# taz.de -- Al Gores Botschaft: "Eine unbequeme Wahrheit" | |
> Der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore warnt vor den drastischen Folgen | |
> des menschengemachten Klimawandels. Seine Botschaft: Wir können etwas | |
> dagegen tun - wenn wir sofort damit anfangen. | |
Vierzehn Jahre nach seinem Weltbestseller "Wege zum Gleichgewicht" hat Al | |
Gore wieder ein fulminantes Buch zur ökologischen Krise vorgelegt. Das neue | |
Werk, in dem es um den menschengemachten Klimawandel geht, unterscheidet | |
sich jedoch gewaltig von dem des Jahres 1992. Ging es seinerzeit eher | |
intellektuell zu, inklusive eines politischen Plans zur Rettung der Erde, | |
erschreckt die Lektüre von "Eine unbequeme Wahrheit" die LeserInnen | |
zunächst. Mit Hilfe von Fotos, Satellitenaufnahmen, Projektionen, Grafiken, | |
Tabellen und wissenschaftlichen Kronzeugen zeigt der Autor, wie die | |
Menschheit der Erde einheizt und so ihre eigene Lebensgrundlage ruiniert. | |
Gore führt uns vor Augen, mit welch rasender Geschwindigkeit die Gletscher | |
der Rocky Mountains, des Himalaja oder der Alpen schwinden und mit welch | |
drastischen Folgen für die großen Flüsse sowie die menschliche | |
Wasserversorgung zu rechnen ist. Akribisch dokumentiert er die an Zahl, | |
Dauer und Intensität zunehmenden Wirbelstürme im Golf von Mexiko, zeichnet | |
die Spur ihrer Verwüstungen nach und rechnet die explodierenden Folgekosten | |
der nunmehr im Jahresrhythmus auftretenden "Jahrhundertstürme" vor. | |
Keine mögliche Folge des menschengemachten Klimawandels bleibt bei Gore | |
unerwähnt: das Auftauen der Permafrostböden, die Ausbreitung von | |
wärmeliebenden Krankheitsüberträgern wie Moskitos, Zecken oder | |
Tsetsefliegen, das Korallensterben und die Algenblüte durch eine Erwärmung | |
der Weltmeere, die Unterbrechung der ozeanischen Pumpe, die Westeuropa | |
heute ein mildes Klima beschert, oder der Anstieg des Meeresspiegels. Als | |
gefährdet müssen mittlerweile sogar die Eismassen in Antarktis, Arktis und | |
Grönland gelten. Was passieren würde, wenn diese ganz oder teilweise | |
abschmelzen, wird anschaulich anhand von Szenarien für Florida, Bangladesch | |
und die Niederlande verdeutlicht: Millionen Menschen würden ihr Zuhause | |
verlieren, Städte verschwinden, landwirtschaftliche Nutzflächen überflutet | |
oder versalzen. | |
Obwohl sich Al Gores Buch in Aufmachung und Sprache an ein breites Publikum | |
richtet, achtet er bei allen Aussagen zum menschengemachten Klimawandel | |
peinlich genau darauf, dass sie wissenschaftlich belegt sind. Denn noch im | |
Präsidentschaftswahlkampf 2000 hatte George W. Bush ihn der Panikmache | |
bezichtigt und als "Ozone Man" lächerlich gemacht, der den Menschen unnötig | |
Angst einjage. | |
Heute schlägt Gore hart zurück: Die Regierung Bush habe sich faktisch zum | |
Handlanger einiger Öl-, Kohle- und Stromkonzerne gemacht und den Irrglauben | |
verbreitet, Klimaschutz und ökonomische Prosperität schlössen sich aus. Die | |
Belege für die destruktive Haltung der US-Regierung sind denn auch | |
erdrückend: ein Öllobbyist, der die Klimapolitik direkt im Weißen Haus | |
formuliert, ohne etwas vom Thema zu verstehen; ein faktischer "Maulkorb" | |
für die Environmental Protection Agency; das systematische Säen von | |
pseudowissenschaftlichen Zweifeln an der These vom menschengemachten | |
Klimawandel. | |
Auch den Medien stellt Gore kein gutes Zeugnis aus. Er beklagt ihre | |
zunehmende Beliebigkeit und zitiert eine vielsagende Studie: Von 928 | |
Artikeln zum Klimathema in hochrangigen wissenschaftlichen Zeitschriften | |
habe kein einziger die Existenz des menschengemachten Treibhauseffektes in | |
Zweifel gezogen. Von 636 Artikeln in den wichtigsten US-Zeitungen hingegen | |
hätten 53 Prozent den Klimawandel bezweifelt. So habe der Eindruck | |
entstehen können, es sei keineswegs sicher, dass der Mensch durch sein | |
Handeln das Klima beeinflusse. | |
Ein besonderer Aspekt des neuen Buches von Gore sind biografische Elemente. | |
Für europäische Ohren klingen diese Passagen oft pathetisch. Auch stört in | |
dem Buch ein wenig, dass Selbstkritisches aus der Zeit der | |
Vizepräsidentschaft zwischen 1992 und 2000 vollständig fehlt. Überhaupt | |
scheint Gore ein Superman mit 48-Stunden-Tag zu sein: Politiker, | |
Naturbursche, Vortragsreisender, Autor, Chef einer TV-Gesellschaft und | |
einer Investmentgesellschaft, Aufsichtsratsmitglied bei Apple, Vater und | |
Großvater mit Familienpräferenz, Freund von vielen, vielen Freunden. | |
Daran, dass Gore sich als Patriot fühlt, lässt er keinen Zweifel. Zwar wird | |
das Kioto-Protokoll als Beitrag zur internationalen Kooperation gewürdigt, | |
doch als Motor des Klimaschutzes sieht er nicht die Staatengemeinschaft, | |
sondern die Vereinigten Staaten. Man habe eine neue Nation gegründet, die | |
auf Freiheit und individueller Würde fuße, die Sklaverei abgeschafft, das | |
Frauenwahlrecht eingeführt, den Faschismus niedergekämpft, die Bürgerrechte | |
für alle durchgesetzt und sei auf dem Mond gelandet. Jetzt sei es an der | |
Zeit, den Klimawandel zu bekämpfen. | |
Gore will Mut machen. Er fürchtet, dass diejenigen, die das Klimaproblem | |
bislang geleugnet haben, ihre Strategie ändern und sich jetzt daranmachen, | |
in der Bevölkerung Ohnmachtsgefühle zu erzeugen. Seine Botschaft dagegen | |
lautet: Es ist noch nicht zu spät, aber wir müssen jetzt anfangen. Im | |
Schlusskapitel des Buches führt er eine Fülle von Maßnahmen auf, die jeder | |
Einzelne zum Wohle des Klimas ergreifen kann. Viele der Vorschläge wurzeln | |
in einem großen Technikoptimismus, etwa das Hohelied auf das Hybridauto | |
oder die Brennstoffzelle, andere zielen eher auf Lebensstiländerungen ab | |
und sind bemerkenswert, etwa wenn Gore vorschlägt: Konsumieren Sie weniger, | |
kaufen Sie nur langlebige Güter, vermeiden Sie Müll, fahren Sie mit dem Rad | |
und gehen Sie zu Fuß, legen Sie Ihr Geld da an, wo es klimafreundlich | |
verwendet wird. | |
"Eine unbequeme Wahrheit" wird Wirkung entfalten. Es hat schon jetzt den | |
Anschein, als habe Al Gore mit seinem Buch in den USA einen Nerv getroffen. | |
Und wenn Amerika sich entscheiden sollte, mit dem Klimaschutz Ernst zu | |
machen, wäre Europa am Zug. | |
Al Gore: "Eine unbequeme Wahrheit. Die drohende Klimakatastrophe und was | |
wir dagegen tun können". A. d. Amerik. v. R. Barth u. T. Pfeiffer, Riemann, | |
München 2006, 19,95 Euro | |
4 Oct 2006 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Loske | |
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