# taz.de -- Film-Nachwuchspreis: "Die Jungen suchen die Wahrheit" | |
> Andrea Hohnen sichtet alle eingereichten Filme zu den First Steps Awards. | |
> Und erklärt, warum es nie so viele gute Spielfilme gab wie 2007 - und | |
> welche ihr am Herzen liegen | |
Bild: Zum Totlachen, sagt Andrea Hohnen: "Ijon Tichy" mit Nora Tschirner | |
taz: Frau Hohnen, in einem der nominierten Kurzfilme verhindert ein | |
Mitarbeiter eine Massenentlassung in seiner Firma - der Film heißt "15 | |
Minuten Wahrheit". Haben die jungen Filmemacher den Wahrheitsanspruch für | |
sich entdeckt? | |
Andrea Hohnen: Wahrheit ist tatsächlich ein Thema, wonach viele in diesem | |
Jahrgang suchen. Vor allem in den Kurzfilmen befassen sie sich auf | |
unterschiedliche Weise mit politischen Themen. Arbeitslosigkeit, Ausländer | |
im Illegalen-Status in Deutschland oder die Kriegsfolgen im ehemaligen | |
Jugoslawien. Bei den Spielfilmen, geht es stärker um die Wahrheit in | |
familiäreren Zusammenhängen. Sie zeichnen genaue psychologische Studien. | |
Unterscheidet sich der Jahrgang 2007 darin sehr von den ersten | |
Preisträgern? Sie sichten ja seit acht Jahren, also von Beginn an, alle | |
eingereichten Abschlussfilme. | |
Die Anfangszeit von First Steps war sehr stark von einer Nachwuchseuphorie | |
geprägt. Die Filme muteten sehr viel stärker an wie bewusste Vistienkarten. | |
Nach dem Motto: 'Guckt mal, das kann ich erzählen'. Daraufhin gab es eine | |
Phase, in der handwerklich sehr viel experimentiert wurde. Die veränderte | |
Digital-Technik hat sich stark niedergeschlagen sowohl in Spielfilmen als | |
auch in Dokumentarfilmen. Wir bekamen viele Doku-Fiction-Formate oder | |
fiktionale Elemente im Dokumentarfilm zu sehen. Ein eher formaler Zugang | |
also. | |
Der aber weniger wichtig geworden ist? | |
Bereits im vergangenen Jahr ist mir die Souveränität aufgefallen, mit der | |
sich die Absolventen ihrer Mittel bedienen. In diesem Jahr kristalliert | |
sich das nochmals. Die Reihenfolge ist gewissermaßen: Was will ich erzählen | |
und dann überlege ich mir, wie will ich es erzählen. Das 'Wie' scheint sich | |
organisch zu ergeben aus dem 'Was'. Auch deshalb haben wir in diesem Jahr | |
extrem gute und viele Spielfilme. So ein Jahr hatten wir noch nie. | |
Was macht einen Spielfilm in Ihren Augen so gut, dass er nominiert wird? | |
Jeder der Filme in diesem Jahr hat sich etwas anderes vorgenommen und kann | |
es zu einem unwahrscheinlich hohen Grad einlösen. Zum Beispiel in den | |
"Unerzogenen", wo es um eine chaotische, zerbrechende Familie geht, da | |
arbeitet der Film mit Handkamera, sie ist ganz nah an den Protagonisten. | |
Bei "Gegenüber", der eine Gewaltbeziehung zwischen zwei erwachsenen, | |
bürgerlichen Ehepartnern in den Fokus stellt, arbeitet der Film auch mit | |
Handkamera, aber immer in den engen Räumen des Zuhauses. Er folgt seinen | |
Figuren. Bei all diesen Filmen hatte ich das Gefühl, sie mussten erzählt | |
werden. | |
Konzentriert sich die Ausbildung an den Schulen stärker auf die Geschichten | |
oder haben die Filmer wieder mehr zu erzählen? | |
Mein Eindruck ist, dass sie sich sehr viel genauer überlegen, was sie mit | |
Kino bewirken können; mit einem Film, an dem sie teilweise jahrelang | |
arbeiten. | |
Ins Kino schaffen es leider die wenigsten, zumindest ohne Fernsehförderung. | |
Ist die konstant geblieben? | |
Im Moment ist sie das noch. Das "Kleine Fernsehspiel" im ZDF zum Beispiel | |
ist wieder stark vertreten. Klopfen wir mal auf Holz, dass das auch so | |
bleibt. An dieser Stelle breche ich immer gerne eine Lanze dafür, was | |
Fernsehen kann, wenn es sich bemüht: Filme zu unterstützen, die unter | |
anderen Bedingungen gar nicht mehr entstehen könnten - und gleichzeitig zu | |
ermöglichen, dass die Filme auch auf der Leinwand erscheinen. | |
First Steps hat dieses Jahr eine Neuerung, die weniger auf die Leute im | |
Hintergrund setzt: einen Preis in der Kategorie Schauspiel. Erhöht das den | |
Starfaktor? | |
Ganz ehrlich, der Schauspielpreis ist ein lange gehegter Wunsch. Den | |
DarstellerInnen kommt in Abschlussfilmen eine besondere Bedeutung zu. Sie | |
entstehen ja mit kleinsten Budgets, das heißt Leute außerhalb des | |
Schulkontextes stoßen zu dem Projekt, sie verdienen nichts, gehen aber | |
volles Risiko ein, da sie mit unbekannten, jungen RegisseurInnen arbeiten - | |
und das unter extremen Drehbedingungen. Das betrifft sowohl die | |
Nachwuchs-Schauspieler als auch prominente Profis. | |
Gehen die Preise denn an die Profis? | |
Einige Filme, "Gegenüber" zum Beispiel, konnten nur mit solch extrem tollen | |
Schauspielern entstehen wie Matthias Brandt und Victoria Trauttmansdorff. | |
Daher hat die Jury lange debattiert darüber, in welche Richtung sie ein | |
Signal setzen soll: Dass bekannte Schauspieler weiter diese Experimente | |
mitmachen und -tragen oder dass der Nachwuchs mehr Öffentlichkeit bekommt. | |
Sie haben sich für letzteres entschieden, denn daraus können langjährige | |
Partnerschaften entstehen oder Leute entdeckt werden, die in den | |
Abschlussfilmen in Nebenrollen zu sehen sind. | |
Ist Fördern ein Grund, weshalb First Steps sich selbst als "Der deutsche | |
Nachwuchspreis" bezeichnet? Schließlich gibt es noch sehr viel mehr | |
Nachwuchspreise und -festivals. | |
Ein wichtiger Unterschied zu anderen liegt im Ursprung von First Steps: Die | |
Idee war, einen roten Teppich für den Nachwuchs auszurollen und damit eine | |
Gelegenheit zu bieten, Kontakte in der Branche zu knüpfen. Die Gästeliste | |
wird so zusammengesetzt, dass es ein ergiebiger Abend ist, nicht nur für | |
die Preisträger, sondern auch für alle Nominierten. | |
Welcher Film soll denn Ihrer Meinung nach dieses Jahr preisgekrönt werden? | |
Für mich gibt es jedes Jahr einen Film, an dem mein persönliches Herz | |
hängt, aber ich sehe ich ja unendlich viele im Vorfeld. Dadurch kann ich | |
ehrlich gesagt keinen Lieblingsfilm nennen. Vielleicht nur soviel: In | |
diesem Jahr hätten 15 Spielfilme statt sieben nominiert werden müssen. Aber | |
das geht leider nicht. | |
An welchem hängt dann Ihr Herz? | |
"Die unsichtbare Hand", ein Kurzfilm, der sich auch mit dem Thema | |
Arbeitslosigkeit auseinandersetzt, den finde ich schon brillant, vor allem | |
im Umgang mit der Tonebene. So etwas sieht man selten und erfüllt meinen | |
Anspruch: Ich gucke Filme auch mit dem Hirn, nicht nur mit dem Herzen. | |
Ansonsten, und da oute ich mich ein wenig: Ich kann mich wegwerfen vor | |
Lachen bei "Ijon Tichy" mit Nora Tschirner. Dabei handelt es sich ja auch | |
um einen Versuch des "Kleinen Fernsehspiels", eine neue Form der Serie zu | |
entwickeln, der ja bereits im ZDF zu sehen war. Aber ich weiß, darüber | |
können nicht alle lachen... | |
Komödien finden sich allgemein eher selten unter den Abschlussfilmen - gibt | |
es an Schulen nichts zu lachen? | |
Oh, da muss ich aber sagen: Wir haben in diesem Jahr eine wunderbare | |
Komödie, wenn auch mit ernsten Untertönen. "Hotel very welcome", in dem es | |
um Jugendliche geht, die durch Indien und Thailand trampen auf der Suche | |
nach Sinn und Unterhaltung, das ist ein sehr selbstironischer Film. Er | |
erlaubt voller Anteilnahme, diesen Figuren in komische Situationen zu | |
folgen und während man über sie lacht, erkennt man sich selbst in ähnlichen | |
Situationen. Das hinzukriegen ist nicht nur für NachwuchsfilmerInnen | |
schwer. So etwas wie "Hotel very welcome" gibt es wirklich ganz selten. | |
INTERVIW: SUSANNE LANG | |
27 Aug 2007 | |
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