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# taz.de -- Horst-Eberhard Richter über den Tod: "Und das Morden wird zur sozi…
> Der große Mann der Friedensbewegung spricht über seinen Krieg. Wie er
> getötet hat. Und warum Verteidigungsminister Jung die Remilitarisierung
> Deutschlands betreibt und Bush seine Bomben nach Jesus benennt
Bild: "Du bist ja nur dazu da, um zu schützen. Du bist ja nur dazu da, um die …
taz: Herr Richter, Sie waren als junger Soldat im Zweiten Weltkrieg. Da
haben Sie den Tod erlebt.
Horst-Eberhard Richter: Reichlich.
Erzählen Sie.
Ich kam im Spätwinter 1942 nach Russland. Ich weiß noch genau, wie wir bei
der Frühjahrsoffensive an eine grüne, herrliche Wiese kamen. Wunderschöner
Sonnenschein. Und da lag vor mir ein blonder, deutscher Soldat. Bäuchlings
in dem grünen Gras. Er sah völlig intakt aus. Die Uniform, sein wallendes,
blondes Haar. Ich dachte erst, er sei ohnmächtig. Ich drehte ihn um - sein
Gesicht war vollkommen weggeschossen. Das war am ersten Tag unseres großen
Angriffs. Das Bild bin ich nie mehr losgeworden.
Haben Sie getötet?
Ja, natürlich.
Natürlich?
Ich war bei der Artillerie. Als Richtkanonier. Die Haubitze war eine LFH-18
mit Schubkurbelflachkeilverschluss und Rohrrücklauf-Fahrbremse. Das weiß
ich noch ganz genau. Ich bekam Kommandos, wie ich das Kanonenrohr
einstellen sollte. Mit welcher Entfernung. In welchem Winkel. Das war meine
Aufgabe. Mit dem Ding schossen wir fünf, sechs, bis zu zehn Kilometer weit.
Erst später, beim Nachrücken auf dem Vormarsch mit unseren Geschützen,
haben wir gesehen, was wir angerichtet haben.
Was haben Sie gesehen?
Tote russische Soldaten. Tote Frauen. Tote Kinder.
Das sieht man dann - und schießt weiter?
Es gibt nur wenige Momente, wo man so etwas wie Scham hat.
Welche waren das?
Ich war mal mit einem Kameraden für ein paar Tage in einer russischen
Bauernhütte untergebracht. Draußen war ein Schacht mit Stämmen drauf. Das
war das Klo. In dem Raum wurde gekocht und geschlafen. Alles fand da statt.
Die Familie, das war ein junges Ehepaar mit zwei kleinen Kindern und einem
Baby. An der Decke hing an Seilen eine Wiege mit dem Baby drin. Auf dem
Ofen saß eine Oma, die stundenlang abends diese Wiege in Gang gehalten und
dazu gesungen hat. Anfangs waren die Leute über unser Eindringen
erschrocken.
Nur am Anfang?
Na, sie haben dann gemerkt, dass wir eigentlich gutartige junge Leute sind.
Und auf einmal hatten die keine Angst mehr vor uns. Ich fand die so
liebenswürdig, dass ich zu meinem Kameraden sagte: Guck dir die mal an und
guck dir uns mal an, was wir hier eigentlich machen. Auf die schießen wir
hier! Da habe ich mich geschämt. Immer wenn wir später wieder auf dem
Vormarsch waren, habe ich mir diese Familie vorgestellt. Da ist mir klar
geworden: Ich muss irgendwas in mir vorübergehend abtöten, sonst halte ich
das nicht aus.
Dann haben Sie das ausgehalten?
Man kühlt ab. Als ob irgendwas in einem erfrieren würde. Stellen Sie sich
vor, man kann dann in einer Gefechtspause ruhig essen, auch wenn da um
einen herum Tote liegen. Man hat Appetit, kann jederzeit pennen. In meiner
Sicht findet da eine Verrohung statt, die Abscheu und Mitleid reduziert. Es
ist eine Reduzierung des Sensoriums und die Abtötung der Sensibilität. Man
bewegt sich so automatisch - wie ein Roboter. Und ich konnte sogar auch
jeden Tag irgendwo in einer Pause ein paar Minuten lesen. Reclam-Heftchen,
Hölderlin, was Romantisches, um eine andere Welt hochkommen zu lassen. Das
war dann immer wie ein kleiner Urlaub.
Heißt das, dass Sie überhaupt keine Todesangst hatten?
So eine tiefe Angst hat man gar nicht. Man hat gar nicht die Zeit dazu. Man
ist so funktional eingestellt, dass man in jeder Sekunde überlegt: Was muss
ich tun? Es gibt da nur Kommandos und Feuer und fertig. Man bewegt sich so,
als wäre es Routine. Egal ob neben einem Leute tot da liegen, sterben oder
jammern. Eine hektische Pragmatik.
Keinerlei Hemmungen?
Sie meinen Tötungshemmungen?
Ja.
Nein. Das ist fast wie in diesem Charly-Chaplin-Film.
Wie in "Modern Times"?
Genau. Als Soldat wird man wirklich zum reinen Werkzeug. Es ist schwierig,
dieses mechanische Leben zu beschreiben. Es hilft jedenfalls. Wir in der
Psychoanalyse nennen das Regression. Die Niveausenkung des psychischen
Apparats. Die Ausschaltung des Gewissens, um das innere Gleichgewicht zu
bewahren. Man wird auf Stand-by reduziert.
Und heute? Wo wieder deutsche Soldaten im Kampfeinsatz sind?
Heute ist das anders. Heute wird das Sterben und Töten zum Schützen und
Helfen.
Wie meinen Sie das?
Der Jung hat eine Sprachtechnik, die dem Soldaten pausenlos in den Kopf
hämmert: Du bist ja nur dazu da, um zu schützen. Du bist ja nur dazu da, um
die anderen nicht im Regen stehen zu lassen. Der Kohl konnte das auch. Es
wäre gemein, wenn wir Deutschen jetzt nicht den anderen Nato-Soldaten
helfen würden.
So eine Art sprachliche Umwidmung?
Der Verteidigungsminister kann das fabelhaft. Es gibt eine karitative,
moralisierende Logik, in der das Töten und das Schießen und das Morden
umgekehrt werden zu einer guten, sozialen Tat.
In Afghanistan.
Genau. Das hat Jung jetzt wieder gesagt: Auch wenn wir jetzt nicht im Süden
Afghanistans kämpfen, werden wir den Amerikanern - und wer da noch alles in
Not ist - beistehen, helfen und sie nicht alleine lassen. Also für mich ist
das ganz fantastisch. Diese caritativ-therapeutische Sprachwelt, die da
auftaucht, nur um das Gegenteil von dem zu suggerieren, was wirklich
passiert. Alles dient nur dazu, das Böse abzuwenden.
Defensiv ist doch auch der Satz: "Deutsche Interessen werden am Hindukusch
verteidigt." Warum sagt man denn nicht die Wahrheit - und zwar: Soldaten
töten und sterben doch auch in Afghanistan.
Ja. Aber dieser Gedanke strengt zu sehr an. Sehen Sie mal: der Bush. Der
hat den Irak angegriffen, um die Welt zu beschützen und um Amerika zu
beschützen. Jetzt hat er gesagt: Wenn man im Iran nicht für Ordnung sorgt,
dann wird der Iran die ganze Welt bedrohen. Er malt einen nuklearen
Holocaust an die Wand. Die gesamte kulturelle Mentalität bei uns,
repräsentiert durch Bush oder durch Jung oder durch Schäuble, ist
eingestellt auf eine gespaltene Welt. Und wenn man sich den ersten Kreuzzug
mal anschaut, dann war das schon damals ganz genauso. Papst Urban der II.
hat im Jahre 1095 in Clermont eine Rede gehalten mit der Botschaft:
Entweder ihr seid auf unserer Seite, der Seite Gottes, oder ihr seid auf
der Seite der gottlosen Schurken und Muslime. Kommt Ihnen das nicht bekannt
vor?
George W. Bush hat das in leicht abgewandelter Form nach den Anschlägen vom
11. September gesagt.
Ja.
Das ist Carl Schmitt in Reinform.
Ja.
Das Freund-Feind-Schema.
Ja.
Und wir hier im Westen sind natürlich die Guten.
Genau. Das geht ziemlich tief rein. Das manichäische Weltbild kann man sich
so erklären, das ist nun auch ein bisschen meine Forschung, dass uralte,
archaische Instinkte oder Anlagen zum Vorschein kommen. Es ist nicht nur
die Bereitschaft, sich diese einfache Welterklärung gefallen und auch
befehlen zu lassen. Sondern rattenfängerartig wird eine Hörigkeit
ausgelöst, die dann massenpsychologisch dazu führt, dass es geradezu als
Erlösung empfunden wird, vom eigenen Gewissen befreit zu sein. Ein
absolutes Feindbild ist nötig, um mit sich selbst im Reinen zu bleiben.
Wer ist der Rattenfänger?
Na, Bush. Und zwar ein Rattenfänger, der sogar von Gott beauftragt ist, wie
Bush immer betont. Die Amerikaner hatten ihr Flugzeug, das die Atombombe
auf Hiroschima abwarf, christlich eingesegnet. Und es gibt ein Atom-U-Boot,
das allein schon ganz Europa vernichten kann, das heißt »USS City of Corpus
Christi«. Das muss man sich mal vorstellen. Ein U-Boot mit dem Namen Corpus
Christi. Also ist man sich nicht nur mit Bush einig, sondern auch mit Gott.
Aber was wäre das für ein Gott!
Und die deutsche Regierung hängt sich dran mit ihrer "Bündnispflicht"?
Hier wird doch auch vieles pseudoreligiös verklärt. Nehmen Sie doch nur mal
den Vorstoß von diesem Jung, Flugzeuge wegen einer möglichen
terroristischen Gefahr präventiv abzuschießen.
Wieso hat das etwas Religiöses?
Weil sich die sagen wir mal 100 Passagiere in dem Flugzeug opfern müssen.
Es wäre ein Opfertod zum Wohle des Vaterlandes. So wird das dargestellt.
Analytisch betrachtet argumentiert Jung wie einer, der den Gehorsamstod
fordert. Freud hat auch vom Unterwerfungstod gesprochen. Unterwerfung unter
das Freund-Feind-Schema des Großen Bruders. Und es hat auch etwas
Heroisches.
Wir Deutschen wollen wieder auf der Seite der Helden stehen?
Ja, klar, es gibt doch nichts Schlimmeres, als den Vorwurf, ein Weichei zu
sein. Erst durch den Krieg wird der Mann zum Mann. Das war meine Kindheit,
das war meine Schulausbildung. Wir waren pausenlos der Verehrung der Helden
des Ersten Weltkriegs ausgesetzt. Und dass der Junge erst dann ein
richtiger Mann wird, wenn er kämpft und die Fahne mehr ist als der Tod.
(singt) Und die Fahne ist mehr als der Tod .
Das war zu Ihrer Zeit. Aber doch nicht mehr heute?
Also ich nenne Ihnen da jetzt mal ein Beispiel. Zwei Wochen vor der
berühmten UNO-Sitzung, die über den Irakkrieg entschied, saß der damalige
französische Außenminister Villepin mit seinem amerikanischen Amtskollegen
Powell zusammen. Powell wollte Villepin beschwatzen, dass die Franzosen
beim Krieg mitmachen sollten. Villepin aber blieb standhaft. Anschließend
sagte der Powell vor Vertrauten: "Dieser Villepin ist ein schauderhaft
weibischer schwächlicher Mann." Jedenfalls hat Powell die Weigerung der
Franzosen, im Irak mitzuschießen, gleichgesetzt mit Unmännlichkeit.
Zehntausende von Irakern mit einer erlogenen Begründung zu töten - soll das
heißen, einen Männlichkeitstest bestanden zu haben?
Die Bundesregierung ist heftig darum bemüht, diesem Weichei-Image
entgegenzuwirken. Jetzt wird in Berlin ein Ehrenmal gebaut mit der
Inschrift: "Den Toten unserer Bundeswehr. Für Frieden, Recht und Freiheit."
Ein tauglicher Versuch?
Wie kann man behaupten, dass die Soldaten in Afghanistan für Frieden und
Freiheit ihr Leben verloren haben? Nach sechs Jahren Krieg ist doch der
Frieden so fern wie unter der sowjetischen Besatzung. Und Freiheit? Nicht
mal die Soldaten können sich außerhalb der hochmilitarisierten Zentren frei
bewegen. Die deutsche Bevölkerung hat bei fast allen Umfragen erklärt, dass
sie von der militärischen Verteidigung unserer Interessen am Hindukusch
nichts hält. Und stetig wächst der Unmut über die unbeirrten Anstrengungen
von Jung und Schäuble, das noch an der Vergangenheit arbeitende deutsche
Bewusstsein planvoll zu remilitarisieren.
Der pure Zynismus?
Totengedenken ist in Ordnung. Noch immer träume ich selbst vom Krieg. Ein
Traum, der sich in ähnlicher Form mehrfach wiederholt hat, lautet: Man
übergibt mir die Habseligkeiten eines gefallenen Soldaten. Es ist, als
würde ich gerade von der Front nach Hause entlassen. Ich soll die Sachen
den Angehörigen bringen, aber frage vergeblich und verzweifelt nach deren
Adresse. Ich übernehme die Last, aber weiß nicht, wohin damit. Mir scheint,
dass dieser Traum keine Deutung benötigt.
Das sind Schuldgefühle?
Nachdem ich kurz vor Stalingrad in ein Lazarett gekommen bin und dort die
Tragödie am Radio verfolgt habe, bin ich nicht mehr den Gedanken an die
200.000 losgeworden, deren grausamen Schickal ich entgangen bin. Die sind
ein Gepäck, das ich immer noch mit mir herumtrage. Dazu die Bilder meiner
Eltern, standhaft gegen Nazi-Verführung, aber dann von Russen erstochen,
meiner Mutter wegen. Was aber hatten wir selbst in Russland angerichtet? So
bin ich dazu gekommen, in der Friedensbewegung gegen die "Krankheit
Friedlosigkeit", wie das Carl Friedrich von Weizsäcker genannt hat, zu
forschen und zu kämpfen.
INTERVIEW: THOMAS EYERICH & THILO KNOTT
25 Oct 2007
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