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# taz.de -- Tonträger: Die Achse des Brazil
> Raus aus dem Stehcafébeschallungs-Image. Mit drei neuen Brazil-Alben von
> Forro in the Dark, Vinicius Cantúaria und CéU.
Bild: Die Fusionisten unter den Forro-Bands: Forro in the Dark.
## Bossa-weises Brodeln
Die Musikzeitschrift Spex empfiehlt in ihrer aktuellen Ausgabe "18 radikale
Quereinstiege" in das, was in einem mehrseitigen Special unter Vermeidung
des Wortes Weltmusik "Global Pop" heißt. Vinicius Cantuárias 1999er Album
"Tucumá" gehört diesem Kanon der must haves an - neben Werken von M.I.A.
und Manu Chao. Obwohl die CD-Fächer "World" und "Indie" noch nie wirklich
von denselben Käufern aufgesucht wurden, bildete Brasilien - zusammen mit
Jamaika - doch schon immer eine Ausnahme. Andreas Neumeister beschreibt es
in seinem Roman "Gut laut" so: "Ich fand mich plötzlich in eher ekligen
Weltmusikabteilung wieder. Wegen Brazil (Dagmar sagt: The best Chill Out
ever)." Werden Weltmusik im Allgemeinen und Musik aus Südamerika im
Besonderen gemeinhin mit "hot" ("heiße Rhythmen") gleichgesetzt, ist Bossa
Nova, die Neue Welle brasilianischer Kultur, "cool". Tatsächlich wurde das
Genre schon immer stark vom Cool Jazz beeinflusst, auch der heute
56-jährige Sänger und Gitarrist Vinicius Cantuária. Auf seinem neuen Album
"Cymbals" zeigt er sich erneut als Beherrscher der seltsamen Bossa-Kunst,
es eher unter der Oberfläche brodeln zu lassen, das Heiße nur gelegentlich
durch die Coolness seiner leisen, von schwebenden Akkorden geprägten Songs
durchbrechen zu lassen. Der dafür von Künstlern wie Brian Eno und Bill
Frisell verehrte Cantuária hat mit "Cymbals" ein abgeklärtes Alterswerk
geschaffen.
Vinicius Cantúaria: "Cymbals" (Naïve)
## Forro trifft New York und rumpelt
Forro trifft New York und rumpelt Brasilien ist aber nicht nur Samba und
Bossa Nova. Spätestens Kaurismäkis Dokumentarfilm "Moro no Brasil" (2002)
hat gezeigt, dass es noch eine ganze Menge weiterer Strömungen gibt, unter
anderem den Forro - eine im Vergleich zur Samba ebenso rhythmische Musik
aus dem Nordosten Brasiliens, die meist mit minimaler Instrumentierung
auskommt. Forro In The Dark, vor fünf Jahren in New York vom
brasilianischen Perkussionisten Mauro Refosco (Lounge Lizards, Bebel
Gilberto) sowie dem Gitarristen und Bassisten Smokey Hormel (Tom Waits,
Johnny Cash, Beck) gegründet, sind so etwas wie die Fusionisten unter den
Forro-Bands; sie kreuzen den traditionellen Stil mit Jazz, Reggae und Pop.
New York, in dem auch Vinicius Cantuária lebt, war schon immer gut für die
Auffrischung oder sogar Erfindung lateinamerikanischer Traditionsgenres.
Der Forro-In-The-Dark-Mix gerät aber nicht wie bei so vielen "X begegnet
Y"-Projekten beliebig, sondern generiert einen ganz eigenen Stil, in dem
fiepsige Soundexperimente und rumplige Avantgardismen (Tom Waits und die
Lounge Lizards lassen grüßen) mit ausgelassener Spielfreude einhergehen -
sonst ja eher selten. Etwas für Bauch und Intellekt gewissermaßen. Zwei
Titel singt ihr Förderer, Ex-Talking-Head David Byrne, und bei einem Song
haucht die Nu-Bossa-Sängerin Bebel Gilberto ins Mikro. Weltpopmusiker aller
Länder, vereinigt euch.
Forro In The Dark: "Bonfires Of São João" (Nublu Records/Alive)
## Neuer Klassiker des Brazilectro
Als vor wenigen Jahren die Brazilectro-Welle rollte, staunten Brasilianer
nicht schlecht darüber, was in Europa passierte: Da mixten DJs Bossa Nova,
Samba und Tropicalia mit elektronischer Musik. Heute ist das meiste dieser
Spielart längst in die Belanglosigkeit abgerutscht und bietet lediglich,
was Chillout-Sampler mit Titeln wie "Brazilian Flavoured Club Tunes"
versprechen: exotisch gewürzte Bistro-Beschallung zur Ausweitung der
Wellnesszone. Das Phänomen erlebte sein transatlantisches Feedback - in
Brasilien entstanden Bands wie Suba und Bossacucanova, die zeigten, dass
das Land mit dem unermesslichen Beat-Reichtum auch in Sachen Bytes kein
Entwicklungsland ist. Exportschlager Nummer eins aber ist Bebel Gilberto,
und es sieht ganz danach aus, als könnte die 27 Jahre alte Maria Do CéU
Whitaker Poças, kurz CéU (zu Deutsch: "Himmel"), sie beerben. In den
US-Billboard-Charts mischt sie schon vorne mit, die Kaffeehauskette
Starbucks hat sie als erste ausländische Künstlerin in ihre CD-Serie
aufgenommen. Das alles sollte aber nicht davon ablenken, dass ihr Debüt
wirklich etwas zu bieten hat. Sicher, die junge Frau, die vom Cover mit
Korkenzieherlocken herablächelt, erfindet Bossa und Brazilectro nicht neu.
Aber "CéU" ist die Sorte Album, die aufgrund von Perfektion und Stimmigkeit
einem Genre einen Klassiker beschert - wenn auch die Vorarbeit andere
leisteten. Harmonisch, aber nicht zu klebrig; nicht schräg, aber auch nicht
ohne Experiment. Es fällt wie immer schwer, schönen Songs zu widerstehen.
CéU: "CéU" (Six Degrees/Exil/Indigo)
12 Oct 2007
## AUTOREN
Frank Schuster
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Album „Forro in the Dark plays Zorn“: New Yorks quicklebendiger Forró
In dem Album vernetzt sich Forro in the Dark mit dem Experimentalmusiker
John Zorn. Vor allem geht es um dessen Kompositionshandwerk.
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