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# taz.de -- Kommentar Iberoamerika-Gipfel: Radikal bisher nur in Worten
> Der neoliberale Konsens in Lateinamerika ist überwunden. Das heißt aber
> nicht, dass schon viel passiert.
Der 17. Iberoamerikanische Gipfel im chilenischen Santiago hat durchaus
erfrischende Kontroversen an Tageslicht gebracht. Dies ist zweifellos ein
Verdienst von Venezuelas Präsident Hugo Chávez. Diesmal nervte der
Alleinunterhalter die spanische Delegation so lange, bis König Juan Carlos
höchstpersönlich der Geduldsfaden riss.
Auf der Abschlusskundgebung des "Völkergipfels" gab Chávez eine
bezeichnende Anekdote von seinem ersten Iberogipfel im Jahr 2000 zum
Besten. Fidel habe zu ihm gesagt: "Chávez, ich fühle, dass ich jetzt nicht
mehr der einzige Teufel auf diesen Versammlungen bin", erzählte er.
Zwischenzeitlich haben die beiden Vertreter des Tropensozialismus
karibischer Prägung Verstärkung erhalten: Néstor Kirchner aus Argentinien,
der bolivianische Indígena Evo Morales, der Ökonom Rafael Correa aus
Ecuador und der Altsandinist Daniel Ortega forderten eine Abkehr von der
neoliberalen Wirtschaftspolitik in ganz Lateinamerika.
Bedeutsamer als alle Revolutionsrhetorik, deren eigentlicher Wert vor allem
in ihrem Unterhaltungs-, manchmal auch in ihren Bildungswert besteht,
bleiben jedoch Taten. Besonders Gastgeberin Michelle Bachelet forderte sie
immer wieder ein - mit gutem Grund: Fast zwei Jahre nach ihrer Wahl im
neoliberalen Musterland Chile hat die Sozialdemokratin nämlich die Kluft
zwischen Arm und Reich ebenso wenig verringert wie die meisten ihrer
Nachbarn.
Auch in Brasilien zeigt sich, dass sich strukturelle Sozialreformen und
eine Wirtschaftspolitik zugunsten des Finanzkapitals nahezu ausschließen.
Umso ermutigender ist der nationalistische Kurswechsel in der Erdölpolitik,
den Lula da Silva jetzt andeutete. Und die Gründung der Bank des Südens,
die im Dezember in Buenos Aires erfolgen wird. Der neoliberale Konsens ist
überwunden, da haben Chávez und Co. recht. Drei große, eng miteinander
verknüpfte Versprechungen sind allerdings noch bei weitem nicht eingelöst:
die gründliche Korrektur der sozialen Schieflage, die Eindämmung der
Korruption und die Wende zu einer ökologisch verträglichen
Wirtschaftsweise.
Damit haben nicht nur die gemäßigten Linken wie Bachelet, Lula oder der
Uruguayer Tabaré Vázquez größte Schwierigkeiten, sondern gerade auch Hugo
Chávez selbst. Gefragt sind mehr Transparenz bei Entscheidungsprozessen,
damit die Mitbestimmung der Betroffenen überhaupt erst möglich wird - kurz:
mehr Demokratie. Allzu oft lenken die Latino-Linken durch
Verbalradikalismus und Polarisierung um jeden Preis von ihren eigenen
Defiziten ab.
11 Nov 2007
## AUTOREN
Gerhard Dilger
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