# taz.de -- Arzneimittelkriminalität im Netz: So lukrativ wie Drogenhandel | |
> Der Internethandel mit gefälschten und illegalen Arzneimitteln floriert. | |
> Die Fälscher sitzen nicht nur in China und Indien - sondern auch in | |
> Waiblingen und Saarbrücken. | |
Bild: Welche Pille ist echt? Das lässt sich bei Medikamenten aus Internetapoth… | |
Das Tütchen mit dem Pulver hatte ihr eine Freundin besorgt. Per Internet, | |
denn kein deutscher Arzt hätte es verschrieben. Dinitrophenol ist weltweit | |
verboten und einer der stärksten Fettverbrenner, die es gibt. Meltem A. aus | |
Laatzen bei Hannover nahm nur einen Teelöffel von dem Schlankheitsmittel. | |
Ihr Herz begann zu rasen, ihre Körpertemperatur stieg auf über 41 Grad, sie | |
bekam keine Luft mehr. Herz, Lungen, Leber und Nieren kollabierten - | |
"Multiorganversagen" notierte der Arzt als Todesursache. Meltem A. starb im | |
August 2006 an einem illegalen Diätmittel. Jana R., die das Tütchen mit dem | |
Pulver besorgt hatte, wurde wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. | |
Ein drastischer Fall, aber keineswegs ein Einzelfall. Über das Internet | |
gelangen zunehmend illegale oder gefälschte Medikamente nach Deutschland, | |
wie das Bundeskriminalamt in seiner gestern erschienen Studie | |
"Arzneimittelkriminalität - ein Wachstumsmarkt" konstatiert. Die Beamten | |
haben Daten des Zolls und der Landeskriminalämter gesammelt, mit Experten | |
und Pharmaherstellern gesprochen und kommen zu dem Ergebnis: "Der illegale | |
Handel mittels Internet hat sei Öffenung des Versandhandels für | |
Arzneimittel deutlich zugenommen" So meldete ein Unternehmen mehr als 100 | |
Fälle von gefälschten Arzneien weltweit mit steigender Tendenz. Das BKA | |
sieht daher ein "erhöhtes Bedrohungspotential". | |
Kriminelle Arzneimittelhändler bedienen vor allem den gewinnträchtigen | |
Markt mit verschreibungspflichtigen Lifestyle-Produkten: Potenzmittel, | |
Diätpillen oder Stimmungsaufheller. Eine Schachtel Viagra etwa kann für | |
weniger als einen Dollar produziert und im Internet für 150 Dollar | |
angeboten werden. | |
Die BKA-Beamten gehen von "einem erheblichen Dunkelfeld" aus, verlässliche | |
Angaben über das Ausmaß gefälschter und illegaler Arzneimittel könnten sie | |
derzeit nicht machen. Doch auch die Zahlen des Zolls sprechen dafür, dass | |
verbotene und gepanschte Substanzen vermehrt nach Europa gelangen: im Jahre | |
2006 konfiszierten die Zollbeamten an den Außengrenzen der EU mit 2,5 | |
Millionen Tabletten fast fünf Mal mehr als im Jahr zuvor. | |
Noch gilt Deutschland als einer der sichersten Arzneimittelmärkte weltweit. | |
Jährlich werden 1,5 Milliarden Packungen verschrieben und verkauft. Der | |
Anteil von Plagiaten, die in das Sortiment der zugelassenen Apotheke um die | |
Ecke gelangt, beträgt nach Einschätzungen des Bundesgesundheitsministeriums | |
nicht einmal ein Prozent. Ebenso sicher ist der Einkauf bei zertifizierten | |
Internetapotheken, wie DocMorris oder der Europaapotheke. Jede Schachtel | |
trägt eine sogenannte Chargennummer und kann anhand dieser bis zum | |
Produzenten zurückverfolgt werden. Die Fälscher schaffen es daher kaum, | |
ihre Ware unbemerkt in die legale Vertriebskette zu schmuggeln. | |
Das Einfallstor für illegale Arzneimittel sind Internetapotheken, die nicht | |
zugelassen sind. | |
Die Mitarbeiter des Zentrallabors deutscher Apotheker (ZAB) machen | |
regelmäßig Testkäufe, bei Adressen, die ihnen dubios erscheinen. Ergebnis: | |
jede zweite Pille hält nicht, was sie verspricht. Der Pharmakologe Gerd | |
Glaeske, Mitherausgeber des jährlich veröffentlichten Arzneimittelreports, | |
schätzt, dass dadurch inzwischen 6 bis 8 Prozent aller Medikamente auf dem | |
deutschen Markt gefälscht sind. | |
Auch Glaeske hatte eine ganze Palette von Schlankheitspillen über das | |
Internet geordert. Nicht um abzunehmen, sondern fürs Labor. Einige als rein | |
pflanzlich deklarierte Appetithemmer erwiesen sich als reine | |
Chemiecocktails. "Diese Mittel rufen Nebenwirkungen hervor, die | |
lebensbedrohlich sein können." Ein anderes Produkt enthielt dagegen gar | |
keinen Wirkstoff sondern nur Zucker, eine andere Lieferung viel zu wenig | |
Wirkstoff. "Da wird viel Gefährlichkeit verkauft", so das Fazit des | |
Pharamkologen. | |
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) warnte erst | |
im Oktober wieder vor dubiosen Internetanbietern, die auch Deutschland | |
belieferten. Hinter Adressen wie pillenpharm.com, emediline.com und | |
usamedz.com steckten Betrüger. Diese Seiten gehören zu einem Netz von mehr | |
als 20 Online-Auftritten, die auch die US-Arzneimittelaufsicht FDA bereits | |
seit längerem im Blick hat. Im Mai veröffentlichte die FDA eine Warnung, | |
nachdem sie von dieser Quelle Fälschungen des Schlankheitsmittels Xenical | |
von Roche erhalten hatte. | |
Der Handel mit gefälschten und illegalen Medikamenten floriert, weil er | |
lukrativ ist. Nach Angaben des ZAB wird mit Arzneimittelfälschungen ein | |
weltweiter Jahresumsatz von 35 Milliarden Dollar erzielt. Und dieser könne | |
sich in drei Jahren mehr als verdoppeln. | |
Tabletten herzustellen ist billig und einfach. "Die Wirkstoffe können in | |
den meisten Ländern im Chemikaliengroßhandel erworben werden", berichtet | |
Ulrich Hagemann, der am BfArM für Arzneimittelsicherheit zuständig ist. Der | |
Wirkstoff - falls vorhanden - wird mit einem Trägerstoff gemixt, meistens | |
Traubenzucker, und dann in der Tablettenpresse geformt. Fertig ist die | |
Pille. Ob sie echt ist, können nur Fachleute im Labor herausfinden. | |
Das BKA vermutet, dass die meisten illegalen Fälschungen aus ostasiatischen | |
Staaten stammen sowie aus den USA und Russland. Doch erst vor wenigen Tagen | |
haben Fahnder im baden-württembergischen Waiblingen einen | |
Internet-Versandhandel ausgehoben, der offenbar im großen Stil gefälschte | |
Lifestyle-Medikamente - Schlankheits- und Potenzmittel - abgepackt und | |
vertrieben hat. Das Landeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft in | |
Stuttgart geben mit Verweis auf das laufende Ermittlungsverfahren keine | |
Informationen preis. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und | |
Medizinprodukte geht jedoch von einer neuen und weltweiten Dimension aus. | |
Teile der Politik wollen nun reagieren. Nordrhein-Westfalen will | |
Online-Apotheken verbieten, verschreibungspflichtige Medikamente zu | |
verkaufen und weiß dabei die Bundesländer Bayern und Sachsen auf seiner | |
Seite. Die rot-grüne Bundesregierung erlaubte den Handel mit | |
verschreibungspflichtigen Medikamenten erst 2004. Einem Verbot steht man im | |
Bundesgesundheitsministerium unter Leitung von Ministerin Ulla Schmidt | |
(SPD) skeptisch gegenüber. "Dann müsste man das ganze Internet verbieten", | |
sagt eine Sprecherin. | |
Jana R. die beschuldigte wurde, am Tod von Meltem A. mitschulig zu sein, | |
sprach das Gericht Ende September frei. "Es bleibt aber ein bitterer | |
Beigeschmack", sagte ihr Anwalt. Seine Mandantin hatte bis zum Schluss | |
nicht sagen wollen, von wem genau sie das Mittel hatte. Die Hintermänner | |
und ihre Vertriebswege blieben im Dunkeln. | |
31 Oct 2007 | |
## AUTOREN | |
A. Lehmann | |
W. Schmidt | |
## TAGS | |
Gambia | |
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