# taz.de -- Kommentar Stammzellenforschung: Gewöhnt euch an den Durchbruch | |
> Der Stammzellenforschung ist nicht nur ein wissenschaftlicher Durchbruch | |
> gelungen. Wo man ohne Klonen auskommt, entzieht sich die Wissenschaft der | |
> moralischen Kritik. | |
Von außen betrachtet grenzt es an ein Wunder. Jahrelang hat die | |
Gesellschaft gestritten über Stammzellen und übers Klonen. Über die | |
erhebenden Verheißungen des medizinischen Fortschritts und den Abgrund der | |
verbrauchenden Embryonenforschung. Und nun löst sich der Widerspruch wie | |
von selbst auf. So scheint es jedenfalls. | |
Zwei Forscherteams haben unabhängig voneinander menschliche Zellen | |
umprogrammiert, aus schlichten Hautzellen wieder Alleskönnerzellen, | |
Stammzellen, gemacht. Und daraus Herzmuskel- und Nervenzellen. Ganz ohne | |
Klonen, ohne kleine Zellhaufen Mensch zu benötigen. | |
Vom "Heiligen Gral" der Stammzellenforschung ist schon die Rede - doch das | |
ist wohl etwas übertrieben. Denn die Forschung steht am Anfang. Die | |
Methoden sind längst nicht so ausgereift wie etwa die der Kollegen aus der | |
Physik. | |
Ein Durchbruch ist es dennoch. Nicht nur wissenschaftlich. Dieses Ergebnis | |
könnte die Stammzellenforschung endlich vom moralischen Makel befreien, der | |
ihr vor allem von christlicher Seite vorgehalten wird. Das Wort "Klonen" | |
war in dieser Debatte zu einer Keule geworden, gegen die Mediziner kaum | |
rational argumentieren konnten. | |
Trotzdem ist der Vorbehalt, dass die Mediziner mit dieser Forschung einen | |
ethisch fragwürdigen Weg beschritten haben, dass sie "Gott spielen", nicht | |
ganz ausgeräumt. Dies liegt zum einen daran, dass die Teams aus Japan und | |
den USA anfangs auf embryonale Stammzellen zurückgreifen mussten. | |
Zum anderen liegt es in der Sache selbst. Es sind keine grundsätzlichen | |
Barrieren erkennbar, die uns daran hindern könnten, früher oder später | |
menschliche Zellen in großem Stil zu züchten und zu reprogrammieren. Es ist | |
nur eine Frage der Zeit. Das wird ethische Konflikte aufwerfen. Doch der | |
Vorwurf, man würde "Gott spielen", verschwindet spätestens dann, wenn sich | |
die Gesellschaft ans Neue gewöhnt hat. Vor hundert Jahren hätte man eine | |
Herztransplantation noch als illegitimen Eingriff in die Wege des Herrns | |
gedeutet - heute ist sie ethisches Gebot. Das wird bei der | |
Stammzellenforschung nicht anders sein. Denn wie sich nun zeigt, sind die | |
moralischen Zumutungen überwindbar. | |
22 Nov 2007 | |
## AUTOREN | |
Matthias Urbach | |
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