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# taz.de -- Grünen-Sonderparteitag: Ströbele wollte "Basis umarmen"
> Überraschend ist der Parteivorstand der Grünen auf dem Sonderparteitag
> mit seinem Antrag zum Afghanistan-Einsatz gescheitert.
Bild: Delegierte beim Sonderparteitag der Grünen brachten die Bundestagsfrakti…
Als alles vorbei war, stand Robert Zion draußen vor der Göttinger Lok-Halle
und sah aus, als wäre er gerade seekrank geworden. "Nein, ich gebe keine
Interviews, rufen Sie mich morgen an, ich muss das erst mal verdauen",
wimmelte er die Journalisten ab, die dem frischgebackenen Helden der
Grünen-Basis ihre Mikrofone unter die Nase hielten.
Noch eine halbe Stunde vorher hatte es so ausgesehen, als verliefe der
Parteitag nach dem Schema zahlreicher Grünen-Delegiertenkonferenzen: Es
gibt einen Leitantrag der Parteiführung und mindestens einen ernst zu
nehmenden Gegenantrag der Basis. Es gibt jede Menge Redebeiträge, die von
"flammend" über "betroffen" bis "durchgeknallt" reichen. Und schließlich
gibt es eine Abstimmung, bei der die Mehrheit des Parteitags - oft
zähneknirschend - dann doch den Wünschen der Grünenspitze zustimmt.
So richtig glaubte daher keiner, dass Robert Zion, einer der Initiatoren
des Sonderparteitags, mit seinem Antrag gegen den Bundesvorstand ankommen
würde. Umso lauter war der Jubel, als Grünen-Geschäftsführerin Steffi Lemke
das Ergebnis vorlas: Mit 341 gegen 264 Stimmen hatte der Parteitag dem
Zion-Antrag A-05 zugestimmt. "Ich kann es kaum fassen", sagte der
Parteilinke Winfried Hermann. "Ich könnte diese Basis umarmen", rief ein
strahlender Christian Ströbele. Eine Ohrfeige für die Parteiführung, die um
Fassung bemüht war. "Aufrichtige Gratulation an die Initiatoren", versuchte
Lemke gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Parteichef Bütikofer sagte,
"Verlierer ist der, der nicht kämpft".
Vom Inhalt her unterscheidet sich der Zion-Antrag zunächst kaum vom
Kompromiss-Vorschlag des Vorstands. Zion fordert den Ausstieg aus der
Antiterrormission OEF. Er befürwortet die grundsätzliche Beteiligung an der
internationalen Schutztruppe Isaf und lehnt den Tornado-Einsatz ab. Dies
ist auch die Position der Parteivorsitzenden Claudia Roth und des
außenpolitischen Sprechers Jürgen Trittin, die den Antrag des
Bundesvorstands mittragen. Weil aber die Fraktionsspitze, Fritz Kuhn und
Renate Künast, sowie der andere Parteivorsitzende Reinhard Bütikofer für
den Tornado-Einsatz sind, hatten sich die fünf auf einen Kompromiss
geeinigt. Er schlug vor, der Fraktion in der Bundestagsabstimmung alle
Möglichkeiten offenzulassen. Viele Delegierte empfanden diese
Nichtfestlegung als Zumutung. Hinzu kam, dass sich die fünf Spitzen-Grünen
im Vorfeld des Parteitags gegenseitig Intrigen unterstellten - und damit in
den Augen ihrer Mitglieder ein wichtiges Thema für Machtspielchen
missbrauchten.
Zions Antrag dagegen fordert die Abgeordneten immerhin klar zur
"Nichtzustimmung" auf - das heißt, "Nein" oder "Enthaltung" zum
Isaf-Mandat, zu dem auch die Tornados gehören. Anders als im Antrag des
Parteivorstands ist ein Ja zu Isaf damit ausgeschlossen. Viele Delegierte
haben schon allein deshalb für Zion gestimmt: Sie wollten verhindern, dass
der Parteitag ohne klare Botschaft an die Fraktion auseinandergeht.
Die hat die Fraktion nun erhalten - und sie muss sehen, wie sie damit
umgeht. Bei den "Realos" sind einige Abgeordnete der Meinung, dass
beispielsweise ein künftiger Außenminister - und auf dieses Amt hoffen die
Grünen, falls sie 2009 wieder an die Regierung kommen - mit Ja zu Isaf
stimmen muss. Alles andere wäre ein Zeichen der Unzuverlässigkeit grüner
Außenpolitik. Stimmt die Fraktion im Oktober aber mehrheitlich mit Ja,
würde dies erneut die Missachtung des Parteiwillens bedeuten - ein Dilemma.
Der Verweis auf die Regierungsverantwortung ist auch eine Anspielung auf
Trittin: Der ambitionierte Fraktionsvize ließ auch in Göttingen offen, was
aus seiner Tornado-Ablehnung für die Bundestagsabstimmung folgt. Viele
hatten gehofft, er werde die Partei zur Einigung führen. Doch in seiner
aggressiven Rede ging er kaum auf die Tornados ein und schimpfte
stattdessen auf Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, weil sie
in Afghanistan "kleckere statt zu klotzen".
Auch für die Parteispitze dürften die nächsten Wochen nicht einfach werden.
Sie muss sich mit der eigenen Führungsschwäche auseinandersetzen. In
gewisser Weise geht es der Doppelspitze mit ihrer paritätischen Besetzung -
ein Realo, ein Linker - ähnlich wie der großen Koalition: In wichtigen
Fragen gibt es keine Kompromisse, man kann nur entweder dafür oder dagegen
sein.
Am Mittag waren vor der Göttinger Lok-Halle noch zwei Frauen von der Partei
Die Linke gestanden. "Raus aus Afghanistan" stand auf ihren Schildern, sie
lächelten den eintreffenden Grünen-Delegierten provozierend entgegen.
Abends waren die beiden Seelenfängerinnen verschwunden. Ihre
Mitgliedsanträge wären sie nach dem Parteitag gewiss nicht mehr
losgeworden.
17 Sep 2007
## AUTOREN
Katharina Koufen
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die Partei hören sollte, anstatt sich als Regierungspartei im Wartestand zu
verhalten.
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