# taz.de -- Afghanistan: Nicht mehr mitmachen! | |
> Am Samstag ist Antikriegsdemonstration in Berlin. 62 Prozent der Bürger | |
> halten den Bundeswehreinsatz in Afghanistan für "eher falsch". | |
Bild: "Die Tornados nützen nicht viel, sie schaden aber auch nicht viel." | |
Braunschweig/ Berlin taz Was er denn täte, wäre er Verteidigungsminister? | |
Moritz zögert keine zwei Sekunden. "Ich würde die Bundeswehr sofort | |
abziehen." Er sieht nicht aus, als wolle er dem noch etwas hinzufügen. Man | |
muss schon nachhaken. Also: Warum? "Phhht", macht er da. | |
Moritz, 17 Jahre, Schüler an einem Braunschweiger Gymnasium und an diesem | |
Abend im Publikum einer Diskussionsveranstaltung zum Bundeswehreinsatz in | |
Afghanistan, sieht genervt aus. "Weil sich die Situation im Land nicht | |
gebessert hat." Woher er das weiß? "Ich habe mich informiert." Wo? "Ich | |
sage doch, ich habe mich informiert." Er wird rot. Vorsichtshalber behält | |
er seinen Nachnamen für sich. | |
Dabei gibt es keinen Grund, sich zu schämen. Zu Afghanistan hat jeder in | |
diesem Land eine Meinung, aber kaum jemand einen Plan. Moritz ist da keine | |
Ausnahme. Nach einer Forsa-Umfrage ist jeder zweite Bundesbürger der | |
Ansicht, die Bundeswehr solle nicht bis zum Abschluss des Militäreinsatzes | |
in Afghanistan stationiert bleiben. Das Meinungsforschungsinstitut Emnid | |
gar ermittelte, 62 Prozent der Bevölkerung hielten die | |
Bundeswehrbeteiligung in Afghanistan für "eher falsch". An diesem Samstag | |
werden in Berlin 15.000 Menschen zu einer Demonstration gegen die | |
Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan erwarte. | |
Es fällt den meisten schwer, Gründe für die Ablehnung zu benennen - und zu | |
sagen, wie denn stattdessen mit Afghanistan umgegangen werden solle. "Wer | |
weiß denn schon, wie es am Hindukusch tatsächlich aussieht und was Militär | |
dort überhaupt ausrichten kann", fragt sich beispielsweise der 30-jährige | |
Telefonist Michael Ciappa, "man kann ja nicht einfach hinreisen und sich | |
ein Bild machen." | |
Ciappa ist wie der Schüler Moritz in Braunschweig einer Einladung des | |
Kreisverbands der Grünen gefolgt. Der sucht an diesem Septemberabend die | |
öffentliche Afghanistandebatte und hat dazu Jürgen Trittin als Redner | |
eingeladen hat. Trittin ist jetzt außenpolitischer Sprecher seiner grünen | |
Bundestagsfraktion, 53 Jahre alt und will noch was werden in seiner Partei. | |
Da kommt es ungelegen, dass die Basis gerade so heillos zerstritten ist | |
über den Afghanistaneinsatz, dass sie sogar einen Sonderparteitag dazu | |
durchgesetzt hat. "Es wird so dargestellt, als stünden die Grünen vor einer | |
Zerreißprobe", sagt Trittin - und setzt hinzu: "Das ist falsch." Mehr an | |
Festlegung ist von ihm, der grüner Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl | |
werden möchte, nicht zu bekommen. Zur Sache sagt er Sätze wie diesen: "Ich | |
würde sagen, die Tornados nützen nicht viel, sie schaden aber auch nicht | |
viel." | |
Viele im Publikum interessieren grüne Befindlichkeiten und Karrierepläne | |
eines einzelnen Abgeordneten herzlich wenig. Sie sind parteilos, und sie | |
sind gekommen, um dem Abgeordneten Trittin zu sagen, was sie von deutschen | |
Soldaten in Afghanistan halten: nichts. | |
"Ist es denn so, dass wir wieder wer sein müssen, dass wir Deutschen dabei | |
sein müssen bei so schrecklichen Dingen", empört sich eine grauhaarige | |
Dame, "können wir das viele Geld denn nicht besser in zivile Aufbauprojekte | |
stecken?" "Kriegskind" sei sie, 72 Jahre alt, erzählt sie später, "ich habe | |
sie alle gesehen, Flüchtlinge, Kriegsgefangene, Verschleppte, ich weiß, was | |
Krieg ist, oben drückt einer auf den Knopf, und unten ist das Krepieren". | |
Besonders die ältere, kriegserfahrene Generation ist es, die | |
Militäreinsätze im Ausland aus einer pazifistischen Grundhaltung heraus | |
strikt ablehnt. Doch etwas kommt hinzu: die Angst, aufgrund der deutschen | |
Truppenbeteiligung selbst Ziel von Attentaten zu werden. "Dieses Raushalten | |
aus dem Irakkrieg hat Deutschland erst mal geschützt", sagt die ältere | |
Dame. "Damals war ein gewisses Ansehen in der arabischen Welt." | |
Ansehen, Terrorrisiken, Pazifismus hin oder her - Ute Lampe ist die Debatte | |
über die Auslandseinsätze leid. "Es gibt ja keine Überlegungen seitens der | |
Regierung, wohin die Reise gehen soll, was das Ziel des Einsatzes ist und | |
unter welchen Bedingungen ein Abzug erfolgen soll", sagt die 46-jährige | |
Geoökologin. Die Erfahrung hat sie zudem gelehrt, dass man dem politischen | |
Versprechen, Militäreinsätze exportierten Demokratie und Stabilität, keinen | |
Glauben schenken kann. Lampe ist deswegen bereits vor vier Jahren dem | |
Friedensbündnis Braunschweig beigetreten. "Durch militärischen Zwang", sagt | |
sie, "ist nirgends eine Befriedung erreicht worden, der Irak ist das beste | |
Beispiel dafür". Und dann fährt sie Jürgen Trittin an: "Sie lügen sich in | |
die eigene Tasche!" Beim Afghanistaneinsatz gehe es nicht darum, Ursachen | |
zu bekämpfen, das sei eine reine Symptombekämpfung. Politikprofi Trittin | |
dreht ein paar rhetorischen Schleifen und sagt dann: "Ich glaube, die | |
Menschen sind für diese Symptombekämpfung dankbar." | |
So wie Lampe denken mittlerweile viele, nicht nur in Braunschweig, sondern | |
auch in Berlin. Dort sitzt in einem Begegnungszentrum im Stadtteil | |
Kreuzberg an einem Abend Anfang der Woche Oberstleutnant Jürgen Rose, 49, | |
SPD-Mitglied, notorischer Bundeswehrkritiker, erfolgreicher Verweigerer des | |
Tornado-Einsatzes und mit seinem Arbeitgeber wie mit seiner Partei in einer | |
Art Hassliebe verbunden. Rose, an diesem Abend in zivil, erklärt auf | |
Einladung der Linken vor knapp 20 Zuschauern, dass deutsche Soldaten sich | |
völkerrechtswidrig in Afghanistan aufhielten und durch ihre Präsenz nicht | |
Frieden, sondern Gewalt provozierten. Selbst Menschen, die den Krieg gegen | |
den Irak noch begrüßten und damals in Deutschland zu einer angefeindeten | |
Minderheit gehörten, lauschen dem Mann mit Schnauzbart und Brille jetzt. | |
Der pensionierte Ingenieur Rasak Alamily ist so einer. Vor 74 Jahren wurde | |
er im Irak geboren, 1970 verließ er seine Heimat, lebte erst in | |
Großbritannien, später in Deutschland, wo er heiratete und deutscher | |
Staatsbürger wurde. "Ich habe dem Sturz der Diktatur entgegengefiebert, ich | |
fand diesen Krieg richtig", sagt er. Mittlerweile lässt er sich von | |
Freunden und Verwandten berichten, wozu "dieser Kolonialkrieg", als den er | |
ihn inzwischen empfindet, geführt hat: "Der Irak ist total ruiniert, es | |
gibt überhaupt keinen Plan, was eines Tages nach dem Abzug der Truppen | |
geschehen soll, und meine Befürchtung ist, dass Afghanistan ein zweites | |
Irak wird." | |
Alamily erzählt, deshalb sei ausgerechnet er, der Irakkriegsbefürworter, | |
vor wenigen Wochen Mitglied der Linken mit ihrem Antikriegspopulismus | |
geworden. "Die sind immerhin die Einzigen, die in Afghanistan nicht mehr | |
mitmachen wollen." | |
Nicht mehr mitmachen. Es ist ja nicht so, dass sich die Menschen, die hier | |
in Berlin dem Bundeswehrkritiker Rose applaudieren, wenn er einen | |
kompletten Rückzug der ausländischen Truppen binnen fünf Jahren skizziert, | |
nicht verantwortlich fühlen würden für das, was anschließend in Afghanistan | |
passieren soll. Im Gegenteil. Keiner hier plädiert dafür, das Land sich | |
selbst zu überlassen oder gar das Geld, das die Bundeswehreinsätze kosten, | |
besser hierzulande zu investieren. "Natürlich muss sich Deutschland am | |
Wiederaufbau beteiligen", sagt die 48-jährige Anna Allex, die im | |
Berufsleben Seminare zur Sozialgesetzgebung leitet und weiß, was sich mit | |
den Mitteln für die Bundeswehr alles anstellen ließe, könnte man sie | |
umwidmen. "Aber zum Aufbauen braucht man kein Militär", glaubt sie. | |
Sondern? Zivile Helfer und Verhandlungen zwischen allen beteiligten | |
gesellschaftlichen Kräften. Nur so lasse sich ein Waffenstillstand | |
erreichen, da ist sich das Publikum in Braunschweig wie in Berlin einig. | |
"Vermutlich", sagt in Berlin Oberstleutnant Rose, "muss man da dann auch | |
die Taliban einbeziehen". Für einen Moment wird es still. Dann nicken sie | |
tapfer | |
13 Sep 2007 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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