# taz.de -- Wölfe versus Weidetiere: "Wolf zu sein ist mühsam" | |
> Sebastian Koerner ist davon überzeugt, dass es wieder Wolfswelpen in | |
> Brandenburg gibt - zum ersten Mal seit 200 Jahren. Den Wölfen in der | |
> Lausitz ist der Biologe mit seiner Filmkamera auf der Spur. | |
Bild: "Wölfe sind extrem intelligente, vorsichtige Tiere", sagt Wolfsforscher … | |
taz: Herr Koerner, was empfinden Sie, wenn nachts die Wölfe heulen? | |
Sebastian Koerner: Ich bekomme eine Gänsehaut. | |
Ist das so gruselig? | |
Im Gegenteil. Ich erschaudere, weil es so wunderbar klingt. | |
Heulen Sie manchmal mit? | |
Gelegentlich. Unter Wissenschaftlern ist das eine bewährte Methode, die | |
Wölfe aus ihrem Versteck zu locken. Aber bei unseren Wölfen in der Lausitz | |
funktioniert das nicht so gut. Die heulen leider selten auf Zuruf. | |
Die Lausitz ist Deutschlands größtes Wolfsgebiet. Wie viele Tiere leben in | |
dem Grenzgebiet von Brandenburg und Sachsen? | |
Die ersten Tiere sind Mitte der 90er-Jahre aus Polen eingewandert. | |
Inzwischen sind hier vier Wolfspaare zu Hause. Drei Paare leben in der | |
sächsischen Lausitz, ein Paar auf der Brandenburger Seite. Welpen und | |
Jährlinge mitgerechnet sind es schätzungsweise 35 Tiere. | |
Was genau ist Ihr Job? | |
Ich bin Wolfsbeobachter und Wolfsfilmer. Meine Tätigkeit wird vom | |
Internationalen Tierschutzfonds (IFAW) und dem Wildbiologischen Büro Lupus | |
finanziert, das seine Gelder vom sächsischen Umweltministerium bekommt. Ich | |
filme, vermesse Spuren, sammele Losungen - also Kot -, veranstalte | |
Wolfsseminare. Das Ziel ist, möglich viele Fakten zusammenzutragen, um die | |
Diskussion über die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland zu versachlichen. | |
Dazu gehört auch, mit dem Vorurteil aufzuräumen, Wölfe seien hinterhältig | |
und verschlagen. | |
Stimmt das nicht? | |
Wölfe sind extrem intelligente, vorsichtige Tiere. Jeder Dorfhund ist | |
gefährlicher. | |
Am 17. Juli sind Sie mit einer sensationellen Nachricht aus dem Zschornoer | |
Wald zurückgekehrt: Zum ersten Mal seit 200 Jahren seien in Brandenburg | |
Wolfswelpen geboren worden. Die Jungen hat bisher aber niemand gesehen. | |
Haben Sie sich geirrt? | |
Nein. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass das Brandenburger Wolfspaar | |
Welpen hat. Ich habe die Spuren entdeckt. Aber Spuren sind nur ein Hinweis. | |
Den Nachweis durch Filmaufnahmen habe ich noch nicht erbringen können. Ich | |
gebe zu, das ärgert mich. Aber ich bleibe dran. | |
Was war das für ein Gefühl, als Sie zum ersten Mal in freier Wildbahn einem | |
Wolf gegenüberstanden? | |
Ich habe mich riesig gefreut. Es muss im Mai 2003 in Sachsen gewesen sein. | |
Ich habe meine Lebensgefährtin Gesa Kluth | |
Deutschlands führende Wolfsforscherin | |
auf Spurensuche in der Muskauer Heide begleitet. Wir hatten uns gerade über | |
eine Losung gebeugt, da machte es "wuff". Und noch mal "wuff, wuff". Dicht | |
lief ein stattlicher Wolfsrüde vorbei. Ohne sein Wuffen hätten wir ihn | |
überhaupt nicht bemerkt. Ohne jede Aggression, aber sehr bestimmt wollte er | |
uns sagen: "Leute, geht nicht weiter. Hier sind meine Welpen ganz in der | |
Nähe." | |
Wie weit war das Tier entfernt? | |
Ungefähr 20 Meter. Ich konnte genau seine gelblichen Augen sehen, die wie | |
mit einem Kajalstift schwarz umrahmt sind. Wölfe haben einen sehr wachen, | |
intensiven Blick. | |
Hatten Sie keinen Schiss? | |
Überhaupt nicht. Bei meinen Filmarbeiten bin ich später immer wieder in | |
große Nähe zu den Wölfen gekommen. Zum Teil war es schon dunkel, als ich | |
vom Hochsitz geklettert bin und noch lange durch freies Gelände zum Auto | |
laufen musste. Ich wusste, ich bin mitten im Wolfsterritorium. Das flößt | |
einem Respekt ein. Aber Angst? Nein. | |
Was ist für Sie das Besondere an Wölfen? | |
Es ist faszinierend, wie gut sich der Wolf in seinem riesigen Territorium | |
auskennt. Ein Fuchs hat vielleicht fünf bis zehn Quadratkilometer, ein Wolf | |
bis zu 300 Quadratkilometer. Auch das Familienzusammenleben ist | |
faszinierend. Anders als in Gefangenschaft gibt es in einem wilden | |
Wolfsrudel keine Rangordnung und keinen Konkurrenzkampf um die | |
Fortpflanzungsrechte. Es gibt ein Elternpaar, das hat natürliche Autorität. | |
Die Jungwölfe wandern mit knapp zwei Jahren ab, wenn sie geschlechtsreif | |
werden. Bis dahin helfen sie bei der Aufzucht der Welpen. | |
Bekommen Sie bei Ihren Exkursionen oft Wölfe vor die Linse? | |
Letztes Jahr, als die Welpen in der sächsischen Lausitz noch sehr klein | |
waren, hatte ich fast jeden Tag einen Treffer. Zurzeit sehe ich jedes | |
dritte oder vierte Mal einen Welpen und jedes 10. Mal einen Altwolf. Am | |
besten, man legt sich bei den Rendezvousplätzen auf die Lauer, wo das Rudel | |
abends zusammenkommt. | |
Ist es nicht quälend, stundenlang auf dem Hochsitz auszuharren? | |
Wenn ich das nur wegen der Wölfe täte, wäre es so. Aber ich beobachte gern | |
die Natur. Durch mein Studium kenne ich mich gut mit Vögeln aus. Wenn es | |
extrem kalt oder brüllend heiß ist und einem vom langen Sitzen der Hintern | |
wehtut, verflucht man das Ganze auch mal. Am schlimmsten ist es, wenn diese | |
bescheuerten Enduro-Fahrer kommen | |
Geländemotorräder, die durch das Schutzgebiet fahren, obwohl es verboten | |
ist. | |
Wenn die kommen, war alles umsonst. Dann kommen keine Wölfe mehr. | |
Sie sind Biologe von Beruf. Warum haben Sie sich gerade den Wolf als | |
Forschungsobjekt ausgesucht? | |
Tiere haben mich von klein auf interessiert. In Osnabrück habe ich | |
Ökoethologie studiert: Aus welchen Gründen verhalten sich Tiere in ihrem | |
Lebensraum wie? Durch einen meiner Professoren bin ich zur Vogelkunde | |
gekommen. Von 1999 bis 2003 habe ich im Biospärenreservat | |
Schorfheide-Chorin ein Projekt zum Schutz der Rohrdommel gemacht. | |
Klingt alles nicht gerade nach Wolf. | |
Im Biospärenreservat erreichte uns die Anfrage einer Frau, die eine | |
Praktikumsstelle wegen Wölfen suchte. Mein Kollege und ich haben uns | |
amüsiert angeguckt. "Wölfe? Na klasse. Soll sie mal kommen", haben wir | |
gesagt. In der Schorfheide gibt es nämlich keine wilden Wolfsrudel. Aber | |
dann haben wir gesehen, dass Gesa Kluth eine sehr ernsthafte Frau war. Und | |
ich habe gesehen, dass das eine sehr tolle Frau ist. Man könnte also sagen, | |
ich bin über die Liebe zu den Wölfen gekommen. | |
Wie ging es weiter? | |
Gesa hat 2002 hier in Sachsen mit Ilka Reinhardt das Wildbiologische Büro | |
Lupus gegründet. Auslöser war, dass abwandernde Jungwölfe bei Mühlrose 33 | |
Schafe getötet hatten. Die sächsische Landesregierung erkannte, dass man | |
die Wölfe ernst nehmen und die Bevölkerung aufklären muss. Wenn man das | |
macht, können Wolf und Mensch absolut koexistieren. Ich bin Gesa später | |
gefolgt. | |
Sie wohnen in dem sächsischen Dorf Spreewitz. Das Büro Lupus befindet sich | |
im selben Haus. Haben Wolfsforscher keinen Feierabend? | |
Gute Frage. Wir reden auch privat sehr viel über Wölfe. Gesa arbeitet im | |
Moment nicht aktiv. Sie macht wegen unserer zehn Wochen alten Tochter | |
Babypause. Das hindert sie aber nicht, voll auf Stand zu sein, was die | |
Wölfe angeht. | |
Das hört sich nach einem Traumjob an. | |
Ist es auch. Aber die Wolfsgegner machen uns das Leben manchmal ganz schön | |
schwer. | |
Was sind das für Leute? | |
Unter der perfiden Bezeichnung "Sicherheit und Artenschutz" hat sich hier | |
in Sachsen ein Verein extremer Wolfsgegner gegründet. Dahinter steckt eine | |
Lobby von Teilen der Jägerschaft. Die machen übel Stimmung gegen die Wölfe. | |
Zum Beispiel wird ganz dreist behauptet, in der Lausitz gäbe es bald die | |
ersten Menschenopfer. Das ist absoluter Blödsinn. Das Risiko, von einem | |
Wolf angefallen zu werden, ist gleich null. Kinder werden von Hunden | |
angefallen, aber nicht von Wölfen. In Wirklichkeit geht es den Jägern auch | |
um etwas ganz anderes. Sie empfinden den Wolf als Konkurrenten. | |
Stimmt es, dass ein Wolf im Durchschnitt pro Jahr 62 Rehe, 9 Rothirsche und | |
14 Wildschweine frisst? | |
Das hört sich viel an. Aber die Jäger schießen zwei- bis viermal so viel. | |
Viele Jäger glauben, die Rehe und Hirsche gehören ihnen. Dabei haben sie | |
überhaupt kein Anrecht darauf, einen wirtschaftlichen Gewinn aus dem | |
Naturhaushalt ziehen. Einige Wolfsgegner gehen inzwischen so weit, dass sie | |
uns in den Kneipen offen anpöbeln und anonyme Drohbriefe schreiben. | |
Was für einen Tenor haben die Anfeindungen? | |
In einem an Gesa und Ilka Reinhardt adressierten Drohbrief hieß es: "Erst | |
schießen wir die Wolfsfähen ab, dann seid ihr Wolfsfrauen dran." Auf einer | |
Versammlung hat einer gebrüllt: "Das erste Kind, das vom Wolf gerissen | |
wird, ist hoffentlich das von Gesa Kluth." | |
Um wen haben Sie größere Angst? | |
Um die Wölfe. Die Population in der Lausitz ist noch so klein, dass sie | |
ganz einfach ausgeknipst werden kann. Es gibt hier nur vier Elternpaare, | |
also acht Wölfe, die sich fortpflanzen können. Was aus den abwandernden | |
Jungwölfen wird, ist völlig unklar. Mit den Wölfen in der Lausitz könnte es | |
also ganz schnell vorbei, wenn die Elternwölfe abgeschossen würden. | |
Mit den Schafshaltern haben Sie keine Probleme? | |
Bei denen haben wir mit unserer Informationsarbeit schon gute Erfolge | |
erzielt. Mit herkömmlichen Elektrozäunen und Herdenschutzhunden kann man | |
verhindern, dass Wölfe über die Schafe herfallen. Dazu kommt, dass der | |
Besitzer für jedes gerissene Schaf eine Entschädigung bekommt, wenn nicht | |
ausgeschlossen werden kann, dass es Wölfe waren. | |
Man hört immer wieder, dass Wölfe mehr Schafe töten, als sie fressen. | |
Stimmt es, dass die Tiere ein Blutrausch überkommt? | |
Das ist kein Blutrausch, sondern ein Instinkt. Wölfe leben von Schalenwild, | |
also von Tieren, die zum Teil wesentlich größer sind, die Hörner, Geweihe | |
und harte Hufe haben. So ein Tier anzugreifen kann für den Wolf auch | |
tödlich enden. Schafe dagegen sind leichte Beute, wenn die Herde nicht | |
umfriedet ist. Der Instinkt sagt dem Wolf: "Ich muss so viele Kehlen | |
durchbeißen wie möglich. Wer weiß, wann ich das nächste Mal was zu fressen | |
kriege." Menschen verhalten sich auch nicht anders. | |
Das müssen Sie erklären. | |
Wir fahren auch nicht extra zu einem Supermarkt, wo man günstig einkaufen | |
kann, und holen nur eine Pizza für das Mittagessen. Wir kaufen auch so viel | |
Essen ein, dass es für eine ganze Woche reicht. | |
Sie versetzen Sie sich gern in die Rolle des Wolfs? | |
Ja. Das ist Verhaltensökologie. Nur so versteht man, warum ein Tier sich | |
wie verhält. | |
Wie lautet Ihr Fazit? | |
Wölfe haben in der Natur den schwierigsten Job. Es ist extrem mühsam, Wolf | |
zu sein. | |
30 Sep 2007 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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