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# taz.de -- Doku: Das Erbe ausschlagen
> Der Dokumentarfilm "Thomas Harlan - Wandersplitter" porträtiert den Sohn
> des einflussreichen Naziregisseurs Veit Harlan ohne jeden Firlefanz.
Bild: Gelegentlich ein Blick in die Berchtesgadener Berglandschaft, ansonsten i…
Der Filmemacher und Schriftsteller Thomas Harlan ist aus vielen Gründen
eine Figur von öffentlichem Interesse. Er hat mit "Rosa" und
"Heldenfriedhof" zwei außerordentliche Bücher über die
nationalsozialistischen Täter und die Wahrheitssucher nach dem Krieg
geschrieben. Und er hat mit kontroversen Filmen wie "Wundbrand" auch auf
das Erbe reagiert, das er von seinem Vater mitbekam: Veit Harlan, Regisseur
von "Jud Süß" und "Kolberg", bedeutendster Künstler und einflussreichster
Propagandist des Nazikinos. Wenn man so will, dann hat Thomas Harlan seine
Lebensgeschichte darauf verwandt, dieses Erbe seines Vaters auszuschlagen
(und dabei vielleicht auch eine Möglichkeit zu finden, ihn selbst als
Person anzunehmen).
Der Dokumentarfilmer Christoph Hübner nahm von Thomas Harlan zum ersten Mal
Notiz, als er in der Süddeutschen Zeitung ein seither ziemlich bekannt
gewordenes Foto sah: Veit Harlan auf dem Krankenbett, kurz vor seinem Tod,
neben ihm sein Sohn, damals noch dunkelhaarig, mit einem Blick, in dem kein
Hass zu erkennen ist. Diese intime Szene hat Thomas Harlan auf seinem Weg
durch die europäische Nachkriegsgeschichte nach außen gefaltet. Er hat sich
weit von seiner Familiengeschichte entfernt, ist aber über die
nationalsozialistischen Verbrechen, deren Erforschung er viele Jahre
gewidmet hat, immer wieder auf sie zurückverwiesen worden. "Jud Süß" ist
für ihn kein Film, sondern ein "Hammer, mit dem man andere totgeschlagen
hat". Wie konnte Veit Harlan, dessen Karriere nach dem Krieg eine
erfolgreiche Fortsetzung fand, danach weiter "Hammermacher" sein?
In dem Film "Thomas Harlan - Wandersplitter" erstattet Thomas Harlan vor
der Kamera von Christoph Hübner von all diesen Dingen Bericht, soweit dies
geht bei der beschränkten Zeit angesichts eines übervollen Lebens. Thomas
Harlan lebt heute in der Nähe von Berchtesgaden. Gelegentlich ein Blick in
die Berglandschaft, das ist alles, was in "Wandersplitter" an Außenwelt zu
sehen ist. Die weitaus meiste Zeit ist die Kamera in dem kleinen
Krankenzimmer, in dem Thomas Harlan in einer halbnahen Einstellung sitzt
und spricht. Er spricht so, als hätte er selbst den Film schon vor Augen,
er teilt seine Berichte schon beim Reden in Kapitel ein, verweist beim
Reden auf spätere oder frühere Kapitel und antizipiert manchmal sogar schon
die Montage.
Harlan hat viel zu erzählen. Er hat Hitler (den "Fakir") kennengelernt, bei
einem Essen, bei dem vor allem vom Volkswagen die Rede war. Er hat sich
nach dem Krieg mit den Tätern der zweiten und dritten Ebene angelegt, die
im Nürnberger Prozess nicht angeklagt worden waren und in der BRD schnell
wieder in führende Positionen kamen. Die Arbeit in polnischen Archiven
beschreibt er als Selbstverteidigung: Er brauchte Beweise, um sich in den
Gerichtsverfahren zu behaupten, mit denen ihm die aufgestörten Täter
drohten. Eine Anzeige wegen Landesverrats hielt ihn schließlich für lange
Zeit von Deutschland fern, und 1969 vollzog er, was er heute eine "große
Desertion" nennt: In Portugal wollte er noch einmal von vorn anfangen und
bei der Revolution 1973 in einem "der Länder, die es verdienten", dabei
sein.
Es gibt blinde Flecken in "Wandersplitter". Vor allem hätte Christoph
Hübner genauer nach dem Verhältnis Harlans zu seiner "sehr geliebten
Sowjetunion" fragen können, dann würden vielleicht auch die Erzählungen
über Berlin im Jahr 1945 besser verständlich - Harlan, damals ein
Jugendlicher, erlebte das Kommen der Russen als Befreiung, während viele
Menschen in Berlin, vor allem Frauen, sich in die Keller flüchteten. Wenn
Harlan heute über diese Dinge spricht, dann tut er dies beinahe
literarisch: Er verdichtet auf anschauliche Situationen und will es nicht
nachträglich besser wissen, als er es damals erleben konnte.
Die Differenz zwischen damals und heute interessiert Christoph Hübner an
dieser Stelle: Er lässt die Kamera laufen, stellt aber keine Frage. Harlan,
der seine Erzählung selbstbewusst mit einer kleinen Sentenz abgerundet
hatte, sieht sich also genötigt, nach einer kleinen Pause noch einmal
anzusetzen. In Momenten wie diesem gewinnt "Wandersplitter" eine große
Dimension: Das Individuum ist ohnehin unaussagbar, die Geschichte ist
übermächtig, und doch findet dieser Dokumentarfilm, in dem er keine
illustrierenden Szenen, kein Wochenschaumaterial, keinen Firlefanz zeigt,
sowohl einen Begriff wie Bilder davon - vom Individuum Thomas Harlan in der
Geschichte des 20. Jahrhunderts.
31 Aug 2007
## AUTOREN
Bert Rebhandl
## TAGS
Götz George
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