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# taz.de -- Kolumne: Die Ossis von Namibia
> Ich will mein Trauma vom schlechten DDR-Service behalten. Verdursten ist
> besser als erleuchtet werden.
Bild: Da geht's zum Dreh. Und Rotkäppchen muss in den Wald.
Es muss etwas irre ausgesehen haben, wie wir versuchten, auf uns aufmerksam
zu machen. Wir warfen die Arme in die Luft und vollführten gewagte Sprünge
auf unseren Sitzbänken. Ich befürchte, dass wir wirkten wie Tom Cruise, der
in dieser US-amerikanischen Fernsehsendung wie ein Affe auf dem Sofa
herumtobte, um seine Liebe zu seiner Verlobten zu demonstrieren. Katie
Holmes erhörte und heiratete ihn. Die Kellner in dem überfüllten
Gartenlokal in Berlins Mitte ignorierten uns. Ich fühlte mich an
traumatische Gastronomie-Erlebnisse im Osten erinnert.
Weil geteiltes Leid halbes Leid ist, begann ich ein Gespräch mit den Gästen
am anderen Tischende. Eine Mutter unterhielt sich mit ihrer Tochter und
deren Freund abwechselnd in Deutsch und Englisch. Ständig sprangen sie hin
und her. Das Deutsch der Mutter war akzentfrei, ihr Englisch mit einem
klitzekleinen Akzent dekoriert. Bei der Tochter war es umgekehrt und der
Freund beherrschte beides perfekt. "Sagen Sie, wieso unterhalten Sie sich
zweisprachig?" Meine Kehle war kurz vor dem Vertrocknen. Aber meiner
Neugierde tat das keinen Abbruch.
Ich erfuhr eine interessante Familiengeschichte. Die Mutter war als junges
Ding von Westberlin nach Südafrika gegangen. Den Kopf voller Abenteuer,
reiste sie herum und blieb schließlich in Namibia, wo ihre Tochter
aufwuchs. Wie auch ihr Freund, dessen Eltern dort eine Farm betreiben. Die
Mutter machte aus ihrer Freude über meine Neugierde keinen Hehl. "So sind
sie, die Berliner", sagte sie zu ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn in
spe und prostete mir zu. Ich schüttelte den Kopf. "Ich muss Sie
enttäuschen. Ich bin aus Sachsen." Der Frau entfuhr ein spitzer Schrei.
"Was?? Sie auch? Ich bin in Dresden geboren!!" Wir stießen so heftig mit
unseren Gläsern an, dass die laue Sommernacht einen Schreck bekam.
Ich wollte wissen, wo sich das junge Paar kennengelernt hat. Die beiden
guckten sich verliebt an. "In Cottbus." Nun entfuhr meiner Kehle ein
spitzer Schrei. "In Cottbus???" Von Dresden nach Westberlin. Von Westberlin
nach Namibia. Von Namibia nach Cottbus. Ich war sprachlos. Ich weiß viel
über den Spreewald, die gleichnamigen Gurken und die Minderheit der Sorben.
Aber Namibia? Ach ja, da war doch was. Die "DDR-Kinder von Namibia". Ende
der 70er-Jahre begann die DDR Kinder aus Flüchtlingslagern aufzunehmen,
wegen der Unabhängigkeitskämpfe der Swapo gegen Südwestafrika. "Die Ossis
von Namibia" werden die über 400 Kinder auch genannt. Mit dem Fall der
Mauer und der Unabhängigkeit Namibias mussten sie als Fremde in ihre Heimat
zurück.
Wenige Tage nach dieser sächsisch-namibischen Begegnung wäre ich fast bei
dem Herrn gelandet, dessen Erleuchtungssprünge wir bei unserem Kennenlernen
imitierten. Derzeit dreht Tom Cruise in Berlin einen Film über Graf
Stauffenberg und sein gescheitertes Hitler-Attentat. Die Schwester einer
Freundin, die beim Film arbeitet, rief mich an und fragte, ob ich einer
Schauspielerin beibringen kann, blind im Zehnfingersystem Schreibmaschine
zu schreiben. Diese soll in einer Szene auf einer Uraltmaschine einen Brief
à la 1944 tippen.
Der Anruf kam am Montag. Am Dienstag sollte ich den Unterricht erteilen. Am
Mittwoch sollte gedreht werden. Ich sagte, dass das unmöglich sei, und bot
an, die Szene zu doubeln. Meine sächsischen Patschehändchen in einem
Hollywood-Film! Die Filmproduktion entschied, die Schauspielerin zu einem
Crashkurs einer Firma zu schicken.
Es ist ja bekannt, bei welchem Verein sich Tommi-Mäuschen engagiert. Mit
körperlichen und geistigen Reinigungsprozessen werden Menschen von ihrem
reaktiven Verstand befreit, um auftretende Probleme im Handumdrehen zu
lösen. Ich kann es kaum erwarten, bis der Film anläuft. Wird die
Schauspielerin, losgelöst von Materie, Raum und Zeit, auf dem Farbband
herumhüpfen? Kann der unsterbliche Teil von ihr, der vor Millionen Jahren
durch ein traumatisches Erlebnis beeinträchtigt wurde, wiederhergestellt
werden? Ich behalte lieber mein Gastronomietrauma und verdurste.
25 Jul 2007
## AUTOREN
Barbara Bollwahn
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