# taz.de -- Arcade Fire-Konzert: Prediger der Ekstase | |
> Glaube, Liebe, Hoffnung und Gitarren: Arcade Fire erwiesen sich bei ihrem | |
> Auftritt in Berlin endgültig als die Wanderprediger der Rockgemeinde. | |
Bild: Für Fans die Retter des Rock: Arcade Fire auf einem Konzert in Oslo. | |
Allein die Bühne kurz vor dem Auftritt ist ein einziges Versprechen: Sieben | |
Mikrofonständer stehen nebeneinander aufgereiht, zwei Megafone, ein knappes | |
Dutzend Gitarren, Mandolinen und Banjos, ein Kontrabass, Geigen, Trompeten, | |
Hörner, Klavier, Glockenspiel, Akkordeon, Leierkasten, und über allem | |
thront eine riesige Kirchenorgel. Scheinwerfer tauchen die Bühne in | |
flammend rotes Licht, dann erscheinen auf den fünf kreisrunden | |
Videobildschirmen Fernsehaufnahmen amerikanischer Prediger, ihre Stimmen | |
steigern sich zum kakophonen Lärm - und Win Butler, seine Ehefrau Régine | |
Chassagne und ihre acht Bandkollegen betreten die Bühne. | |
Die Columbiahalle ist berstend voll am Donnerstagabend, was kein Wunder | |
ist: Keine Band schafft es derzeit so, die Indierockgemeinde hinter sich zu | |
vereinen wie das Bandkollektiv Arcade Fire aus Montreal. Zwei Alben haben | |
sie herausgebracht, und wurden von der Kritik prompt und ziemlich | |
geschlossen zu Rettern des Rock erklärt. | |
Im Konzert sieht das dann so aus: In einer langen Reihe stehen die zehn | |
Musiker nebeneinander auf der Bühne, jeder ein Instrument in der Hand. Je | |
näher die Lieder ihrem Höhepunkt kommen, umso mehr löst sich die Phalanx | |
auf, schließlich wird die Bühne zum Tollhaus. Der Gitarrist klopft auf die | |
auf der Bühne verstreuten Becken und Trommeln, die beiden Geigerinnen | |
brüllen den Refrain mit, Régine Chassagne tanzt mit ihrem Schellenkranz im | |
Kreis. Win Butler hat seinen Bass auf den Boden geworfen, steht am | |
Bühnenrand und singt emphatisch, mit geschlossenen Augen, zusammen mit dem | |
Publikum. Schicht um Schicht türmen sich Geigen, Hörner, Klavier und ein | |
siebenstimmiger Chor immer höher um eine einfache Gitarren-Bass-Linie, das | |
Schlagzeug hämmert konstant Sechzehntel. Immer weiter steigern sich | |
kollektive Euphorie und die tiefe Melancholie, mit der Butler, der | |
ehemalige Theologiestudent, den evangelikalen Wahnsinn Amerikas mit einem | |
heiligen Ernst niedersingt, als trage er die Last eines ganzen Landes auf | |
seinen Schultern. Am Ende hat er sein Publikum da, wo es auch die | |
amerikanischen Fernsehprediger haben wollen, in einer kollektiven Ekstase, | |
in der es einem einen Schauer nach dem anderen den Rücken hinunterjagt. | |
Am besten funktioniert das beim bekanntesten Lied der Band. Die erste | |
Minute in "Rebellion" hat alle Chancen, zum emblematischen Rockriff des | |
Jahrzehnts zu werden. Die Bassdrum klopft monoton Viertel, Win Butler | |
spielt eine einfache Bassline, Régine Chassagne hämmert wie besessen einen | |
Dur-Akkord ins Klavier, und Butler hebt zu einem unendlich traurigen | |
Abgesang auf alle Revolutionsträume der Jugend an: "Everytime you close | |
your eyes." Und sofort antwortet die gesamte Band zusammen mit dem | |
Publikum: "Lies! Lies!" Als "Rebellion" zu Ende ist, und die Musiker vor | |
der Zugabe die Bühne verlassen haben, singen Teile des Publikums noch unter | |
frenetischem Jubel den Refrain nach. In ihren Augen: pures Glück. | |
9 Nov 2007 | |
## AUTOREN | |
Adrian Renner | |
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