# taz.de -- Simpsons: Die De-luxe-Version | |
> "Die Simpsons - Der Film" ist eine perfekt programmierte Fabrik | |
> selbstreflexiven Humors. Klugerweise vermeidet er den Fehler der | |
> Maßlosigkeit. | |
Bild: Nach der Wette mit dem Vater: Bart macht sich nackt auf den Weg zum Krust… | |
Das Schlimmste, was dem Simpsons-Film passieren könnte, wäre, dass er sich | |
zu sehr von der Fernsehserie unterscheidet. Das Schlimmste, was dem | |
Simpsons-Film passieren könnte, wäre, dass er sich zu wenig von der | |
Fernsehserie unterscheidet. Kein geringerer als Homer selbst spricht es | |
aus, wenn er sich im Kino mit der Familie einen "Itchy & Scratchy"-Film | |
ansieht, aufspringt und theatralisch deklamiert: "Warum Geld für etwas | |
ausgeben, das man sich umsonst im Fernsehen ansehen kann?" Man kann dies | |
als die selbst gestellte Aufgabe des Films verstehen: Homers Frage zu | |
beantworten. Am Ende scheint man zufrieden zu sein. Es ist Maggie, die nach | |
dem Nachspann anhebt, ihr "erstes" Wort zu sprechen. Es lautet: "Sequel". | |
Nun wissen wir nicht nur, dass Maggie schon mal ein erstes Wort gesprochen | |
hat, es hat auch schon mal eine Kino-Version von "Itchy & Scratchy" | |
gegeben. Der wieder einmal ungezogene Bart durfte sie nicht sehen, weil | |
seinem Vater vorausgesagt wurde, sein Sohn verkomme zu einem drittklassigen | |
Entertainer, wenn er jetzt keine Erziehungsmaßnahmen ergreife. Strafe Homer | |
hingegen konsequent, werde Bart Bundesrichter. Also muss sich Bart mit | |
Norman Mailers "Itchy & Scratchy. Der Film. Das Buch" behelfen. Erst in der | |
letzten Szene dieser Fernsehepisode sah man Bart als gesetzten | |
Verfassungsjuristen und seinen greisen Vater endlich den Film anschauen. | |
Den so selbst immens hochgeschraubten Anspruch eines Films, den ein kleiner | |
Junge nicht nur einen ganzen Sommer zu sehen bettelt, sondern für den er | |
sogar in Kauf nimmt, eine 1.000-Seiten-Schwarte von Mailer zu lesen, muss | |
nun gewissermaßen der Simpsons-Film erfüllen. | |
Ich will nicht mit zu viel Simpsons-Philologie quälen, aber man kann in dem | |
Verhältnis der "Itchy & Scratchy"-Episode, mit der der Simpsons-Film | |
beginnt, zu den "Itchy & Scratchy"-Episoden in der Fernsehserie den Plan | |
für den Simpsons-Film erkennen: nichts Unbekanntes, Unvertrautes, sondern | |
das Bekannte in einer ausgefeilten De-luxe-Fassung. Im Fernsehen wickelt | |
Itchy die Zunge von Scratchy um eine dürftig skizzierte Rakete, die zum | |
Mond fliegt und diesen mit Scratchys Zunge so lange einspinnt, bis die | |
einschnappt. Daraufhin wird der Mond von der zurückrollenden Zunge auf | |
Scratchy gezogen und erschlägt diesen. Im Kino befinden sich beide Tiere | |
auf einem luxuriös ausgestalteten Trip zum Mond, der das Footage von Apollo | |
11 zitiert. Itchy versucht Scratchy zu töten. Auf der Erde wird er | |
triumphal empfangen; er behauptet, versucht zu haben, Scratchy zu retten. | |
Itchy wird Präsident der USA - sein Kopf wirft als Schatten die Silhouette | |
des aktuellen Bush -, und als er mitbekommt, dass Scratchy noch am Leben | |
ist, lässt er ihn liebevoll opulent von tausenden von Raketen sprengen und | |
zerfetzen. | |
Nun brauchen auch die Simpsons Spitzenplots, aber keine, die sich nicht aus | |
der Serie ableiten lassen. Man tat recht daran, bei der Suche nach größeren | |
Attraktionen den Fehler der Maßlosigkeit zu vermeiden: Wie unerträglich war | |
es, als in den "Lustigen Taschenbüchern" aus dem geizigen, aber menschlich | |
komplexen und liebenswerten Onkel Dagobert, wie man ihn aus den "Tollsten | |
Geschichten" kannte, plötzlich ein durch und durch böses, mörderisches | |
Monster wurde, das brüllend und tobend über Leichen ging! Alles, was hier | |
passiert, ist stattdessen in der Serie schon da gewesen. Bart fühlt sich | |
von seinem Vater vernachlässigt (und flieht zu Flanders; das ist starker | |
Tobak, aber denkbar), Marge verlässt widerstrebend Homer (sie hat, wie | |
schon einige Male zuvor, gute Gründe), Lisa hat einen Boyfriend (sie stand | |
schon immer auf junge Umweltschützer). Die USA bewegen sich auf Zustände | |
maximaler Korruption und absoluter Anomie zu. What else is new? | |
Die zitierfreudigen Simpsons, von tausenden von Culture-Studies-Scholaren | |
auf Verweise und Paraphrasen durchflöht, zitieren diesmal in erster Linie | |
sich selbst. Als Bart in einer Wette mit seinem Vater nackt bis zum | |
Crusty-Burger-Laden skatet, wird das eine De-luxe-Version des Skate-Slaloms | |
aus dem Fernsehvorspann, vermischt mit der legendären Sequenz, in der Homer | |
und Marge, beim Sex in der Minigolf-Anlage gestört, nackt durch die Stadt | |
fliehen und minutenlang eine endlose Stafette von geeigneten Objekten sich | |
jeweils vor ihre Blößen schiebt. Und "de luxe" erschöpft sich nicht nur | |
darin, dass hier die Logik einmal umgedreht wird und alles an Bart außer | |
seinem kleinen Comic-Pimmel verdeckt wird. | |
Derartiges Schwelgen in der Überbietung schon erreichter Schauwerte bildet | |
nicht nur die Basis der Bilder. Kenntnis der Serie ist auch Voraussetzung | |
für das Verständnis der Figuren. Der Präsident der USA heißt Arnold | |
Schwarzenegger und ist als intellektuelle Unterbietung selbst noch des | |
heute amtierenden Regenten angelegt. Er sieht aber nicht aus wie | |
Schwarzenegger. Stattdessen ist er Rainer Wolfcastle aus dem Gesicht | |
geschnitten, einem kleinköpfigen Action-Darsteller und Bodybuilder, der | |
gelegentlich als Liebhaber der blauhaarigen Mutter von Barts Freund | |
Milhouse in Simpsons-Episoden erscheint. Eine Figur aus dem Simpson-Kosmos, | |
die immer schon Schwarzenegger parodierte, darf also nun auch so heißen. | |
Kenntlicher wird auch das sonst in Einzelattacken zerfallende generelle | |
Weltbild der Simpsons. Es ist sehr viel all-amerikanischer, als das | |
subversive Image der Serie es will. Seine sympathische Respektlosigkeit ist | |
meist eher skeptisch als kritisch. Die Regierung, da sind sich linke und | |
rechte Amerikaner mit den Simpsons und ihren Figuren einig, ist entweder | |
vollkommen unzurechnungsfähig, "corruptus in extremis" (wie es auf dem | |
Amtssiegel des Bürgermeisters von Springfield heißt), oder sie hat - wie in | |
diesem Film - vor allem das Ziel, sich die eigene Bevölkerung vom Halse zu | |
schaffen. Diese Bevölkerung dämmert anomisch durch einen Alltag, in dem die | |
öffentlichen Institutionen jede Bedeutung verloren haben - bis auf die | |
Kirche und den Lynchmob. Die Werte der 60er - umfassende | |
Gesellschaftskritik, Emanzipation des Körpers - verkommen, in ihre | |
Bestandteile zerfallen, zu asozialem Hedonismus und leerem Moralismus. Nur | |
die Familie kann die beiden Pole mitunter noch zusammenbringen. | |
Und außerdem gilt immer auch das Gegenteil. Denn andererseits macht ja | |
gerade seine bemerkenswerte Fähigkeit zum Genuss Homer so liebenswert und | |
liebesfähig, ist Marges Moral alles andere als leer, sondern situativ | |
angebracht und mit Mut und Tatkraft verbunden. Es gibt nichts Schöneres als | |
die Szenen, wenn es Homer gelingt, sein Leben perfekt als Maschine | |
ineinandergreifender sinnlicher Befriedigungen zu organisieren - wie hier | |
im vorübergehenden Exil in Alaska, wo die Eckkneipe "Eski-Moes" heißt. Wie | |
so viele erfolgreiche Mainstream-Produkte liefern die Simpsons allen alles | |
und sind auf vielen, von einander schmerzlos trennbaren Ebenen rezipierbar. | |
Das ist zwar auch sonst so, zerfällt aber im Fernsehen noch in einzelne, | |
starke und nicht relativierbare Konkreta, während sich im Film politische | |
Polysemie in Mississippi-Delta-hafter Breite verströmt. Wenn man lacht, und | |
das geschieht wirklich sehr oft, kann man das ebenso gut tun, weil man eine | |
Situation als überaus treffende, aber resignierte Beschreibung der conditio | |
humana empfindet oder als scharfe politische Kritik. | |
Nach der viel geliebten Subversion sucht man also ebenso lange wie nach den | |
aufklärerischen Effekten ständig offengelegter kultureller Konstruiertheit | |
von Normalität. Die Leute wissen darum und glauben trotzdem an das Normale | |
und das Natürliche. Auf die Gesellschaftskritik der Simpsons passt Henry | |
Louis Gates Wort, dass Pizza selbstverständlich kulturell konstruiert sei, | |
sie schmecke aber trotzdem. | |
Tatsächlich überraschend ist aber wieder einmal die filmische Seite der | |
Simpsons. Hier sind Leute am Werk, von denen man das Gefühl hat, sie ekeln | |
sich vor dem instrumentellen Gebrauch eines filmischen Mittels so wie Lord | |
Chandos vor dem Gebrauch der Wörter. Kein Schwenk, kein Schnitt, keine - | |
imaginäre - Kranfahrt darf hier einfach nur den nächsten Witz erzählen, | |
ohne nicht sich selbst als Verfahren zu thematisieren, zu veräppeln, | |
zurückzunehmen, sich als Täuschung zu erweisen. Manchmal wird das zum | |
Witzzwang: Man versteht, warum die Macher des Films so viel davon reden, | |
dass sie sich zur Entspannung zwingen mussten und dazu, die eigenen hohen | |
Ansprüche bei der Humorarbeit zu vergessen. | |
Vor allem aber schult der Film, mehr noch als die Serie, den Blick. Er | |
distanziert ständig den rasenden Flow der Bilder von sich selbst, gewinnt | |
ihm Objekte der Kontemplation ab, markiert, unterstreicht, weist hin und | |
versteckt das nie hinter einer naturalisierten Form. Maximale Menge | |
diskreter Details, knapp vor dem Umschlag ins Ornamentale. Diese visuelle | |
Strategie geht einem lustigerweise nie auf die Nerven, weil sie sich nicht | |
auf einen Autor, einen nimmermüden Bilderdidaktiker hinter allem | |
zurückverfolgen lässt. Man könnte dann nämlich abwinken, man habe sein | |
Anliegen ja verstanden. Die Simpsons sind super-kulturindustriell und | |
hyper-arbeitsteilig - im Nachspann flimmern irgendwann zirka 500 | |
koreanische Namen vorbei, das waren die Zeichner - und man kann sie nur | |
ohne Autor verstehen: als eine perfekt programmierte Fabrik | |
selbstreflexiven visuellen Humors, die nicht nur ohne individuelle | |
Autorschaft auskommt, sondern deren Schauwert darin besteht, dass sie die | |
industrielle Produzierbarkeit von Obsessionen, Humor und Kritik auf | |
höchsten Niveau vorführt. | |
Nachricht an alle Nerds: Der "Orchestration Supervisor" war mal Posaunist | |
bei Zappa und Beefheart. | |
"Die Simpsons - Der Film". Regie: David Silverman, Buch: Matt Groening, | |
James L. Brooks u. a. Animationsfilm, USA 2007, 87 Min. | |
24 Jul 2007 | |
## AUTOREN | |
Diedrich Diederichsen | |
## TAGS | |
Simpsons | |
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