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# taz.de -- Ethno-Pop: Eine Art idealer Gesamtisraeli
> Idan Raichel verarbeitet die Musik der äthiopischen Minderheit in Israel
> erfolgreich zu süßlichem Eine-Welt-Pop. Ein Musik gewordener kultureller
> Pluralismus.
Bild: Flieht nicht, sucht lieber: der Ethno-Popper Idan Raichel .
Lange Rasta-Mähne, dunkle Camouflage-Klamotten und ein orientalisches
Amulett um den Hals - auf den ersten Blick sieht Idan Raichel aus wie einer
jener israelischen Hippies, die nach dem dreijährigen Wehrdienst zur
Erholung erst mal zu einer längeren Reise nach Indien oder Nepal
aufbrechen. Doch für solchen Eskapismus hat der 29-jährige Musiker,
Keyboarder und Produzent wenig übrig. "Wenn du fliehen willst, dann musst
du ins Ausland reisen", bekundet Idan Raichel abschätzig. "Aber wenn du
suchen willst, dann musst du im Inneren suchen."
Nach seinem Wehrdienst, den er als Armeemusiker an der Grenze zu Syrien und
dem Libanon ableistete, begab sich Idan Raichel also auf eine Reise ins
Innere der israelischen Gesellschaft. Ein Job als Betreuer an einem
Internat für Einwandererkinder brachte ihn erstmals in Kontakt mit jungen
Juden aus Äthiopien und deren Musik. Fortan trieb er sich in äthiopischen
Clubs in Tel Aviv herum, besuchte äthiopische Hochzeitsfeiern und Synagogen
und vertiefte sich in Kassettenmusik aus Addis Abeba. "In Israel sind wir
alle 10 bis 15 Jahre mit einer neuen Einwanderungswelle konfrontiert",
erklärt Idan Raichel. "Die Menschen bringen ihre Traditionen und Rituale
mit, bilden aber trotzdem im Alltag eine gemeinsame Gesellschaft. Das macht
Israel einmalig", meint Idan Raichel. Etwa 90.000 äthiopische Juden leben
in dem jüdischen Kleinstaat am Mittelmeer. Den Auftakt ihrer Einwanderung
bildete die spektakuläre "Operation Moses", im Zuge derer im November 1984
rund 8.000 jüdische Flüchtlinge in einer geheimen Aktion aus Äthiopien
ausgeflogen wurden. Die zweite Generation, die heute in Israel aufwächst,
kennt das Land ihrer Eltern nur noch vom Hörensagen.
Mit seinem "Idan Raichel Project" verwirklicht der Musiker nun seine ganz
eigene "Operation Moses". Er fusioniert Reggae, Rap und Pop mit
äthiopischen Klängen, die er so einer breiteren israelischen Öffentlichkeit
meist zum ersten Mal zu Gehör bringt. Mit seinen Songs ist er auch genau
deswegen so erfolgreich: Sie spiegeln wie wenig andere die multiethnische
Wirklichkeit im heutigen Israel. In Raichels musikalischem Potpourri finden
auch hebräische Psalmen, arabische Melodien und sogar südafrikanische
Gospelgesänge ihren Platz. Meint man es gut, dann vergleicht man Raichels
Eine-Welt-Pop mit den ausgetüftelten Soundtrack-Kompositionen eines Peter
Gabriel. Meint man es weniger gut, dann fällt einem als Vergleich eher der
süßliche Ethnokitsch von Enigma ein, dem musikalischen Projekt des
deutsch-rumänischen Produzenten Michael Cretu.
Ein Musikkritiker der Tageszeitung Haaretz monierte, Raichel kippe zu viel
"Zuckerguss auf eine reiche und komplexe Kultur". Das ist wohl der Preis,
den man nicht nur in Israel zahlen muss, um neue und fremde Klänge im
Charts-Mainstream zu platzieren, wie es Idan Raichel gelungen ist. Er
selbst hält sich eher im Hintergrund, seine Songs werden allesamt von
unterschiedlichen Sängerinnen und Sängern interpretiert - in Hebräisch und
den äthiopischen Sprachen Amharisch und Tigrinya. Zählt man alle Teilnehmer
zusammen, dann haben bis zu 70 Musiker aller Nationalitäten das "Idan
Raichel Project" durchlaufen: Das allein ist schon ein Plädoyer für
kulturelle Vielfalt. Sehr viel weiter geht die politische Stellungnahme
aber nicht: "Es geht uns nicht darum, uns gegenseitig von unseren
Standpunkten zu überzeugen. Sondern darum, dass wir trotz gegensätzlicher
Überzeugungen zusammen Musik machen können", erläutert Idan Raichel sein
Konzept.
Er selbst gibt sich als eine Art idealer Gesamtisraeli. "Ich glaube, dass
90 Prozent der Israelis und 90 Prozent der Palästinenser in Frieden leben
möchten", ist Raichel überzeugt. "Was den Konflikt am Leben hält, sind die
zehn Prozent Fanatiker auf beiden Seiten." Im Zweifelsfall steht er selbst
aber felsenfest hinter seiner Regierung und seiner Armee. "Als Bürger
meines Landes kann ich bei Wahlen meine Stimme abgeben. Aber sobald die
Regierung etwas beschließt, dann habe ich als Soldat ihren Anweisungen zu
folgen. Meine persönliche Meinung spielt dann keine Rolle mehr", befindet
er kategorisch. Wehrdienstverweigerer, die den Einsatz in den besetzten
Palästinensergebieten ablehnen, hält er denn auch "für gefährlich, weil sie
die Sicherheit unseres Landes unterminieren".
Durch seinen Erfolg kommt Idan Raichel nun auch außerhalb Israels in der
Welt herum. Im vergangenen Jahr erschien eine Zusammenstellung seiner
größten Hits wie "Im Telech" ("Wenn du gehst"), mit denen er jetzt ein
internationales Publikum für sich gewinnen will. Zumindest tritt er seitdem
öfter mal auf internationalen Bühnen auf.
Sein Song "Mimamakim" ("Aus der Tiefe") ist auch auf einem neuen
"Israel"-Sampler vertreten, den das amerikanische Kunterbuntlabel Putumayo
gerade herausgebracht hat. Die Zusammenstellung streicht vor allem die
multikulturelle Soundbreite des Landes heraus. Vom hemdsärmeligen
Songwriter-Schönling David Broza über den Rastafari-Rocker Mosh Ben Ari bis
zur Comedy-Folkband Tea Packs, die im letzten Jahr beim Grand Prix antrat:
Auf der Compilation sind fast alle vertreten, die in der israelischen
Popwelt derzeit Rang und Namen besitzen. Eine gute Möglichkeit, sich aus
der Ferne auf eine Hörreise ins Innere der israelischen Gesellschaft zu
begeben.
The Idan Raichel Project: "The Idan Raichel Project" (Cumbancha/Indigo) V.
A.: "Israel" (Putumayo/Indigo)
1 Oct 2007
## AUTOREN
Daniel Bax
Daniel Bax
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
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