# taz.de -- Singer-Songwriter: Unbekannt zwischen Berühmtheiten | |
> Er produzierte das Comeback von Solomon Burke - jetzt singt er wieder | |
> selbst. Auf "Civilians" verbindet Joe Henry elegant Folk, Blues und | |
> Singer-Songwritertum. | |
Bild: Singt über die Football-Legende Willie Mays im Heimwerkermarkt: Joe Henry | |
Viele Umwege führen zu Joe Henry. Der über Solomon Burke etwa, den lange | |
Jahre durchs musikalisch Mediokre gedümpelten Soul-Veteranen. Als Produzent | |
des grandiosen Comeback-Albums "Dont Give Up On Me" hat Henry vor fünf | |
Jahren Bischof Burke zu einem späten Karrierefrühling verholfen, ähnlich | |
wie zuvor Rick Rubin dem großen Johnny Cash - unter kompositorischer | |
Mithilfe eines kleinen Legendenfuhrparks aus Bob Dylan, Van Morrison, Tom | |
Waits, Brian Wilson und anderen. Es gibt aber auch den Umweg über Madonna, | |
mit der Joe Henry als Ehemann einer jüngeren Schwester familiär eng | |
verbandelt ist und für die er auch schon als Songwriter und Koautor | |
fungierte. Oder den Umweg über Musik zu Filmen, etwa die Koproduktion mit | |
Loudon Wainwright III zu Judd Apatows Sommerhit "Beim ersten Mal" - unter | |
dem Titel "Strange Weirdos" soeben erschienen - oder die Mitarbeit am | |
Soundtrack zu Todd Haynes gerade in Venedig gezeigten Bob-Dylan-Biopic "Im | |
Not There". | |
Es herrscht an großen Namen im Joe-Henry-Umfeld kein Mangel. Auf Joe Henrys | |
vorletztem Album "Scar" (2002) war kein Geringerer als Ornette Coleman am | |
Saxofon zu hören und diesmal, bei "Civilians", hat er unter anderem das | |
seit den Sechzigern auf exzentrischen Umlaufbahnen durch bekannte und | |
unbekannte Galaxien treibende Pop-Alien Van Dyke Parks engagiert, zuletzt | |
noch als Arrangeur der kongenial delirierenden Streicherbegleitung auf | |
Joanna Newsoms allseits zu Recht abgefeierter Platte "Ys" wundertätig. Joe | |
Henry ist, kann man zur Abkürzung aller Umwege sagen, der klare Fall eines | |
musicians musician, hoch angesehen in allen Kreisen, die etwas von der | |
Sache verstehen - und dem Mainstreampublikum notorisch unbekannt. | |
Das ist, wie immer in solchen Fällen, einerseits zutiefst ungerecht. | |
Andererseits ist Joe Henry auch selber daran schuld, denn abseits aller | |
möglichen Schubladen und Radioformate bewegt sich sein musikalisches | |
Schaffen eklektizistisch tatsächlich zwischen Loudon Wainwright und Ornette | |
Coleman, zwischen Solomon Burke und Tom Waits. Unberechenbarkeit ist mithin | |
Henrys Markenzeichen, aber so, dass er nicht nur immer wieder anders | |
klingt, sondern im Andersklingen sich doch treu bleibt. Er ist ein | |
Chamäleon, das sich von Platte zu Platte neu erfindet, dabei aber die | |
Joe-Henry-Identität nicht verliert, sondern in Explorationen, Variationen, | |
Stilexperimenten und neuen Mixturen nur immer erweitert. | |
War der Vorgänger "Tiny Voices" (2003) der Höhepunkt eines expansiven | |
Stilnebeneinanders, so ist "Civilians" nun die Gegenbewegung, die | |
Kontraktion. Keep it simple lautete die Anweisung Henrys an sich selbst und | |
seine Begleiter Bill Frisell, Greg Leisz und eben Parks. Henry als sein | |
eigener Produzent poliert die in wenigen Tagen in spontanen Sessions | |
eingespielten Songs auf Mattglanz, spielt seine immer leicht | |
heiser-verrauchte Stimme in den Vordergrund, lässt dabei aber jedem | |
einzelnen Ton Raum und Luft zum Atmen, Begleiten und Konterkarieren, denn | |
es gilt, was Henry in "Parkers Mood" singt: "God is in the details of the | |
smoke in the air". | |
Die zwölf Songs von "Civilians" bewegen sich durchweg downtempo und sparsam | |
arrangiert zwischen Folk, Blues und elegantestem Singer-Songwritertum, mit | |
Jazztupfern zwischendurch, auch mal der leisen Andeutung von | |
Marsch-Percussion in der in den Lyrics unauflösbar zwischen Privatem und | |
Politischem oszillierenden Ballade "Civil War". Der zentrale Track ist das | |
6-Minuten-Mini-Epos "Our Song", in dem der Icherzähler der Football-Legende | |
Willie Mays im Heimwerkermarkt begegnet, was zum Anlass wird für einen | |
nostalgischen Abgesang auf das alte Amerika. Solcher Nostalgie aber | |
überlässt sich Joe Henry nicht auf Dauer, auch wenn seine Musik wohl das | |
ist, was man gerne zeitlos nennt. Der Abstand zum Verschnarchten bleibt | |
stilsicher gewahrt, weil bei aller scheinbaren Simplizität in jedem Moment | |
Joe Henrys große Bandbreite spürbar bleibt, aufgehoben in Mikromomente und | |
kleine Details. Und weil er einfach tolle Texte schreibt und Zeilen wie | |
diese in "You Cant Fail Me Now", die das eigene Schreiben nicht auf den | |
Punkt, sondern auf die Satzperiode bringen: "I lost the thread among the | |
vines and hung myself in storylines that tell the tales I never would | |
allow". | |
Joe Henry: "Civilians" (Anti/SPV) | |
11 Sep 2007 | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
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