# taz.de -- Amok-Ermittlungen in Köln: Schwere Vorwürfe gegen Polizei | |
> Die Polizisten hätten den späteren Selbstmörder nach der Vernehmung nicht | |
> laufen lassen dürfen, sagen Psychologen. Nach taz-Informationen | |
> verstießen Beamte gegen Vorschriften. | |
Bild: "Die Fahnder wollten rasch einen publikumswirksamen Erfolg": Polizei vor … | |
Psychologen haben die Kölner Polizei scharf für ihr Vorgehen bei dem | |
vereitelten Amoklauf kritisiert. "Die Beamten hätten den Jungen nach der | |
Vernehmung nicht einfach laufen lassen dürfen", sagte Dietmar Heubrock, | |
Geschäftsführender Direktor des Bremer Instituts für Rechtspsychologie, am | |
Dienstag der taz. "Gerade wenn der Verdacht eines Amoklaufes besteht, muss | |
die Polizei davon ausgehen, dass der Verdächtige vielleicht zu Depressionen | |
oder gar zu suizidalen Handlungen neigt." | |
Der 17 Jahre alte Rolf B. hatte nach Ermittlungen der Polizei zusammen mit | |
einem Freund einen Amoklauf am Kölner Georg-Büchner-Gymnasium geplant. Zwei | |
Beamte hatten die Schule am Freitag aufgesucht und den Jungen mit der | |
Schulleitung zu Bildern des Amoklaufs an der Columbine Highschool auf | |
seiner Internetseite befragt. Weil er ihnen unverdächtig vorkam, ließen sie | |
ihn laufen. Nur wenig später warf sich Rolf B. vor eine Straßenbahn. | |
Indem sie den Jungen unbeaufsichtigt ziehen ließen, haben die Ermittler | |
möglicherweise gegen die bundesweit gültige Polizeidienstvorschrift (PDV) | |
verstoßen. Die PDV mit der Nummer 382 regelt die "Bearbeitung von | |
Jugendsachen". In dem internen Papier, das der taz vorliegt, heißt es: | |
"Kinder sind nach Beendigung polizeilicher Maßnahmen von | |
Erziehungsberechtigten () abholen zu lassen oder () ihnen zu überstellen." | |
Mit Jugendlichen wie dem 17-jährigen Rolf B. sei "in gleicher Weise zu | |
verfahren", wenn eine "besondere Krisensituation" es gebietet. "Bei der | |
Bedrohungslage, von der die Polizei ausging, war klar eine Krisensituation | |
gegeben", sagte Heubrock. "Die Eltern haben das Recht, bei solchen | |
Gesprächen dabei zu sein. So können sie auf Gefühle des Kindes, auf seine | |
Wut oder Erregung reagieren." | |
Der Bremer Rechtspsychologe analysiert regelmäßig für die niedersächsische | |
Polizei bedrohliche Situationen an Schulen, etwa wenn ein anonymes | |
Schreiben gefunden wird. Auch führt er oft Gespräche mit auffälligen | |
Jugendlichen. Zwar hält er es für richtig, dass die Polizei "schon im | |
Vorfeld gehandelt und Gefährdungen gesucht" hat. Doch für ihn haben die | |
Bezirksdienstbeamten die Aussagen falsch bewertet. Der 17-Jährige hatte den | |
Polizisten, die sonst im Kiez Streife laufen und mit Bürgern reden, | |
erzählt, er habe nur auf die Problematik von Amokläufen aufmerksam machen | |
wollen. "Sehr, sehr viele Jugendliche lügen, wenn sie mit einem solchen | |
Verdacht konfrontiert werden. Für mich wäre der Verdacht nicht vom Tisch | |
gewesen." Auch der Münchner Polizeipsychologe Georg Sieber kritisierte die | |
Polizei. "Die Fahnder wollten rasch einen publikumswirksamen Erfolg | |
präsentieren. Wenn es ihnen um den Jugendlichen gegangen wäre, hätten sie | |
anders reagiert." | |
Hätte die Polizei den Selbstmord also verhindern können? Die | |
Staatsanwaltschaft nahm die Polizei am Dienstag in Schutz. Am | |
Freitagvormittag sei eine Suizidgefährdung des Jungen für die an der | |
Befragung Beteiligten nicht erkennbar gewesen, sagte Oberstaatsanwalt Alf | |
Willwacher. Auch habe sich der Verdacht auf einen Amoklauf erst durch | |
spätere Ermittlungen erhärtet. "Es bestehen daher derzeit keine | |
Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten." Die | |
Staatsanwaltschaft hatte am Montagabend den 18-Jährigen Mitverdächtigen | |
Robin B. auf freien Fuß gesetzt. Die Aussagen des 18-Jährigen und | |
ausgewertete Chat-Gespräche hatten bewiesen, dass er den Plan für die | |
Bluttat schon vor vier Wochen verworfen hatte. | |
Der gestrige Jahrestag des Amoklaufs in Emsdetten wurde von der Angst vor | |
weiteren Bluttaten bestimmt. Im niederrheinischen Kaarst durchsuchten | |
Polizisten nach einem Tipp finnischer Ermittler das | |
Georg-Büchner-Gymnasium, welches den gleichen Namen wie die Kölner Schule | |
trägt. Die finnische Polizei war in einem Internet-Chatroom auf eine | |
Unterhaltung zweier Personen gestoßen, die gehört haben wollten, dass ein | |
Amoklauf am Kaarster Gymnasium geplant sein könnte. Der Verdacht bestätigte | |
sich nicht. An einer Göttinger Berufsschule wurde der Unterricht wegen | |
einer Bombendrohung unterbrochen. | |
21 Nov 2007 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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