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# taz.de -- Hinter der Filmkamera: Der Rhythmus des Lebens
> Bei vielen schönen Filmen steht er hinter der Kamera: Patrick Orth
> erklärt mit zurückhaltenden Einstellungen ganze Biografien. Nun startet
> sein Film "Karger".
Bild: "Ich habe mich als Kameramann schläfrig gestellt": Patrick Orth
Es kann eine Verzögerung im Schritt, ein schläfriges Gesicht oder eine kaum
merklich verkrampfte Körperhaltung sein. Die Bilder des Kameramanns Patrick
Orth haben viel Platz für solche kleinen Beobachtungen und Details. Ohne
die Figuren näher zu kennen, bekommt man schon eine Ahnung von ihrer
Befindlichkeit. Wenn das junge Mädchen zu Beginn von Ayse Polats Film "En
garde" ins Jugendheim muss, zeigt Orth ausführlich ihren Weg vom Auto zur
Eingangstür. Immer langsamer, vorsichtiger werden ihre Schritte, immer
fester umschließen ihre Hände die Plastiktüten, in denen Alice ihre paar
Habseligkeiten aufbewahrt. Dieser Kameramann braucht nur einen Gang, um von
der Verunsicherung eines Mädchen zu erzählen, das nicht weiß, was wird.
Wenn man ihm gegenüber sitzt, erhält die abgedroschene Formulierung von der
Einstellung als Einstellung ihren Sinn. "Ja, ich will das manchmal sehen,
wie Menschen sich bewegen, wie sie durch die Welt laufen. Damit kann man
viel vom Verhältnis einer Figur zu ihrer Umwelt erzählen", sagt er. "Man
betrachtet doch auch im normalen Leben ganz oft Menschen von hinten und
beobachtet, wie sie durch die Straße gehen." Orth schaut auf, doch
samstagmorgens um zehn Uhr ist Berlin-Mitte noch menschenleer. "Ich mag
auch Gänge, die von vorne gefilmt sind, aber da gibt die Kamera die
Richtung vor. Meistens ziehe ich es vor, auf die Bewegungen der Figuren zu
reagieren"
Patrick Orth, Jahrgang 1968, hat an der Hamburger Hochschule für Bildende
Künste (Fachbereich Spielfilm) visuelle Kommunikation studiert. Im Film
reichen wenige Einstellungen und im Gespräch ein paar Sätze, in denen sich
die Haltung dieses Kameramanns zu seinem Beruf ausdrückt. Immer wieder
fällt das Wort beobachten. "Ich versuche mich bei allen Filmen möglichst
zurückzuhalten", sagt Orth. Die Kamera soll keine künstlerische Virtuosität
veranstalten, die die Aufmerksamkeit auf mich lenken würde. Sie soll bei
den Darstellern sein, sie verfolgen. Man soll gar nicht merken, dass es
sich um eine Aufnahme handelt. Das ist mein Ideal."
Und so kann es aussehen: Ein Mann räumt seinen Umkleideschrank aus, er hat
gerade seine Arbeit in einem Stahlwerk verloren. Wenig später sitzt er bei
der Scheidungsrichterin, die seine Ehe für beendet erklärt. Mit einer
sachlichen, fast dokumentarisch agierenden Kamera arbeitet Orth in seinem
neuesten Film "Karger", dem mit Laien gedrehten Regiedebüt von Elke Hauck,
das jetzt gerade in die Kinos gekommen ist. Da die äußeren Ereignisse Drama
genug sind, entdramatisiert Orth mit seinen Einstellungen. Im Gerichtssaal
schwenkt er nicht zwischen der Titel gebenden Figur und seiner Exfrau hin
und her, um Spannung zu erzeugen oder Mann und Frau zu Kontrahenten zu
machen. Vielmehr zeigt er in ruhigen Einstellungen ihre sprachlosen
Gesichter. So ist schon alles über die Beziehung zweier Menschen gesagt,
die nicht im Streit auseinandergehen, sondern denen das Gefühl füreinander
verloren gegangen ist.
Wieder reichen Orth ein paar Szenen, um den Zuschauer mit in den Rhythmus
eines anderen Lebens zu nehmen. Und wieder ist Zurückhaltung das Konzept
dahinter. Eine, die aber durchaus viel Arbeit macht. "Ich beschäftige mich
schon sehr intensiv mit dem Drehbuch. Mein erster Zugang ist nicht so
visuell bestimmt, sondern eher dramaturgisch", sagt Orth. "Die Regisseure,
mit denen ich bis jetzt gearbeitet habe, mögen das auch. Ich möchte
herausfinden, wohin der Regisseur eigentlich hin will. Ich will keinen
eigenen Kosmos entwerfen, sondern den des Regisseurs verstehen."
Orths Bescheidenheit, seine Bereitschaft, mit der Kamera in den Figuren und
ihrer Welt zu verschwinden, hat etwas zutiefst Sympathisches, ja
Begeisterndes. Bei "Karger" ging die Vorarbeit sogar noch weiter. Vor
Drehbeginn verbrachten Regisseurin und Kameramann mehrere Wochen im
sächsischen Riesa, um die Darsteller besser kennen zu lernen, um ein Gefühl
für die Stimmung des Ortes zu bekommen. "Wir haben uns abends in den
Kneipen getroffen. Ich habe auch so ein Jobvermittlungsgespräch beim
Arbeitsamt mitgemacht, wie man es im Film sieht. Also wenn ich nicht schon
eine Arbeit hätte, in Riesa würde ich garantiert auch keine finden."
In "Karger" nimmt man die Welt mit den Augen eines Menschen wahr, dessen
Leben plötzlich implodiert. Wenn Karger durch die Kneipen zieht, bei seiner
neuen Freundin übernachtet, ist sofort zu spüren, dass hier nirgends eine
Zukunft auf ihn wartet. Alles ist ungewiss. Kargers Ohnmacht, auf die
Situation zu reagieren, seine Angst und Passivität bestimmen den Rhythmus
der Kamerabewegungen. Um diese Gefühle ins Bild zu bringen, muss das
Objektiv zurückweichen und den Raum freigeben. Manchmal sitzt Karger in
seiner neuen, nur spärlich eingerichteten Wohnung auf der Couch, und Orth
beobachtet ihn, wie er ins Nichts starrt. Nur dieses Gesicht vor einer
weißen Raufasertapete. Einfacher, aber auch eingängiger lässt sich kaum von
Resignation und Stillstand erzählen. "Natürlich hätte ich in diesem Moment
gerne einen Gegenstand in Kopfhöhe als Referenz für die räumliche Situation
gehabt", sagt Orth. "Doch manchmal muss man das Gegenteil tun, das Bild
reduzieren, und plötzlich stimmt es."
Durch Zurückhaltung zu einer Innenperspektive zu gelangen, Filme nicht
durch Handlung und äußerliche Bewegung zusammenzuhalten, sondern durch
Stimmungen und Gefühlszustände. All das verbindet sich zu einer
antipsychologischen Erzählweise, die den Zuschauer mit-, aber eben nicht an
die Hand nimmt. Sieben Kinofilme hat Orth bisher gedreht, und es ist kaum
zu glauben, wie viele Bilderrhythmen und Perspektiven sich aus seiner
diskreten Arbeitsweise entfalten. Man muss sich nur den Beginn von Ulrich
Köhlers Film "Bungalow" vor Augen führen: In einer einzigen
ungeschnittenen, sich über zwei Minuten erstreckenden Einstellung zeigt
Orth, wie sich ein junger Mann dem Leben durch Passivität verweigert. Die
Kamera beobachtet, wie eine Truppe Soldaten aus einem Bundeswehrlaster
aussteigt, durch eine Raststätte geht und mit Kaffeebechern beladen wieder
einsteigt. Nur einer bleibt sitzen, es ist Paul. Und damit hat sich das
Rebellionspotenzial dieses Halbwüchsigen auch schon erschöpft.
"In diesem Film habe ich mich als Kameramann schläfrig gestellt und immer
leicht verzögert auf Pauls Bewegungen reagiert", sagt Orth. "Pauls
indifferentes Lebensgefühl und seine Lethargie übertragen sich auf den
Film." Stimmt. Und dennoch ist man als Zuschauer hellwach, weil man die
Welt aus einer Perspektive wahrnimmt, die erst noch ihren Weg suchen muss.
Bei Patrick Orth entwickeln auch schläfrige Einstellungen Dynamik. Nur ganz
anders, als man es sonst im Kino gewohnt ist.
1 Sep 2007
## AUTOREN
Anke Leweke
## TAGS
Fernsehfilm
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