |
Deutschlands Hochschulen überrascht? | |
Klaus Klemm: Überhaupt nicht. Am Skandal der massiv ungleichen | |
Bildungschancen hat sich im Kern seit Jahrzehnten nichts geändert. Die | |
Zahlen aus dem Schul- und Vorschulbereich lassen auf absehbare Zeit auch | |
keine Änderung erwarten. | |
Also liegt das Problem bereits im Schulsystem? | |
An jeder Stelle, an der im Bildungssystem ein Übergang stattfindet, gibt es | |
Einfallstore für die Herstellung von Ungleichheit. Das beginnt schon beim | |
Wechsel vom Kindergarten in die Grundschule. | |
Der viel diskutierte Übergang von der Grundschule zum Gymnasium ist also | |
nicht das einzige Problem? | |
Diese Schwelle ist in Deutschland besonders hoch. Aber das Problem setzt | |
sich fort beim Übergang in die gymnasiale Oberstufe und schließlich vom | |
Gymnasium in die Hochschulen. Beim Abitur sehen wir, dass Kinder aus sozial | |
schwächeren Schichten seltener eine Hochschulzugangsberechtigung haben - | |
und diese dann noch seltener nutzen. Das ist das Ende einer langen Kette, | |
mehr nicht. | |
Was lässt sich daran ändern? Soll man das Bafög erhöhen? | |
Das Bafög ist in der Tat zu niedrig. Aber durch eine Erhöhung werden wir | |
nicht verhindern, dass unser Schulsystem die Kinder aus bildungsfernen | |
Schichten bis zum Abitur schon größtenteils aussortiert hat. | |
Man muss also beim Übergang von der Grundschule aufs Gymnasium ansetzen? | |
Den weitestgehenden Erfolg würde man erzielen, wenn man die frühe | |
Aufteilung auf verschiedene Schulformen ganz aufheben würde. In den | |
bestehenden Strukturen ist allen Verbesserungsmöglichkeiten eine enge | |
Grenze gesetzt. Man kann immerhin das Schüler-Bafög verbessern, man kann | |
die Mauern zwischen den Schulformen reduzieren, man kann die Schüler | |
individueller fördern. | |
Machen sich Lehrer zu wenig Gedanken über die soziale Auslese, die sie | |
praktizieren? | |
Es ist jedenfalls eine Tatsache, dass Kinder aus sozial starken Familien | |
viel eher eine Gymnasialempfehlung bekommen als Kinder aus bildungsfernen | |
Schichten - bei gleichen kognitiven Fähigkeiten. Über die Gründe kann man | |
nur spekulieren. Vielleicht nehmen die Lehrer an, dass Kinder aus | |
Akademikerfamilien mehr Unterstützung bekommen, wenn es in der Schule mal | |
schwierig wird. | |
Auf der anderen Seite beklagen wir einen Mangel an qualifizierten | |
Arbeitskräften. Ist das nicht schizophren? | |
Wir haben im Moment zwei parallele Entwicklungen. Wir haben immer weniger | |
junge Leute, und wir schöpfen ihre Potenziale nicht wirklich aus. Was sich | |
in Deutschland in dieser Kombination von Verknappung und Vergeudung | |
leistet, das ist gesellschaftlich und ökonomisch katastrophal. | |
20 Jun 2007 | |
## AUTOREN | |
Ralph Bollmann | |
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