# taz.de -- Sportsoziologie: "In türkischen Vereinen spielen oft Deutsche" | |
> Sportvereine spielen eine wichtige Rolle für die Integration von | |
> Einwanderern, sagt der Sportsoziologe Jürgen Baur - wenn sich die | |
> deutschen Vereine um Migranten bemühen. | |
Bild: Iranische Fußballerinnen - in welchem Verein würden sie spielen, wenn s… | |
taz: Herr Baur, welche Rolle spielen Sportvereine für die Integration von | |
Migranten in die deutsche Gesellschaft? | |
Jürgen Baur: Es gibt kaum eine andere Institution, die eine soziale | |
Integration so leicht macht wie der Sportverein. Der vereinsorganisierte | |
Sport ist eines der wenigen gesellschaftlichen Felder, auf denen soziale | |
Kontakte relativ problemlos möglich sind. Sportvereine sind weit verbreitet | |
und damit für jeden gut erreichbar. Und weil der Sport überall nach | |
gleichen Regeln ausgeübt wird, kann da jeder quasi "aus dem Stand" | |
mitmachen. | |
Aber kann man einen Migranten schon allein deshalb als integriert | |
bezeichnen, weil er in einem Sportverein mitspielt? | |
Mitspielen allein bedeutet nicht Integration, richtig. Aber mitspielen | |
heißt: Ich darf mich als Ausländer in einem sozialen Handlungsfeld | |
beteiligen, das in der einheimischen Gesellschaft sehr anerkannt ist. Der | |
Sportverein präsentiert sich den zugewanderten Menschen damit als ein | |
sozial offenes Gebilde. | |
Was hat aber der in seinen Verein integrierte Spieler davon, wenn er etwa | |
bei einem Auswärtsspiel von Zuschauern wie Gegenspielern mit rassistischen | |
Beleidigungen konfrontiert wird? | |
Rassistische Angriffe können ganz schnell das zerstören, was ein Verein | |
über lange Zeit mühselig aufgebaut hat. Dann jedoch ist erst recht die | |
Integrationsbereitschaft des Sportvereins gefragt: Kann er eine Art Puffer | |
bilden, wodurch die Diskriminierung von außen abgefedert wird? Oder bricht | |
der Verein mit einem an und für sich toleranten, offenen Klima gegenüber | |
diesem Außendruck ein, und setzt seinen zugewanderten Spieler nur auf die | |
Ersatzbank? Wenn das Leistungsniveau des Spielers für seine Nominierung | |
plötzlich keine Rolle mehr spielt, hat das nichts mehr mit Sport zu tun. | |
Das aber ist ein Phänomen, das gerade in den unteren Fußballklassen | |
vermehrt zu beobachten ist. | |
Hier stößt die Integrationsbereitschaft der Sportvereine also an ihre | |
Grenzen? | |
Ja. Die These, die beispielsweise der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) | |
immer so fröhlich ins Land trägt, Sport sei die gelebte Integration | |
schlechthin, ist deshalb Unsinn. So einfach geht das nicht. Die | |
Sportvereine müssen Menschen mit einem Migrationshintergrund ernsthaft für | |
sich gewinnen wollen - und auch etwas dafür tun. Die Vereine sollten nach | |
außen signalisieren: "Zu uns könnt ihr kommen." | |
Aber das Entscheidende ist doch, wie sich der Alltag in den Sportvereinen | |
gestaltet. Oder? | |
Das stimmt. Als Ausländer in einem Sportverein zu sein, das heißt noch | |
nicht allzu viel. Weitaus wichtiger sind die Folgen, die sich daraus für | |
alle Vereinsmitglieder ergeben. Dürfen die Migranten im Verein | |
beispielsweise nicht nur mitspielen, sondern auch richtig mitreden? Können | |
sie die Vereinsstrukturen mitgestalten? Sind sie in der Lage, ihre | |
Interessen relativ problemlos einzubringen? Werden sie möglicherweise | |
aufgefordert, in Form eines freiwilligen bürgerschaftlichen Engagements im | |
Verein mitzuwirken? | |
Oft ist das nicht der Fall. Ist das ein Grund, warum sich viele Migranten | |
lieber in eigenen, landsmannschaftlich ausgerichteten Sportvereinen | |
organisieren? | |
Das kann durchaus eine vernünftige Strategie sein. Da sagen sich Migranten, | |
wir organisieren uns selber und spielen lieber unter uns. Im sportlichen | |
Wettkampf mit anderen Teams werden sie aber zugleich in das deutsche | |
Spielsystem integriert. Das ist ihnen in dieser Deutlichkeit oft gar nicht | |
bewusst. Und: Monoethnische Vereine füllen sich oft nach und nach mit | |
deutschen Sportlern auf, weil der "Ausländerverein" für die Bürger einfach | |
wohnortnäher liegt. | |
Wenn über Migranten im Sportverein geredet wird, dann zumeist über Männer. | |
Stellen nicht gerade Migrantinnen mit muslimischem Hintergrund die | |
Sportvereine vor eine besondere Herausforderung? | |
Sicher. Männer, die mit einer vornehmlich männlich dominierten Sportkultur | |
in der muslimischen Welt aufgewachsen sind, lassen sich wesentlich leichter | |
integrieren - viel leichter als die eher sportdistanzierten Frauen, die in | |
ihren Heimatländern kaum eine Sporterfahrung gemacht haben. Vor diesem | |
Hintergrund ist es wirklich sehr schwer, muslimische Mädchen und Frauen dem | |
Sport zuzuführen oder sie gar in den Sport zu integrieren. Ein normaler | |
deutscher Sportverein scheint damit vielerorts überfordert zu sein - wie | |
andere normale deutsche Einrichtungen auch. | |
11 Jul 2007 | |
## AUTOREN | |
Torsten Haselbauer | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Sport trotz Corona | |
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