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# taz.de -- Debatte: Ende einer Schmierenkomödie
> Heute wird Abdullah Gül zum neuen Präsidenten der Türkei gewählt, und das
> ist gut so. Denn damit geht die Ära der Doppelherrschaft von Politik und
> Armee endlich zu Ende.
Bild: "Das Kopftuch verhüllt nicht mein Gehirn": Hayrünnisa Gül mit ihrem Ma…
Heute wird das türkische Parlament aller Voraussicht nach Abdullah Gül zum
neuen Staatspräsidenten wählen. Die regierende AKP (Partei für
Gerechtigkeit und Entwicklung) von Ministerpräsident Tayyip Erdogan hievt
damit nun ihren Mann ins höchste Staatsamt. Und das ist gut so. Denn damit
geht eine Schmierenkomödie zu Ende.
Nein, es ist kein revolutionärer Bruch, der sich vollzieht, nur weil ein
Mann, dessen Ehefrau ein Kopftuch trägt, Staatspräsident wird. Das
politische System in Deutschland ist ja auch nicht aus den Angeln gehoben
worden, nur weil Joschka Fischer Außenminister wurde. Gül als
Staatspräsident: das bringt eher etwas Normalität ins anormale politische
Koordinatensystem der Türkei, wo weiterhin jeder Staatspräsident vor dem
Mausoleum des Republikgründers Atatürk strammstehen muss. Die Grünen waren
damals die politischen Repräsentanten einer gesellschaftlichen Minderheit,
die verspätet ins politische System integriert wurde. Die AKP aber stellt
in der Türkei seit über einem Jahrzehnt die Bürgermeister der Großstädte
und seit fast fünf Jahren die Regierung, bei den Wahlen im vergangenen Juli
erhielt sie fast 47 Prozent der Stimmen. Was also ist neu?
Es lohnt sich, an die Vorgeschichte zu erinnern. Güls Wahl zum Präsidenten
sollte eigentlich schon im Frühjahr stattfinden. Doch in einer
mitternächtlich ins Internet gestellten Erklärung drohten die Generäle
damals indirekt mit einem Putsch. Oppositionsführer Baykal schreckte mit
dem Gespenst eines Bürgerkriegs und verhinderte die Wahl mit
formaljuristischen Tricks. Es waren die Militaristen, die Wächter des
Status quo, die das Land in eine tiefe politische Krise stürzten, um Güls
Wahl zu verhindern, und vorgezogene Neuwahlen erzwangen. Die Quittung
präsentierten die Wähler bei den Parlamentswahlen. Der Sieg der AKP war
auch ein Referendum gegen die Interventionsgelüste des Militärs.
Ihr Wahlergebnis straft all jene Lügen, die der AKP die Rolle eines
obskuren islamischen Geheimbundes zuwiesen. Ihre regionalen Erfolge zeigen
klar, dass die AKP es geschafft hat, eine Volkspartei zu werden. Ethnische
und religiöse Zugehörigkeit spielten eine geringere Rolle als bei früheren
Wahlen in der Türkei: Unter den Wählern der AKP sind auch viele Armenier
und Aleviten, bei den kurdischen Wählern konnte die Partei ihren
Stimmenanteil erheblich steigern. Vorbei sind die Zeiten, als die AKP vor
allem die Partei des islamisch geprägten, aufstrebenden anatolischen
Kapitals war und ihre Stimmen in den Elendsbezirken der Großstädte holte.
Jetzt schaffte sie auch in Arbeiterquartieren und Vierteln des bürgerlichen
Mittelstands den Durchbruch.
Entsprechend heterogen ist die Fraktion der AKP-Abgeordneten im Parlament:
Da sitzen Abgeordnete wie der Sozialdemokrat Ertugrul Günay, der die
Bedeutung staatlicher Sozialpolitik propagiert, oder der linksliberale
Verfassungsrechtler Zafer Üskül, der die antidemokratischen Paragrafen der
Verfassung abschaffen will, neben Abgeordneten, die ihre Karriere in den
islamistischen Kaderschmieden begannen und auch heute noch einem
reaktionären Frauenbild anhängen.
Es ist die pragmatische Realpolitik, die die AKP eint: ein proeuropäischer
Kurs, eine liberale Wirtschaftspolitik, die Integration des türkischen
Markts in die kapitalistische Weltökonomie. Eine solches Programm
erforderte den Abbau des autoritären staatlichen Apparats, der einst nicht
nur die Ökonomie kontrollierte, sondern auch die politisch-ideologischen
Eckpfeiler des Systems bestimmte. Neben der Armee gehört das Präsidentenamt
zu jenen Institutionen, die unerbittlich jede Abweichung vom ideologischen
Rahmen – einer eigensinnigen Interpretation des Kemalismus – verfolgten.
Eine reaktionär-konservative Clique, demokratisch nicht kontrolliert, übte
so ihre Macht im Namen des „Fortschritts“ aus. Sie waren es, die
aufschrien, als ein paar Studentinnen mit Kopftuch studieren wollten, und
das Kopftuchverbot an Universitäten erzwangen. Nun müssen sie mit einer
First Lady leben, der sie einst das Studium verwehrten.
Die Rede vom angeblich so laizistischen Militär auf der einen und der
islamistischen AKP auf der anderen Seite, sie ist Unsinn. Die Militärs
haben kräftig an der Islamisierung der Gesellschaft mitgewirkt, wenn es
ihnen in den Kram passte. Nach dem Putsch von 1980 führten sie
Religionsunterricht als Pflichtfach an den Schulen ein. Und sie hatten
keine Bedenken, im Rahmen ihrer Anti-PKK-Propaganda in den kurdischen
Gebieten mit Koransuren zu werben. Die Diskriminierung nichtmuslimischer
Religionsgemeinschaften und der Aleviten zieht sich durch die Geschichte
der Republik, in der die „Behörde für religiöse Angelegenheiten“ eine
orthodox-sunnitische Interpretation des Islam zur alleinigen Richtschnur
religiöser Praxis erhob. Der vielbeschworene Laizismus wurde so seines
Inhalts längst beraubt.
Mit Gül als Staatspräsidenten wird langsam die Ära der Doppelherrschaft von
Politik und Armee zu Ende gehen. Die Militärs sind durch das Wahlergebnis
geschwächt; ein Putsch ohne Krise und ohne Legitimation der Massen wäre zum
Scheitern verurteilt. So bleibt als politisches Machtzentrum nur noch die
AKP, die jetzt Staatspräsident, Ministerpräsident, Parlamentsmehrheit und
die überwältigende Mehrheit der Kommunalverwaltungen stellt.
Diese Machtfülle wird die AKP in Bedrängnis bringen. Denn obwohl sie schon
bislang die Regierung stellte, konnte sie sich bis jetzt als unterdrücktes
politisches Opfer gerieren: Ob es nun um die Aufarbeitung des Massakers an
den Armeniern von 1915, die kurdische Frage oder die repressiven Paragrafen
des Strafrechts ging: stets schob die AKP den Schwarzen Peter dem
heimlich-unheimlichen Machtzentrum zu und entzog sich politischer
Verantwortung. Dies wird nun nicht mehr möglich sein.
Das eröffnet der Türkei den Weg zu einer tatsächlichen Transformation des
politischen Systems. Eine freie Debatte, in der viel ideologischer Schrott
entsorgt werden müsste, wäre nötig. Die erste Probe aufs Exempel bietet der
Entwurf für eine Verfassungsänderung, die die Putsch-Verfassung von 1982
ablösen soll: Die AKP hat sie bei einem liberalen Verfassungsrechtler in
Auftrag gegeben. Der Entwurf, der etwa das Verbot von Kurdisch als
Unterrichtssprache aufhebt, die Rechte des Staatspräsidenten beschränkt und
bei Entscheidungen des Militärapparats den Rechtsweg zulässt, würde einen
gewaltigen Fortschritt bedeuten. Doch vieles spricht dafür, dass die AKP
den realpolitischen Weg geht, und folglich auch den Verfassungsentwurf
zurechtstutzt.
Nichts wäre leichter, als das Arrangement mit den Militaristen zu suchen,
an den bisherigen Tabus des repressiven politischen Systems fest zuhalten
und sie um konservativ-islamische Komponenten anzureichern. Die Folge wäre
die Transformation der AKP in eine Staatspartei, die die Türkei
schnurstracks in Isolation und Nationalismus führt.
ÖMER ERZEREN
28 Aug 2007
## AUTOREN
Ömer Erzeren
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Wenn der neue türkische Staatspräsident Gül sein Amt bekleidet, wird nicht
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Über ein umstrittenes Stück Garderobe.
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