# taz.de -- Kommentar: Vom Nutzen des Pathos | |
> Der Niedergang der Volksparteien scheint unaufhaltsam. Der Grund ist | |
> klar: Trotz inszenierter Konflikte ähneln sich ihre Programme. Das | |
> demotiviert immer mehr Wähler. | |
Politiker und Medien spielen momentan das muntere Koalitionsspiel "Wer kann | |
mit wem". Stefan Reinecke hat klargemacht, dass man diese taktischen | |
Vorwahlkampfspielchen nicht ernst nehmen sollte, denn es sind nur Bonbons | |
für Publikum und Nebelgranaten im Wettbewerb der Parteien untereinander. | |
Schaut man hinter die Kulissen des Polittheaters, stößt man auf die | |
Probleme der Volksparteien - und zwar nicht nur hierzulande. Die Resultate | |
der Bundestagswahlen, der Nationalratswahlen in Österreich und der | |
Parlamentswahlen in den Niederlanden lassen einen Trend erkennen. Dieser | |
weist klar in Richtung großer Koalitionen, die nicht aus Neigung, sondern | |
aus der puren Verlegenheit zustande kommen, dass es für eine | |
Wunschkoalition nicht reicht. Die sozialdemokratischen wie die | |
konservativen Parteien verlieren so viele Stimmen, dass Zweierkoalitionen | |
mit einem kleineren linken oder rechten Wunschpartner nicht mehr möglich | |
sind. Nur in Ländern mit Mehrheitswahlrecht wie Frankreich oder | |
Großbritannien bleiben die Volksparteien davon unberührt. | |
Der Trend jedoch verweist auf eine Krise der Volksparteien. Der Begriff | |
wird zu einer Kennzeichnung, die man nur noch in Anführungszeichen | |
verwenden kann. Denn sie erfüllen nicht mehr den Anspruch, große Teiles des | |
Volkes mit einer Vielzahl von Interessen und Mentalitäten in einer eher | |
linken und einer eher konservativen Partei zu bündeln. Das gilt in rein | |
quantitativer Hinsicht: Selbst der kleine Automobilclub von Deutschland | |
(AvD) hat 200.000 Mitglieder mehr als die beiden deutschen "Volksparteien" | |
zusammen. | |
Wenn diese "Volksparteien" mit ihren Programmen nur noch einen Wähleranteil | |
irgendwo zwischen 25 und 40 Prozent gewinnen und nebenbei viel | |
Wahlabstinenz erzeugen, kann beim besten Willen nicht mehr von | |
"Volksparteien" die Rede sein. Der Anteil der "Partei" der Nichtwähler ist | |
in allen genannten Ländern größer als die Anteile der "Volksparteien". Nur | |
der kreuzfidele Klaus Wowereit konnte sich mit seinem 30,8-Prozent-Ergebnis | |
als "Wahlsieger" inszenieren. Ein schöner Sieger das. | |
Der Versuch, diese Entwicklung mit der angeblich schädlichen | |
Parteienvielfalt zu erklären, überzeugt vielleicht die Instant-Soziologen | |
in den Feuilletons und die Fernseh-Wahlexperten, enthüllt jedoch nur deren | |
demokratietheoretische Defizite. Warum soll denn eine Vielzahl von Parteien | |
- im vernünftigen Ausmaß von fünf bis acht Parteien - in einer heterogenen | |
und pluralistischen Gesellschaft eine Fehlentwicklung oder Gefahr sein? Die | |
Socialistische Partij in Holland (16 Prozent), Die Linke in der | |
Bundesrepublik (geschätzte 8 Prozent) sowie die Grünen in Österreich (11 | |
Prozent) haben Erfolg, weil sie ein vergleichsweise klares Profil haben und | |
einigermaßen authentisch auftreten im Gegensatz zu den immer seifiger | |
werdenden Sozial- und Christdemokraten in ihrem Streit über die "mittigste" | |
Mitte. Diese Mitte-Parteien haben gegen die Konkurrenten von links wie von | |
rechts keine sachlichen und politischen Argumente und schon gar kein | |
wirkliches Gegenprogramm parat. Sie kennen nur die wohlfeile Keule: Alles | |
jenseits des "volksparteilichen" Juste-milieu-Jargons ist "Populismus". | |
Der Aufstieg von "Sozialisten", "Linken" und "Grünen" in den genannten | |
Ländern ist kein Zeichen für die Schwäche der Demokratie oder für "Weimarer | |
Verhältnisse", sondern eines für das Versagen der "Volksparteien". Mit | |
ihrer talkshowmäßigen Geschwätzigkeit, ihrer programmatischen | |
Profillosigkeit und ihrem politischen Konformismus überbieten sie sich im | |
Kampf um die Mitte. Dabei hobeln sie unentwegt ihre Unterschiede ab, bis | |
sie nicht mehr unterscheidbar sind und sich damit selbst delegitimieren. So | |
erzeugen sie nur noch Desinteresse, ja politische Enthaltung. | |
Das Spekulieren über zukünftige Dreierkonstellationen - also Bündnisse von | |
Rot-Rot-Grün, Schwarz-Gelb-Grün oder Rot-Gelb-Grün - blendet aus, welche | |
Sprengsätze mit diesen verbunden Koalitionen verbunden wären. Alle | |
Parteien, eingeschlossen die "Linke", würden mit solchen Dreierkoalitionen | |
mehr oder weniger große Teile ihrer eigenen Stammwählerschaft vergrätzen. | |
Wohin die Verprellten dann gehen werden - zu den Nichtwählern oder zur | |
Konkurrenz -, ist schwer zu sagen, könnte aber die Gewichte plötzlich so | |
verschieben, dass die Koalitionsstrategen alt aussehen und sich ganze | |
Parteiflügel nach links oder rechts abspalten würden. | |
Grundsätzlich stellt sich die Frage: Sind die Gesellschaften heute so | |
heterogen, dass die Zeiten für Volksparteien abgelaufen sind? Bejaht man | |
diese Frage, müssen sich die vermeintlichen "Volksparteien" nach dem von | |
ihnen tatsächlich vertretenen Interessenprofil umbenennen. Verneint man die | |
Frage, stellt sich jene nach der Überlebensfähigkeit von "Volksparteien" | |
als Volksparteien. | |
Sozialdemokraten wie Christdemokraten/Konservative sollten sich nicht | |
weiter "modernisieren" bis zur Farblosigkeit, sondern sich auf ihre | |
Tradition rückbesinnen - als Parteien demokratischer Sozialisten und | |
demokratischer Konservativer. Es geht nicht um die Wiederbelebung von | |
Traditionsvereinen und Hauskassierern, wie die FAZ kürzlich schwadronierte, | |
sondern um politische Selbstreflexion, mit der eine zeitgemäße | |
programmatische Orientierung des demokratischen Sozialismus oder | |
demokratischen Konservatismus wiedergefunden werden kann. Von | |
traditionalistischen Mustern ("Wachstum", "Vollbeschäftigung", "Sozialstaat | |
als Rundumversorgung", "Reichensteuer") wird man sich parteiübergreifend | |
entschiedener verabschieden müssen, als dies im Wahlmanifest "Vertrauen in | |
Deutschland" (SPD) und im neuen Programm der CDU geschieht. | |
Es geht um neue Konzepte und Alternativen zur neoliberalen Politik und | |
ihren dürftigen Angeboten. Schlicht formuliert lautet die Frage: Wie wollen | |
wir leben und zusammenleben - heute, morgen und übermorgen? "Wir brauchen | |
den anderen Fortschritt () Der andere Fortschritt, das ist gewiss auch die | |
Vermehrung des materiellen Wohlstands - eines Wohlstands allerdings, der | |
anders, gerechter in der Welt verteilt sein müsste; eines Wohlstands mit | |
Maß und Vernunft, keines Wohlstands zum Wegwerfen und Neukaufen. Der andere | |
Fortschritt aber ist vor allem Vermehrung der Qualität, nicht der | |
Quantität: Qualität der Konsumgüter, Qualität der Bildung, Qualität der | |
Kommunikation und ihrer Mittel. Qualität der Arbeit, Qualität der Umwelt, | |
Qualität des Lebens." | |
Das Pathos dieser Worte Satzes von vor 20 Jahren ist unüberhörbar. Sie | |
stammen von Oskar Lafontaine. Aber mit den darin formulierten Ansprüchen | |
sind heute SPD wie CDU/CSU konfrontiert. Wollen sie Volksparteien bleiben | |
oder wieder werden, müssen sie ihre Ansprüche vor dem Hintergrund ihrer | |
Tradition im Einzelnen bestimmen - und zwar vor dem Theater um | |
Personalfragen und Koalitionskalküle. | |
5 Jul 2007 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
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