# taz.de -- Debatte: Das personifizierte Unrecht | |
> Eine 15-Jährige widersetzt sich ihrer Abschiebung und gibt Österreichs | |
> unmenschlicher Ausländerpolitik ein Gesicht. | |
Die Geschichte hat etwas von einem Rührdrama: Vor knapp drei Wochen sollte | |
die aus dem Kosovo stammende Familie Zogaj in Abschiebehaft genommen | |
werden. Der Vater und die kleinen Geschwister wurden auch tatsächlich | |
deportiert, die 15-jährige Arigona, die gerade in der Mofa-Fahrschule war, | |
als die Polizei das Haus der Familie umstellte, tauchte unter und drohte, | |
sie werde sich nicht lebend aus dem Land expedieren lassen. Die Mutter | |
durfte daraufhin vorerst bleiben. | |
Seither hat die "Ausländerdebatte" in Österreich eine bemerkenswerte | |
Wendung genommen: Hatten bisher die Rechtspopulisten den Ton vorgegeben (in | |
den auch die etablierte Politik längst einstimmte), so ist das jetzt | |
plötzlich anders. Die "inhumane" Exekution des Fremdengesetzes durch den | |
Innenminister wird von allen Seiten angeprangert. Das Landvolk im kleinen | |
Kaff Ungenach stellt sich mutig auf die Seite seiner voll integrierten | |
Mitbürger, die Zogajs. Arigonas Mitschüler gehen mit Postern auf die | |
Straße: "Wir wollen unsere Freundin zurück." Der konservative | |
Innenminister, ein Mann namens Günther Platter, der offenkundig von der | |
Prämisse ausging, er täte seiner Partei etwas Gutes, wenn er den harten | |
Kerl mime (wegen der Konkurrenz mit den Rechtspopulisten), steht jetzt als | |
hartherziger Unmensch dar, der mit den Worten "Recht muss Recht bleiben" | |
über Schicksale geht. Der Boulevard, der ansonsten vor der | |
"Ausländerschwemme" und "kriminellen Asylanten" warnt, überschlägt sich im | |
Kampf für das "Asyl-Kind". Prominente machen Schlagzeilen, indem sie, wie | |
der Cartoonist Manfred Deix, die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz oder | |
die Chefin der Nationalbibliothek Johanna Rachinger proklamieren, dass sie | |
Migranten, die auf der Flucht vor der Fremdenpolizei sind, natürlich | |
verstecken würden - "mein Gästezimmer ist frei", bekundete Marlene | |
Streeruwitz. Die "Katholische Aktion" gab das alte Motto aus: Wo Unrecht zu | |
Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht. | |
Was ist das? Ein Aufstand des Anstands, die Revolte der Empathischen, der | |
Nächstenliebe? Ja, so etwas von der Art. Auch wenn man weiß, dass das | |
natürlich damit zusammenhängt, dass die Bedrängnis plötzlich ein Gesicht | |
hat, genauer: ein recht hübsches Mädchengesicht. Wäre ein 19-jähriger | |
halbstarker Bursche mit breiten Backenknochen und Vokuhila untergetaucht, | |
der Innenminister wäre mit seiner | |
"Der-Staat-darf-sich-nicht-erpressen-lassen"-Strategie nicht so vollends | |
gegen die Wand gefahren. Arigona dagegen hat Natascha-Kampusch-Potenzial. | |
Jetzt ist sie, nach 14 Tagen und Nächten auf der Flucht, beim Pfarrer von | |
Ungenach untergekommen. Bizarre Pointe: Damit die Jagd auf das erste | |
Exklusivinterview endlich ein Ende hat, veranstalteten die 15-Jährige und | |
der Gottesmann gestern eine Pressekonferenz. "Ich habe unglaubliche Angst | |
gehabt", sagte das Mädchen. Und: "Ich habe da unten keine Zukunft." Da | |
"unten" ist der Kosovo. | |
Das brutale österreichische Fremdenrecht, von der früheren ultrarechten | |
ÖVP-FPÖ-Koalition verabschiedet (aber, ewige Schande über sie, mit den | |
Stimmen der heute regierenden Sozialdemokraten), ist jetzt also im Zentrum | |
der Kritik, weil mit Arigona Zogaj eine Symbolfigur aufgetaucht ist, in der | |
sich das Unrecht personifiziert. Aber andererseits: Es war nur eine Frage | |
der Zeit, bis es so weit kam. Schließlich zielt das Fremdenrecht darauf ab, | |
auch gut integrierte Zuwanderer aus ihrer neuen Heimat zu reißen, | |
berechtigte Asylansprüche mit Füßen zu treten und Frauen von ihren Männern | |
zu trennen. Es ist in diesem Zusammenhang in den vergangenen Jahren viel | |
himmelschreiendes Unrecht geschehen. | |
Es ist nicht das erste Mal, dass Gemeinden, Mitschüler, Arbeitskollegen und | |
Bürgermeister Sturm laufen, um "ihre" Ausländer vor der Deportation zu | |
retten. Meist ohne Erfolg. Immer wieder suchen Verzweifelte Zuflucht. Nicht | |
zuletzt deshalb wurde in das neue Fremdenrecht sogar ein Passus | |
aufgenommen, der das Ausländer-Verstecken (das Verhindern | |
"aufenthaltsbeendender Maßnahmen") mit bis zu sechs Monaten Haft bedroht. | |
Totes Recht ist das keineswegs: 69 Verfahren gab es bereits in der ersten | |
Jahreshälfte 2007. | |
Dabei dürfte sich gesetzgeberische Härte mit behördlich-polizeilicher | |
Bestialität mischen. Durchaus üblich ist es, dass Familien mit kleinen | |
Kindern um vier Uhr nachts von Rollkommandos der Polizei aus dem Bett | |
geholt und abgeschoben werden. Im Innenministerium gibt es ein "Handbuch", | |
das Tipps für die Umsetzung des Fremdenrechts gibt, in dem offenbar | |
ziemlich haarsträubende Dinge stehen. Denn der Minister weigerte sich nicht | |
nur, Journalisten Einblick in das Handbuch zu geben, sogar Parlamentariern | |
der regierenden Sozialdemokraten wurde der Einblick verweigert. In den | |
Asylverfahren entscheidet die erste Instanz praktisch gewohnheitsmäßig | |
negativ und produziert unfassbar zynische Bescheide: Einer Tschetschenin, | |
die angab, Opfer einer Massenvergewaltigung im Krieg geworden zu sein, | |
wurde mitgeteilt, dies könne nur erfunden sein, da "eine sexuell | |
geschändete Frau mit Sicherheit von ihrem Ehemann mit Schmach behandelt, | |
wenn nicht sogar getötet" worden wäre. Klartext: Da sie ihr Mann nicht | |
umgebracht hat, kann sie nicht vergewaltigt worden sein. Auch weil die | |
Berufungsinstanzen Unmengen solcher offensichtlich Recht beugenden | |
Entscheide zu kassieren haben, ziehen sich die Asylverfahren hin. Wer dann | |
einen Ausweisungsbescheid erhält, lebt oft schon fünf, sechs, sieben Jahre | |
im Land. Hat Kinder. Hat ein geregeltes Leben. Hat eine neue Existenz. | |
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass viele der betroffenen | |
Einwanderer nicht wirklich Asylsuchende sind. Vater Zogaj war 2001 illegal | |
nach Österreich gereist und hatte 2002 seine Familie mit Hilfe von | |
Schleppern nachkommen lassen. Er ist der klassische "Wirtschaftsflüchtling" | |
- jemand, der daheim keine Zukunft sieht und sich anderswo eine Existenz | |
aufbauen will. | |
Gerade solche Leute braucht Österreich, wird jetzt immer häufiger gesagt. | |
Schon wird über eine Legalisierung jener "Illegalen" diskutiert, die | |
"verfestigt" im Land leben und unbescholten sind - beispielsweise nach | |
spanischem Vorbild. Zuletzt stellte sich sogar Bundespräsident Heinz | |
Fischer gegen die Regierung, forderte eine Änderung des Fremdengesetzes und | |
ein "Bleiberecht" für voll integrierte Immigranten. | |
Es ist nicht mehr auszuschließen, dass es am Ende heißen wird: Eine | |
15-jährige Hauptschülerin hat die xenophoben Hetzer besiegt. Die rechten | |
Maulhelden waren zuletzt ungewohnt schweigsam. Gewiss, das wird nicht so | |
bleiben. Aber es zeigte sich auch, dass die populistische Rechnung so ganz | |
auch nicht aufgeht - nämlich das "das Volk" Härte will. Manche im Volk | |
wollen das. Aber die allermeisten möchten auch morgen noch in den Spiegel | |
sehen können. Eine Überraschung? Nun ja, für den überforderten | |
Innenminister ganz offensichtlich. | |
12 Oct 2007 | |
## AUTOREN | |
Robert Misik | |
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Karikaturen | |
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