# taz.de -- Kontakte zu Pharmafirmen: Impfkommission im Interessenkonflikt | |
> Unabhängig und neutral soll Impfstoffkommission empfehlen, welche | |
> Impfungen Krankenkassen zahlen müssen. Doch immer mehr zweifeln daran, ob | |
> die Kommission wirklich unabhängig ist. | |
Bild: Gute Verbindungen zur Industrie soll das unabhängige Impfgremium haben. | |
Eine Impfpflicht gibt es in Deutschland nicht. Doch allgegenwärtig sind | |
eindringliche Ansprachen wie diese: "Liebe Eltern, mit der Entscheidung, | |
Ihr Kind impfen zu lassen, schützen Sie die Gesundheit Ihres Kindes, aber | |
auch die anderer." Dieser Appell steht so in einem "Ratgeber" der Hamburger | |
Gesundheitsbehörde. | |
Die Broschüre plus "Impfkalender" gegen zehn ansteckende Krankheiten | |
erschien Anfang 2006 - und war kurz darauf schon nicht mehr auf dem | |
aktuellen Stand der Ständigen Impfkommission (Stiko). | |
Dieses Expertengremium, berufen vom Bundesgesundheitsministerium und | |
angesiedelt am Robert-Koch-Institut (RKI), hat hierzulande die Aufgabe, | |
"Empfehlungen zur Durchführung von Schutzimpfungen" zu erarbeiten. Und das | |
tut die Stiko reichlich: Mitte 2006 erhob sie zwei weitere Impfungen zum | |
Standard: Allen Säuglingen und Kleinkindern rät sie seitdem zur | |
Immunisierung gegen Pneumokokken und Meningokokken. | |
Im März 2007 ließ die Stiko dann eine viel beachtete Empfehlung folgen, | |
gerichtet an alle Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren: Sie sollten sich gegen | |
zwei Typen der Humanen Papilloma-Viren (HPV) impfen lassen, die im Verdacht | |
stehen, Gebärmutterhalskrebs auszulösen. Wie lange der Impfschutz wirkt, | |
ist unbekannt. | |
Die Stiko-Empfehlung kam Ende März, wenige Tage vor Inkrafttreten des | |
"GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes". Die Reform verpflichtet die | |
gesetzlichen Krankenkassen, alle Impfungen zu bezahlen, welche die Stiko | |
für empfehlenswert hält. | |
Im April war erst ein Impfstoff gegen HPV auf dem Markt, das Produkt namens | |
Gardasil war ein halbes Jahr vorher zugelassen worden. Eine komfortable | |
Situation für den Hersteller Sanofi Pasteur MSD, der pro geimpfter Person | |
465 Euro von den Kassen verlangt. Der Umsatz von Gardasil ist hierzulande | |
derzeit spitze: Rund 28 Millionen Euro sollen es allein im August gewesen | |
sein, bilanziert die Agentur IMS Health. Der Wettbewerb dürfte bald härter | |
werden: Ende September meldete GlaxoSmithKline die Zulassung für seinen | |
Anti-HPV-Impfstoff Cervarix. | |
"Bei voller Umsetzung der Stiko-Empfehlungen", orakelten die Verbände der | |
gesetzlichen Kassen in einer Stellungnahme zur Gesundheitsreform, "ist | |
mindestens von einer Verdreifachung der Ausgaben auszugehen." Mit | |
Mehrkosten von rund 1,6 Milliarden Euro sei zu rechnen. Und die Kassen | |
fügten hinzu: "Die Stiko steht in guter Verbindung zur Industrie. Teils | |
mussten Empfehlungen wegen nachträglich erkannter Risiken zurückgenommen | |
werden." | |
Ross und Reiter nannten die Kassen nicht. Wer recherchiert, findet | |
Auffälligkeiten, angefangen beim langjährigen Stiko-Vorsitzenden | |
Heinz-Josef Schmitt. Der Mainzer Professor erhielt im Juni 2006 den | |
Helmut-Stickl-Preis - für sein "besonderes Engagement zur Förderung des | |
Impfgedankens". Gestiftet wurde die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung | |
vom Gardasil-Hersteller Sanofi Pasteur MSD. Im September 2007 legte Schmitt | |
den Stiko-Vorsitz nieder, der Ärztezeitung sagte er zur Begründung: | |
"Inzwischen habe ich mich entschieden, ganz in die Industrie zu wechseln | |
und für den Impfstoffhersteller Novartis Vaccines und Diagnostics tätig zu | |
werden." | |
Derzeit amtieren16 Stiko-Mitglieder, die meisten von ihnen tauchen auch auf | |
Internetseiten auf, die von Impfstoffherstellern bezahlt werden. So bedankt | |
sich GlaxoSmithKline auf seiner Website [1][www.gesundes-kind.de] für die | |
wissenschaftliche Beratung von Professor Fred Zepp. Beim "Forum Impfen", | |
finanziert von vier Impfstoffherstellern, machen gleich fünf | |
Stiko-Mitglieder mit: Frank von Sonnenburg, Christel Hülße, Friedrich | |
Hofmann, Wolfgang Jilg, Ursel Lindlbauer-Eisenach. Baxter, Novartis Behring | |
und Wyeth unterstützen die Arbeitsgemeinschaft Meningokokken beim Grünen | |
Kreuz. Aus der Stiko dabei ist Jan Leidel, im Hauptberuf Leitender | |
Medizinaldirektor am Gesundheitsamt Köln | |
Viel beschäftigt ist offensichtlich das Stiko-Mitglied Ulrich Heininger: | |
Der Baseler Professor erklärte in mehreren wissenschaftlichen Aufsätzen, er | |
habe Honorare von Impfstoffherstellern für Vorträge und | |
Beratungstätigkeiten sowie finanzielle Unterstützung für Forschungsprojekte | |
erhalten. | |
Hinweise auf solche Nebentätigkeiten findet man im | |
pharmaindustrie-kritischen Fachblatt arznei-telegramm oder auf der Homepage | |
des Vereins Ärzte für individuelle Impfentscheidung, die für unabhängige | |
Aufklärung zu Impfungen eintreten. Dagegen gibt das RKI bislang keine | |
Hinweise zu potenziellen Interessenkonflikten von Stiko-Mitgliedern. | |
Das könnte sich bald ändern. Auf Nachfrage der Bündnisgrünen hat die | |
Bundesregierung angekündigt, das RKI werde eine "erste Veröffentlichung" | |
von Angaben, die auf Selbstauskünften der Stiko-Mitglieder beruhen, bis zum | |
Jahresende im Internet publizieren; die Wahl des neuen Stiko-Vorsitzenden | |
findet laut RKI-Pressestelle am kommenden Montag statt. | |
Mehr "Verfahrenstransparenz" bei der Stiko hält das | |
Bundesgesundheitsministerium erst mal nicht für nötig. Geheim bleiben | |
sollen nach wie vor Tagesordnungen, Themen, Methoden, Verlauf, Kontroversen | |
und Abstimmungsergebnisse der Stiko-Beratungen; veröffentlicht werden | |
sollen nur die abschließenden Empfehlungen und Begründungen. "Ob der | |
Ausschluss von Mitgliedern mit potenziellem Interessenkonflikt in der | |
Praxis auch funktioniert", schlussfolgert das arznei-telegramm, "lässt sich | |
daher nicht nachvollziehen." | |
16 Nov 2007 | |
## LINKS | |
[1] http://www.gesundes-kind.de | |
## AUTOREN | |
Klaus-Peter Görlitzer | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |