# taz.de -- Mutmaßliche Bombenbauer: Zornige junge Männer | |
> Über den hausgemachten islamistischen Terror und den Dschihad, den | |
> Internationalismus des 21. Jahrhunderts. | |
Bild: Keimender Dschihadismus hinter deutscher Eigenheimästhetik - ein weitgeh… | |
Fritz, Daniel und Adem. Die Festnahme der drei mutmaßlichen Dschihadisten | |
ist ein heilsamer Schock. Schlagartig wird bewusst, dass der islamistisch | |
begründete Terrorismus nicht alleine von obskuren Gruppen aus der | |
muslimischen Welt in die westlichen Gesellschaften importiert wird und | |
keine innere Angelegenheit der Einwanderer in Deutschland ist. | |
Der Dschihadismus ist eine moderne politische Bewegung mit hoher | |
Anschlussfähigkeit. Der Kern seiner Ideologie besteht in der Ablehnung des | |
Individualismus und Liberalismus. Der Dschihadismus nährt sich aus | |
Antiamerikanismus, Antisemitismus und ist eine Kampfansage an die | |
ökonomische, militärische und kulturelle Dominanz des Westens. Mit der | |
Ideologie des Dschihadismus, nicht unbedingt mit der Wahl der Mittel, | |
können sich viele identifizieren: islamistische und rechtsextreme Gruppen, | |
Teile der Antiglobalisierungsbewegung und der Linksradikalinskis. | |
Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber durch die Art, wie die Debatte über | |
den Islam und Islamismus in den letzten Jahren geführt wurde, in | |
Vergessenheit geraten. An die Stelle einer soziologisch und intellektuell | |
anspruchsvollen Analyse dieser totalitären Ideologie sind kulturalistische | |
Geschwätzigkeit und nutzlose Koranexegese getreten, die versucht, aus den | |
Originalquellen die Zwangsläufigkeit einer der größten politischen | |
Herausforderungen des 21. Jahrhunderts abzuleiten. | |
Für den hausgemachten Terrorismus braucht es die bekannten Spindoctors aus | |
Saudi-Arabien, Syrien oder Ägypten nicht. Fritz und Daniel waren nicht die | |
ersten Konvertiten, und sie werden nicht die letzten sein, die den | |
Terrorfahndern in die Hände fallen. Der Dschihadismus ist kein | |
Importartikel mehr, sondern ist inzwischen fester Bestandteil des | |
einheimischen Ideologieangebots. Es gibt in Deutschland hinreichend | |
zornige, junge Männer, die nichts mehr lieben als den spektakulären, | |
ultimativen Auftritt und die von der heroischen Tat träumen. Wer sich in | |
den Niederungen der Republik umschaut, die Augen vor den dramatischen | |
Auswirkungen der sozialen Spaltung nicht verschließt, der kann sich | |
eigentlich nur wundern: Warum gibt es nicht mehr Fritz, Daniels und Adems? | |
In Deutschland gibt es zurzeit zwei Heilsversprechen, die die | |
Systemüberwindung und die Erhöhung der eigenen Person in Aussicht stellen: | |
den Rechtsextremismus und den Islamismus. Der Rechtsextremismus mit seinem | |
ideologischen Fundament, dem Völkischen, ist für Jugendliche und junge | |
Erwachsene aus Migrantenfamilien aus nahe liegenden Gründen unattraktiv. | |
Der Islamismus dagegen verzichtet auf die Exklusivität des "Blutes" und | |
lädt jeden ein, der sich in einem Akt des Voluntarismus zu ihm bekennt - | |
unabhängig von der nationalen, religiösen, sozialen und ethnischen | |
Herkunft. Als Internationalismus des 21. Jahrhunderts ist der Islamismus | |
deshalb auch für Sinn- und Aktionssuchende attraktiv, denen der Islam nicht | |
in die Wiege gelegt wurde. | |
Über den hausgemachten Islamismus und über die Metamorphose vom Bürger zum | |
Dschihadisten wissen wir so gut wie nichts, über den deutschen | |
Rechtsextremismus sehr viel. Bei Letzterem wurden die Motive und Biografien | |
der Täter in Hunderten von Studien erforscht und analysiert. Sie liefern | |
die wissenschaftliche Hardware, die den Strategien zur Einhegung durch | |
Polizei, Nachrichtendienste, der politischen Bildung, der Jugendarbeit und | |
der kommunalen Politik zugrunde liegt. Beim Thema Islamismus fehlt es an | |
quantitativen und qualitativen wissenschaftlichen Studien. Fast die gesamte | |
deutsche Wissenschaft hat sich bis heute, sei es aus Ignoranz oder aus | |
Unvermögen, dem Thema verweigert. | |
Gibt es einen Zusammenhang zwischen andauernden Demütigungs- und | |
Ausgrenzungserfahrungen, die Teile von in Deutschland aufgewachsenen | |
Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund erfahren? Gibt es eine | |
Kausalität zwischen einer fehlenden Anerkennungspolitik und der | |
terroristischen Aktion? Oder gesellschaftliche Voraussetzungen, die den Weg | |
in den Terrorismus ebnen und begünstigen? Wir wissen es nicht. Denn die | |
bundesdeutsche Gesellschaft begnügte sich bislang mit wolkigen, | |
feuilletonistischen Islamdebatten, die viel Gesinnung, aber wenig | |
Erkenntnisgewinn transportierten. | |
Deutschland ist denkbar schlecht gerüstet für einen konzertierten | |
bundesweiten Aktionsplan zur präventiven Bekämpfung des Islamismus. Das | |
Gefühl der Hilflosigkeit wächst. Eine Situation, in der Vorschläge wie die | |
von Innenminister Wolfgang Schäuble zur Online-Durchsuchung mit Zustimmung | |
rechnen können. Analogien zu den Siebzigerjahren drängen sich auf, als ein | |
vom Terrorismus überrumpelter Staat sein Heil in technokratischen Maßnahmen | |
wie der Rasterfahndung suchte. Heute wissen wir: Nicht der Ausbau des | |
Repressionsapparats hat den Terrorismus der RAF besiegt, sondern die | |
langfristige politische Auseinandersetzung mit den Zielen und den | |
eingesetzten Mitteln des Terrorismus. | |
6 Sep 2007 | |
## AUTOREN | |
Eberhard Seidel | |
## TAGS | |
Rechtstextreme | |
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