# taz.de -- Neue Linke: "Polen braucht echte Sozialdemokraten" | |
> Bei den Neuwahlen bietet sich den Polen eine trostlose Alternative - | |
> entweder die Kaczyskis oder die alten Herrscher. Für eine neue Linke ist | |
> es noch zu früh, so der Slawomir Sierakowski. | |
Bild: Linker Vordenker: Sierakowski. | |
taz: Herr Sierakowski, einst hat die ganze Welt Polen bewundert - für die | |
Solidarnosc, ihren Freiheitswillen und den Aufbau der Demokratie. Warum | |
lacht heute die ganze Welt über Polen? | |
Slawomir Sierakowski: Die heutige Regierung Polens und die Brüder Kaczynski | |
wirken von außen grotesk in ihrer Engstirnigkeit und Provinzialität. Aber | |
dieses Lachen beruht auf einem Missverständnis. Denn in Wirklichkeit hat es | |
das "Erfolgsmodell Polen" nie gegeben. Die neoliberalen Reformen nach 1989 | |
haben vielmehr die Mehrheit der Polen in die Armut getrieben. Heute leben | |
knapp 60 Prozent der Polen unter dem sozialen Minimum. Die Regierung, über | |
die heute alle lachen, wurde von eben jenen Reformverlierern gewählt. | |
Warum sind so viele in die Armut abgerutscht? | |
Die Kaczynskis, Leppers und Giertychs kamen nicht aus einem Nichts. An die | |
Macht geholfen haben ihnen die Gründerväter der III. Republik. Mit ihrem | |
"Erfolgsmodell Polen" haben Adam Michnik und die zu Sozialdemokraten | |
gewandelten Parteikommunisten ein ungerechtes System geschaffen. Die | |
Verarmung ganzer Schichten war kein "notwendiges Übel", das bei der | |
Neuverteilung des Reichtums zu akzeptieren war. Über 15 Jahre lang hatten | |
die Reformverlierer kein Sprachrohr. Das haben ihr erst die Populisten von | |
"Recht und Gerechtigkeit" gegeben, der Bauernführer Lepper und Pater Rydzyk | |
mit Radio Maryja. Oder besser: Sie gaben vor, sich für diese einzusetzen. | |
Werden die Populisten bei den Neuwahlen verlieren? | |
Das ist noch nicht gesagt. Das Drama Polens besteht in einer sinnlosen | |
Alternative: entweder wird die populistische IV. Republik fortbestehen, die | |
wir heute haben, oder es kommt zur Restauration der ungerechten III. | |
Republik. Es gibt in Polen keine dritte Kraft. Es fehlt eine Linke, die | |
nicht im alten kommunistischen System verwurzelt ist, eine echte | |
sozialdemokratische Linke, die die Interessen der bisherigen | |
Systemverlierer verteidigt. | |
Was ist mit den Linken und Demokraten, die im Herbst als LiD starten | |
wollen? | |
Programmatisch unterscheiden die sich nur graduell von den anderen Parteien | |
in Polen. Rechts, links - diese Unterscheidung macht in Polen keinen Sinn. | |
Die Wirtschaftspolitik ist hier wie dort neoliberal ausgerichtet. Nur | |
verpacken die Populisten sie ein bisschen anders. Ein krasses Beispiel | |
waren die Streiks der Krankenschwestern für einen menschenwürdigen Lohn. | |
Der Premier von "Recht und Gerechtigkeit" stellte die Frauen, die von ihrem | |
Hungerlohn von nicht einmal 200 Euro im Monat nicht leben können, in eine | |
Reihe mit Verbrechern. Die Haiders, Berlusconis und Kaczynskis beten doch | |
nur darum, dass sich die Wirtschaft von allein entwickelt und sie sich das | |
Wirtschaftswachstum dann als eigenen Verdienst anrechnen können. LiD hat | |
die Populisten dabei bislang nicht gestört. | |
Wäre es dann nicht an der Zeit, jetzt eine neue linke Partei ins Rennen zu | |
schicken? | |
Dazu ist es noch zu früh. Zuerst muss es politische Akteure geben und | |
Publizisten, die das Programm bekannt machen. Die Wähler müssen wissen, | |
dass diese neue Partei keine Eintagsfliege sein wird. Die neue Linke, wie | |
wir sie mit Hilfe der Zeitschrift Krytyka Polityczna aufbauen, muss in der | |
Gesellschaft erst noch breiter verwurzelt sein, bevor sie als Partei | |
starten kann. | |
Ihr "Handbuch der Linken" macht ja schon Furore. | |
Ja, denn es zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. LiD hat ihr | |
Programm weitgehend von uns übernommen. Aber LiD hat keine Leute mit neuen | |
Ideen. Jetzt nehmen sie Expräsidenten Aleksander Kwásniewski als Zugpferd. | |
Sie haben keine neuen Gesichter: ein Grufti-Aufmarsch. | |
Wie kann die neue Linke sich denn medial ins Szene setzen? | |
Wir brauchen das Fernsehen. Das ist völlig klar. Fast hätte ich eine | |
politische Sendung im Ersten Programm bekommen. Aber dann haben die | |
Verantwortlichen Angst vor der eigenen Courage bekommen und ihre Zusage | |
zurückgezogen. Wir haben gute Leute. Wir könnten Debatten anstoßen, die die | |
Populisten, Neoliberalen und "Linken" alt aussehen lassen könnten. Wir | |
könnten Erfolg haben. Doch die Absage ist nicht das letzte Wort. Die | |
Krytyka Polityczna ist in allen großen Zeitungen Polens präsent. Das | |
Fernsehen erobern wir auch noch. | |
Wie sieht es mit den Finanzen aus? | |
Zuschüsse gibt es in Polen nur für die großen Parteien. Neue Parteien sind | |
nur möglich, wenn sie Sponsoren aus der Wirtschaft oder die Kirche hinter | |
sich haben. Kurz: Die Finanzen sind unser größtes Problem. Ich bin aber | |
sicher, dass die Energie der Leute, die sich für uns einsetzen, viel mehr | |
Wert ist, als die Millionen, die unsere Gegner zur Verfügung haben. | |
Gibt es schon einen Namen für die künftige Partei? | |
Der fällt uns ein, wenn wir ihn brauchen. | |
INTERVIEW: GABRIELE LESSER | |
23 Aug 2007 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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