Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Guiseppe Garibaldi: Volksheld als Projektionsfläche
> Italien feiert den 200. Geburtstag des Nationalhelden Garibaldi. Nicht
> ohne Grund - sie sehnen sich nach einem Charismatiker, der das Land aus
> der politischen Gegenwart führt.
Bild: Linker Liebling in Bronze: Guiseppe Garibaldi.
Was heißt Schnellkochtopf auf Italienisch? "Gari Baldi". Der alte Witz
erzählt mehr, als die meisten wissen, denn im Italienischen gilt das vom
ungestümen Nationalhelden abgeleitete Adjektiv garibaldino als geflügeltes
Wort: einer, der die Dinge alla garibaldina macht, handelt übereilt,
unbedacht, impulsiv - das geht ja oft genug nach hinten los. Wie ein
Schnellkochtopf, auf den man nicht gut aufgepasst hat.
Um den 200. Geburtstag von Giuseppe Garibaldi (1807-1882) zu feiern,
gedenken die Italiener derzeit, was das Zeug hält. Mit überdrehten
Talkshows, Ausstellungen, Kongressen, Segelregatten und Schulwettbewerben
soll an den Mann erinnert werden, der wie kein anderer die italienische
Nationaleinigungsbewegung als revolutionäre Volksbewegung verkörpert. Schon
in den 1830er- und 40er-Jahren machte er sich in Lateinamerika einen Namen
als unerschrockener Freiheitskämpfer. 1848 kehrte er aus dem Exil zurück,
um gegen die Habsburger zu kämpfen und führte 1849 die Verteidigung der
Römischen Republik an, jener demokratischen Republik, die nach der Flucht
von Papst Pius IX. als Ergebnis der revolutionären Erhebungen seit 1848 in
Rom entstanden war und nach fünf Monaten von französischen und spanischen
Truppen niedergeschlagen wurde. Weltberühmt wurde er aber im Mai 1860, als
er mit 1.000 Freischärlern loszog, das Königreich Neapel-Sizilien von den
Bourbonen zu befreien (oder zu erobern, je nach Sichtweise), und damit
maßgeblich zur Gründung des italienischen Nationalstaates beitrug.
Garibaldi war im Laufe seines langen Lebens vieles: Pirat, Guerillero,
Republikaner, königstreuer General, vehementer Antikleriker, Nationalist,
Anhänger der Ersten Internationale - und Kultobjekt. Bis heute speist sich
seine Faszinationskraft auch aus dieser Ambivalenz. Der Mottenkistenzauber
folgt nicht nur der jubiläenbesessenen Zwangslogik der Kulturindustrie, er
hat auch aktuelle Gründe. Umfragen bestätigen die anhaltende Beliebtheit
des Che Guevara des 19. Jahrhunderts: 46 Prozent der Italiener halten ihn
für die wichtigste historische Figur Italiens.
Gefeiert und propagiert wird Garibaldi der Volksheld. An ihm lässt sich die
nationalstaatliche Einigung als ein Prozess von unten erzählen. Deswegen
hat ihn Vizepremierminister Francesco Rutelli per Dekret zur Galionsfigur
des Radrennsports ernannt, der nach Fußball zweitbeliebtesten Volkssportart
der Nation. Und so startete der diesjährige Giro dItalia, nach der Tour de
France das zweitwichtigste europäische Radrennen, von Caprera aus: einer
winzigen, weit abgelegenen Insel zwischen Sardinien und Korsika, auf die
Garibaldi immer wieder zurückkehrte und wo er auch begraben liegt. Im
Schlepptau der Rennfahrer fuhr ein 16 Meter langer Lastwagen mit einer
multimedialen interaktiven Wanderausstellung, um Kindern und Jugendlichen
das Leben und den Mythos des "Vaters der Nation" nahezubringen.
Vermarkten lässt sich Garibaldi auch heute noch so gut, weil er selbst ein
großer Kommunikator war und zur Popikone avant la lettre wurde. Seine
Fähigkeit, das Herz der "Massen" zu entfachen, wurde schon von seinen
Zeitgenossen bewundert. Victor Hugo, Friedrich Engels, Alexandre Dumas und
viele mehr - alle waren sie glühende Verehrer des italienischen
Blondschopfs. Ein Outcast auf der Seite der Unterdrückten, gut aussehend,
viril und in seinem roten Hemd, dem flatternden Poncho und dem Barett auf
dem Kopf, schien er das romantisch-literarische Heldenideal seiner Epoche
zu wirklichem Leben zu erwecken.
Seine Popularität war Garibaldis einziges politisches Kapital. Sie
verdankte sich vor allem der schnellen, massiven, teilweise von ihm selbst
geschickt gesteuerten und damals geradezu revolutionären medialen
Inszenierung seiner Person. Dank neuer Erfindungen wie des Telegrafens, der
lithografischen Drucktechnik und der Fotografie kursierten sein Bild und
die legendenhaften Berichte seiner Taten in ganz Europa. Mit Garibaldi
schlug die Geburtsstunde der Celebrities: Als er 1864 England besuchte,
kamen am Londoner Hafen abertausende Bewunderer zusammen. Darunter auch
Massen kreischender Frauen. Garibaldis Popularität, seine Kodierung als
charismatischer antiinstitutioneller Volksheld, machten ihn für viele
politische Bewegungen des 20. Jahrhunderts attraktiv: Die faschistischen
Schwarzhemden stilisierten sich gern als ideelle Nachfolger der
garibaldinischen Rothemden.
Doch auch die Linke nutzte Garibaldi immer wieder als Integrations- und
Mobilisierungssymbol: Im spanischen Bürgerkrieg kämpften Italiener in den
Internationalen Brigaden unter seinem Namen, und die Formationen der
kommunistischen Partisanen im italienischen Widerstandskampf hießen
ebenfalls Brigate Garibaldi. Als 2001 das G-8-Treffen in Genua stattfand,
kokettierte sogar die globalisierungskritische Bewegung mit dem "Helden
zweier Welten": Am Fuße der unzähligen Garibaldistatuen fand man
Spruchplakate, die in seinem Namen zum zivilen Ungehorsam aufriefen: statt
"Obbedisco" (Ich gehorche), wie Garibaldi 1866 lakonisch dem König
telegrafiert hatte, stand nun "Disobbedisco" (Ich gehorche nicht) in großen
Lettern da.
2007 ist es die Marketingbranche, die die Popqualitäten des Helden für sich
entdeckt. Garibaldi soll zum "Botschafter des Made in Italy" werden, zum
Werbeträger "der Marke Italia in all ihren wirtschaftlichen und
unternehmerischen Facetten", erklärt Nando Pagnoncelli, Präsident des
Dachverbands der italienischen Meinungsforschungsinstitute Assirm. Dieses
hat jetzt eine große Studie durchgeführt, "um das affektive Potenzial der
Symbolgestalt Garibaldi" festzustellen. Sechs von zehn Befragten wünschen
sich einen neuen Garibaldi in der aktuellen politischen Landschaft. Ihm
werden Eigenschaften zugeschrieben, die man gern bei heutigen Politikern
sähe: Charisma, Idealismus und Tatkraft. Fragt sich, warum.
Anfang der 1990er-Jahre haben der Fall der Berliner Mauer und die
spektakulären Prozesse, in denen weite Teile des politischen Establishments
wegen Korruption verurteilt wurden (mani pulite), eine tiefe Krise der
politischen Institutionen ausgelöst, die noch lange nicht vorbei ist. 1994
reagierten die Wähler auf die Erschütterung der gesamten
Parteienlandschaft, indem sie Berlusconi wählten. Letzte Episode des
Parteienauflösungs- und Neugründungsreigen ist die Fusion der Democratici
di Sinistra (DS, Nachfolgepartei der Nachfolgepartei der Kommunistischen
Partei Italiens - nennen wir sie Sozialdemokraten) mit der Margherita, der
moderaten linksliberalen Partei um den ehemaligen grünen Bürgermeister
Roms, Francesco Rutelli. Rauskommen soll eine neue große demokratische
Einheitspartei, das Partito Democratico. Die Debatten um die historische
Neugründung werden weniger von programmatischen Diskussionen als von der
Frage dominiert: Wer wird ihr Leader sein? Im Herbst sollen primary
elections nach amerikanischem Vorbild darüber entscheiden. Favorit ist der
telegene Walter Veltroni (DS), derzeitiger Bürgermeister von Rom und großer
Verehrer von Bill Clinton.
Auf der Suche nach vermeintlich basisdemokratischeren Formen betreibt die
Linke so eine Personalisierung und Amerikanisierung des Politischen. Denn
"in der Politik im american style von heute macht der Leader die Partei und
nicht die Partei den Leader", wie Vittorio Zucconi, Chefredakteur der
Onlineausgabe von La Repubblica, einem besorgten Leser erklärt.
Dass Garibaldis heutige Popularität wenig mit seinen emanzipatorischen und
revolutionären Idealen zu tun hat und viel eher Ausdruck einer aktuellen
populistischen Sehnsucht nach dem starken Mann ist, bestätigt ein weiteres
Ergebnis der Assirm-Studie: Auf der Hitliste der wichtigsten Personen für
die Geschichte Italiens folgt nach Garibaldi (mit seinen uneinholbaren 46
Prozent) Mussolini auf Platz zwei mit 15 Prozent. Während von den heute
lebenden Politikern es nur Berlusconi unter die ersten acht geschafft hat.
Wie Garibaldi und Mussolini glaubt auch er die Nation retten zu müssen und
inszeniert sich als schillernder Antipolitiker und Freiheitsheld (heute
heißt es Neoliberalismus), der seine Legitimation aus seinem privilegierten
Verhältnis zum Volk ableitet.
Nur die Lega Nord hat sich mal wieder als Spielverderberin aufgespielt.
Während der Gedenksitzung im Senat am 4. Juli erklärte der Vizevorsitzende
der Senatorenkammer, Giuseppe Calderoli, warum seine Partei sich weigere,
an der Ehrung teilzunehmen: "Wir tragen Trauer, weil Garibaldi den Norden
getötet hat." Garibaldi tauge nur als morbide Ikone des Partito
Democratico. Es ist eine Ironie der Geschichte: Gerade die
sezessionistischen und rassistischen Grünhemden mit ihrem
antiinstitutionellen volkstümelnden Gebaren sind auch Erben jener
politischen Kultur des modernen Populismus, die ihr verhasster Garibaldi
freilich im roten Hemd und mit ganz anderen Zielen begründete.
17 Aug 2007
## TAGS
Papst
## ARTIKEL ZUM THEMA
Papst Pius IX. erfand die Kirche neu: Dogma und Tristesse
Eine neue Biografie zeigt, wie Papst Pius IX. im 19. Jahrhundert dem
Katholizismus eine neue Tradition erfand. Die Kirche prägt er bis heute.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.