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# taz.de -- Medien: Machts wie die BBC
> "Gefährlicher als Kernenergie!" befand Helmut Schmidt im Streit um die
> Zulassung des Privatfernsehens. Auch heute ist die "fragile Sphäre der
> öffentlichen Meinung" gefährdet. Hier einige Rettungsvorschläge ...
Bild: Die Chinesen - eine Herausforderung für die Öffentlich-Rechtlichen
"Größer als Gorleben" sei die Sache, sagte der niedersächsische
Ministerpräsident Ernst Albrecht, und Helmut Schmidt fand sie "gefährlicher
als Kernenergie". Die "Sache" war die Zulassung kommerzieller Fernseh- und
Rundfunksender in der Bundesrepublik.
Der Kampf der Union gegen den "Rotfunk", die ökonomische Begehrlichkeit der
Zeitungsverleger und eine neue Technik demontierten das beste Mediensystem,
das wir je hatten. Das ist jetzt 25 Jahre her. Der Fall-out dringt heute 24
Stunden am Tag aus hundert Kanälen, und anders als bei den Atomkraftwerken
glaubt niemand, dass die kommerziellen Meinungsmeiler noch abzustellen
sind.
"Das Nachdenken beginnt immer erst, wenn etwas verlorenging", schrieb
Alexander Kluge damals. "Geht aber die Öffentlichkeit verloren, so geht die
Formenwelt für das Nachdenken ebenfalls verloren." Die Privatisierung der
Öffentlichkeit sei eine elementare Frage, weil sie die Souveränität
betrifft: "Wer die klassischen Öffentlichkeiten zerstört, ist ein
Geschichtsverbrecher."
Die Einreden von damals klingen rührend altmodisch in einer Zeit, in der
Murdochs Reich sich von den Höhen des Wall Street Journal bis in die
Niederungen globaler Graswurzelnetzwerke erstreckt, in der Bild und Welt
nur Teile eines Unternehmens sind, das vom Briefverkehr über den
osteuropäischen Boulevard bis zur Unterwanderung der offiziellen Websites
deutscher Großstädte reicht, in der niemand weiß, welche Fonds hinter KKR
und Permira stecken, denen Sat.1 und SBS gehören. Und in der bestenfalls
noch offen ist, ob die hunderttausend Blumen des Web 2.0 zu neuen Formen
sozialer und politischer Gemeinschaft werden, oder zu einer bloß netten,
bunten Wiese, die, sobald sie zu erblühen beginnt, von den Content- und
Werbemultis plattgemacht wird.
Jürgen Habermas hat, weil die Heuschrecken nun auch die Süddeutsche Zeitung
bedrohen, noch einmal das demokratische Heiligtum beschworen: Der Philosoph
pries eine aufgeklärte Öffentlichkeit, in der vom "professionellen
Selbstverständnis eines unabhängigen Journalismus getragene" Medien die
existenziell wichtigen politischen Fragen bearbeiten und "zu
konkurrierenden öffentlichen Meinungen bündeln", die dann kraftvoll in die
parlamentarische Arena wirken.
Die Globalisierung der Medienmärkte gefährdet nun auch die "Leitmedien" der
Nation, die dies alles vollbringen (sollen). "Keine Demokratie kann sich
ein Marktversagen auf diesem Sektor leisten", meint Habermas. Deshalb regt
er an, über staatliche Hilfen für die in ökonomische Not geratende
Qualitätspresse nachzudenken. Schließlich sei der Staat verpflichtet, die
Energieversorgung der Bevölkerung mit Gas und Strom sicherzustellen.
"Sollte er dazu nicht ebenso verpflichtet sein, wenn es um jene andere Art
von 'Energie' geht, ohne deren Zufluss Störungen auftreten, die den
demokratischen Staat selbst beschädigen?"
Man könnte die Sorge noch alarmistischer formulieren: Wir werden die
Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte nur halbwegs demokratisch
bewältigen, wenn die nationalen Regierungen und Parlamente wieder
handlungsfähig werden und wenn es gelingt, unter den Bürgern einen Konsens
über die Umverteilungen von Lasten und Opfern herzustellen. Wenn also die
Bürger - alle Bürger - nicht nur gut informiert werden, sondern sich als
chancenreiche Teilnehmer an diesen Umwälzungen begreifen können.
In den letzten drei Jahrzehnten sind die Medien dem Marktgesetz verfallen.
Ihre neue "Vielfalt" ist passgenauer Überbau der ökonomischen Basis:
Unterschichten lernen auf Unterschichtenschulen, schlucken
Unterschichtenessen, sehen Unterschichtenfernsehen; Eliten gehen auf
Privatschulen, essen und joggen mit Stil und lesen FAZ, SZ und notfalls Die
Welt. Wer wollte da von den Politikern eine Förderung der Qualitätspresse
erwarten, die Wasser, Strom, Verkehr und Post längst freudig privatisiert
haben?
Abgesehen von der Realität, zu der auch die Brüsseler Wettbewerbspolitik
gehört, wäre die staatliche Subventionierung oder der nationale Schutz
demokratischer "Leitmedien" auch politisch bedenklich: Statt Auslese über
den Markt wirkten politische Opportunitäten und Abhängigkeiten - und vor
allem bliebe das Ungleichgewicht zwischen Elite- und Massenmedien erhalten.
Von Habermas haben wir auch gelernt, dass Öffentlichkeit keine
selbstverständliche Gegebenheit ist. Jede Entschränkung der Öffentlichkeit
und der Demokratie wurde von den Massen erkämpft und finanziert. Die
fragile Sphäre der öffentlichen Meinung entfaltete sich schwebend zwischen
bürgerlicher und linker Presse. Jede hatte ihr Publikum, beide waren
kontrovers adressiert an die Träger der staatlichen Macht. Diese schöne
Konstruktion aber zerfällt, wenn "der Staat" immer weniger handlungsfähig
ist, wenn er die Voraussetzungen für mündige Bürger - ein egalitäres
Bildungssystem - nicht mehr garantieren will und wenn die Bürger ihren
Parteien immer weniger zutrauen.
Edle Absichten blamieren sich, wenn sie nicht von einem Interesse getragen
werden. Wer könnte ein nachhaltiges Interesse an der Reparatur unserer
Öffentlichkeit haben? Die klassischen "Leitmedien" diversifizieren und
popularisieren ihr Angebot unter dem Druck des Anzeigenmarktes; auch
fungieren sie kaum noch als "vierte Gewalt". Mit der wachsenden
Gestaltungsschwäche des Staates bündeln sie nicht länger politische
Energien, sondern folgen dem Zug zur Personalisierung alternativloser
Politikmatadore, zur beliebigen Darstellung von Symptomen, zur
Informationsdienstleistung.
Hinzu kommt, was von Jahr zu Jahr immer ärgerlicher wird: Die Journalisten
als intellektuelle Träger der "vierten Gewalt" sind von der
Unentschlossenheit einer - ihrer - Mittelschicht angesteckt, die den
anstehenden radikalen Reformen bestenfalls ambivalent gegenübersteht, weil
sie ihre Lebenslagen und Privilegien ankratzen. Im politischen Diskurs über
Energie, über Religion, über die chinesische Herausforderung, über die
Willensfreiheit, über Europa oder die Globalisierung regiert allenthalben
das resignierte Eingeständnis der Ratlosigkeit. Marktliberale und
sozialstaatliche Ressorts, religiöse Renegaten und radikale Aufklärer,
Wachstumseuphoriker und Neo-Asketen finden sich zu einer "pluralistischen"
Redaktion, deren Hilflosigkeit vom eigenen Feuilleton ironisch oder hämisch
kommentiert wird. Nirgends also wird gebündelt und nirgends polarisiert,
wie es die schöne Theorie von der Öffentlichkeit fordert.
Die aufgeklärteren Geister der Parteien lamentieren seit zwanzig Jahren,
dass die Privatisierung der Massenmedien eine grobe Sünde war, die den
knappen Boden erodieren lässt, auf dem die politische Klasse schwankt. Die
Nostalgiker schwärmen vom alten öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit seinen
imposanten Senderketten und seiner Finanzkraft. In den Trümmern des Krieges
von BBC-Idealisten gezeugt, kam er dem nahe, was man eine virtuelle Agora
nennen kann. Eine Mischung aus Vorparlament und Ganztagsgesamtschule der
Nation, ein durch Frequenzmangel erzwungenes, alle einschließendes Forum
für politische Debatten und die pluralistische Grundversorgung mit Kultur
und Information.
Eine ganze Generation wuchs mit Massenmedien auf, die dem nahekamen, was
der Medienwissenschaftler Roger Silverstone den "heimischen Raum" nennt:
Medien, die eine "zweite Heimat" herstellen, als Ausgleich "für die
materielle Entwurzelung durch die Moderne, die erhöhte Mobilität, die
Zerstörung der Familie". Mit Ritualen der Information, der Unterhaltung,
der Kultur wurden die Tagesabläufe getrennt lebender Menschen
synchronisiert, wurden über Entfernungen hinweg gemeinsame Sprachen und
kulturelle Gemeinsamkeiten geschaffen und politische Debatten
instrumentiert. Das Programmschema von BBC oder ARD folgte idealiter dem
Modell eines großen Stadtplatzes, einer Agora, auf der sich im Laufe des
Tages alle irgendwann einmal einfanden: Bertolt Brecht und Freddy Quinn,
Heinz Erhardt und Klaus Harpprecht, die Königin der Nacht und Elvis, Strauß
und Enzensberger, die "Welt der Arbeit" und Dampfgeplauder, der
Seelenratgeber und die Odysse für Kinder. Das Parlament tagte auf UKW, im
Fernsehen schaute zur Primetime sogar Hamlet herein.
Das alles ist nun Nostalgie. Die öffentlichen Medienanstalten folgten -
ohne Not - in den letzten Jahrzehnten dem Hang zur Selbstkommerzialisierung
und zum Boulevard. Unter dem Druck der Politikerquoten in den Rundfunkräten
und der Einschaltquoten in den Köpfen der Programmdirektoren, begleitet vom
ängstlichen Schweigen und stillen Leiden der Redakteure, erlitten die
stolzen Kulturinstitutionen einen Banalisierungsschub nach dem anderen, bis
hinunter auf das Niveau von Sat.1, RTL. Die Intendanten ließen zu, dass
statt der politischen Magazine, die einst die politische Agenda setzten
oder beeinflussten, Frau Christiansen vier Legislaturperioden lang die
Propaganda der "Initiative soziale Marktwirtschaft" transportierte.
Genug des Jammerns. Was nun? Die Fundamente stehen ja noch. Eine
konsequente Entkommerzialisierung der öffentlichen Anstalten, ein Verzicht
auf Werbung, eingetauscht gegen den Verzicht der Medienunternehmen auf ihre
Attacken gegen die "Zwangsgebühren"; eine verfassungsrechtliche Garantie
für das öffentliche Rundfunksystem, gegebenenfalls dessen
Steuerfinanzierung; vor allem aber eine Entfernung der Parteien aus den
Aufsichtsgremien - dies alles und noch mehr könnte das "professionelle
Selbstverständnis eines unabhängigen Journalismus" wieder entfesseln.
Die Parteien werden solchen Machtverzicht nicht freiwillig leisten. Aber
wie wäre es mit einem kraftvollen Masterplan zum demokratischen Relaunch,
vorgelegt von den unkündbaren Lokomotivführern in den Anstalten? Mit
paritätischer Mitbestimmung der Journalisten in den parteifreien
Rundfunkräten, renommierten und ausstrahlenden Journalistenschulen der ARD,
wirksamen Redaktionsstatuten, anständigen Frequenzen für den nationalen
Hörfunk? Es gäbe hundert Ideen, deren Verwirklichung keine Marktrücksichten
zu nehmen hätte.
Vor allem aber sind die Öffentlich-Rechtlichen der wirksamste und letzte
Hebel der Politik, um im Internet die Machtergreifung durch kommerzielle
Interessen wenigstens einzugrenzen. Ein Blick auf die gute alte BBC lehrt,
was nötig wäre: Die Anstalt stellt gerade die Schätze ihrer Archive und
ihre professionell recherchierten aktuellen Sendungen kostenlos in die
neuen jugendnahen Internetplattformen und fischt damit Zuschauer und Hörer.
Bei der ARD wird derzeit nicht mal ein Prozent des Gebührenaufkommens für
die Netzprogramme eingesetzt. Angesichts der Medienpräferenzen der jüngeren
Generation ist das mehr als grob fahrlässig. Doch welche demokratischen und
kulturellen Chancen hätte die marktunabhängige ARD, würde sie das duale
System von bürgergesellschaftlicher und kommerzieller Publizistik und
Kultur, das auf dem Markt von Print und TV seit einem Vierteljahrhundert
schwer gestört ist, im Netz neu etablieren!
Wenn neue Kontinente sich auftun, muss man schnell seine Claims abstecken,
Zweckkoalitionen eingehen und aufkündigen, Gegner neutralisieren. Die
Medienkonzerne haben es begriffen, die Freunde der Demokratie tun sich
schwer damit. Immerhin, in der eher staatsskeptischen Blogger-Community
wächst die Erkenntnis, dass die schöne Vielfalt für kreative Start-ups und
Netzbürger nur dazu führt, dass es "kein gemeinsames Nachdenken mehr gibt"
und dass stattdessen "jeder über etwas anderes nachdenkt".
Das ist nichts anderes als der Ruf nach der klassischen Öffentlichkeit.
Deren Verteidigung ist nötig, aber sie wird vergeblich sein, wenn die neuen
Kontinente nicht besetzt werden. Eine Allianz der basisdemokratischen
Impulse der Blogger-Communitys mit dem Geld und Know-how der öffentlichen
Medien könnte zu einem neuen demokratischen Urknall führen.
Nachfrage gibt es genug, denn da wächst allmählich ein neuer Wurzelgrund
für Optimismus. 45 Prozent der Westdeutschen, meldet Allensbach mit
Missvergnügen, halten den Sozialismus für eine gute Idee, die beim ersten
Mal nur schlecht ausgeführt wurde. Vor 16 Jahren waren es noch 30 Prozent.
Das ist ein Wachstum von 50 Prozent. Vierzig Millionen suchen ein Medium.
Eine riesige Marktlücke für unabhängige Intendanten, profilsuchende
Politiker, leidenschaftliche Journalisten, flankierende Professoren,
ehrgeizige Blogger.
© Le Monde diplomatique, Berlin
10 Aug 2007
## AUTOREN
Mathias Greffrath
## TAGS
BBC
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