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# taz.de -- Grausame Kriegsverbrechen im Kongo: Sexueller Terrorismus
> In der Demokratischen Republik Kongo üben vor allem ruandische
> Hutu-Milizen unvorstellbar brutale Gewalt gegen Frauen. Die Welt sieht zu
> bei diesem Völkermord mit anderen Mitteln
Bild: Die UNO zählte allein in der Provinz Südkivu 27.000 sexuelle Übergriff…
Als sie zur Klinik kam, trug die Frau eine Plastiktüte. In ihrem Dorf hatte
sie längere Zeit zwei ihrer kleinen Mädchen vermisst, erzählte sie. Sie
ging zum Milizenchef des Dorfes, und fragte ihn, ob er die Kinder gesehen
habe. Der lachte sie aus. "Du hast jetzt jeden Tag Fleisch gegessen",
erklärte er ihr. "Denkst du, wir haben Ziegen geschlachtet?" Die Knochen
schenkte er ihr. Seitdem trägt sie in ihrer Tüte zwei kleine Schädel herum
- die Reste ihrer Töchter.
Eine andere Frau schlug ihren Wickelrock auf. Blut und Eiter quollen
hervor, darunter ihr sechs Monate altes Baby. Es war mehrfach von
erwachsenen Männern vergewaltigt worden, sein Unterleib war nur noch eine
einzige, fürchterliche Wunde. Das Baby musste sofort in den OP. Es
überlebte nicht.
Die Szenen, die sich auf der Station für vergewaltigte Frauen im
Panzi-Krankenhaus des ostkongolesischen Bukavu abspielen, übersteigen
zuweilen die menschliche Vorstellungskraft. Frauen, denen man nach
Mehrfachvergewaltigung in die Vagina geschossen hat, sind keine Seltenheit.
Eine Frau wurde vergewaltigt, während ihr Mann gefesselt zusehen musste;
dann wurde der Mann bei lebendigem Leibe von den Bewaffneten zerstückelt,
und die Frau musste sein Geschlechtsteil essen. "Seit zehn Jahren kann ich
nur mit Schlafmitteln schlafen", erzählt Christine Schuler-Deschryver, die
im Auftrag der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ)
die Frauenstation von Panzi betreut. "Dies ist kein Krieg, dies ist
sexueller Terrorismus."
Die jahrelange Arbeit mit brutal zugerichteten Frauen hat die einst stolz
auftretende, hochgewachsene Belgokongolesin an den Rand des psychischen
Zusammenbruchs gebracht. Nicht viel anders ergeht es der Engländerin Lyn
Lusi in Ostkongos anderer großen Stadt, Goma, die zusammen mit ihrem
kongolesischen Ehemann das Docs-Krankenhaus des US-Hilfswerks Heal Africa
betreut, wo ebenfalls ständig Vergewaltigungsopfer chirurgisch behandelt
werden müssen. Wenn sie mit ihrem glasklaren, unterkühlten Oxford-Englisch
das Leid der Frauen beschreibt, offenbart sich eine Mischung aus großer
Erschöpfung und Fassungslosigkeit, immer überlagert von den Problemen des
Alltags, der nie gesichert ist in der Demokratischen Republik Kongo.
Kongos Ostregion Kivu ist heute die Kriegsregion mit den übelsten
Verhältnisse der Welt, es gibt mehr Vertreibungen und Verbrechen als in
Darfur. Es hat Jahre gedauert, bis die unmenschliche Gewalt gegen
Zivilisten durch Milizen dort international zur Kenntnis genommen wurde.
Solange im Kongo Krieg zwischen Warlords auf nationaler Ebene herrschte,
jeder mit der Unterstützung einer anderen ausländischen Armee, blieben die
Vorgänge in den schwer zugänglichen Wäldern und Bergen von Kivu vergessen.
Seit den Wahlen 2006 aber herrscht im Kongo offiziell Frieden und
Demokratie, und so sticht das Chaos in Kivu stärker als Problem hervor. Das
Panzi-Krankenhaus von Bukavu ist mehr noch als das Docs-Krankenhaus von
Goma eine regelrechte Pilgerstätte für durchjettende Politiker und
Journalisten geworden. Es mangelt heute nicht mehr an Reportagen,
Dokumentarfilmen, Zeitungsberichten über die sexuelle Gewalt in Kivu. Zum
morgigen Internationalen Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen hagelt
es anklagende Presseerklärungen, das Spektrum der Absender reicht von der
Gesellschaft für Bedrohte Völker bis zur CDU-Bundestagsabgeordneten
Michaela Noll.
Viele Berichte konzentrieren sich auf erschütternde Einzelschicksale,
hinter denen der Kongo als das erscheint, was er im europäischen Weltbild
schon immer war: das Herz der Finsternis, undurchdringlich und
unverständlich. Wenn regelmäßig am Schluss solcher Berichte Frauen aus der
Behandlung wieder nach Hause geschickt werden, ist das wie eine Abschiebung
zurück in die Hölle, wo die finstere Gewalt sie wieder verschlucken wird.
Man kann, so schließt der Medienkonsument, wenig für sie tun außerhalb des
Lichts der Krankenstationen.
Dabei ist von brutalster Folter begleitete Vergewaltigung ein relativ neues
Phänomen im Kongo. Noch vor zehn Jahren kannte man das nicht. Die vielen
als "Mayi-Mayi" bekannten lokalen Milizen Ostkongos, die sich mit
Zauberwasser unverwundbar machen und seit den Wirren der 60er-Jahre mit
Ritualen und Tabus an alte Geheimbundtraditionen anknüpfen, verboten früher
sexuellen Kontakt: Frauen sind unrein, Kinder rein, weshalb ein Krieger
keine Frau anschauen soll, Kinder dagegen die besten Kämpfer sein können.
Inzwischen aber nutzt jede Kriegspartei im Ostkongo, ob lokale Stammesmiliz
oder nationale Armee, Vergewaltigung als Zeichen der Macht und als Mittel
der Einschüchterung. Und die Mehrheit der sexuellen Kriegsverbrechen in
Kivu, darüber sind sich alle Untersuchungen einig, werden von Hutu-Milizen
aus Ruanda begangen. Sie waren dort 1994 die Haupttäter des Genozids an
rund 800.000 Menschen, zumeist Tutsi, flohen nach dem Zusammenbruch ihres
Regimes in den Kongo und kämpften dort jahrelang aufseiten der Regierung
gegen ostkongolesische Rebellen. Heute werden sie vom Staat nicht mehr
gebraucht, und so errichten sie ihren eigenen Staat im Staate, mit der
Kontrolle über Gold- und Zinnminen, Trainingslagern im Wald, Steuererhebung
auf Märkten und Straßen und einem eindrucksvollen Waffenarsenal. Politisch
als FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) organisiert, regieren
ihre Führer im kongolesischen Exil mit denselben Terrormethoden, die sie
früher in Ruanda anwandten. Ein Großteil ihrer einfachen Kämpfer ist zwar
zu jung, um aktiv am Völkermord von 1994 teilgenommen zu haben, aber die
Führungsebene kommt noch aus dieser Zeit oder wurde von
Völkermordverantwortlichen herangezogen.
Die sexuellen Kriegsverbrechen im Kongo sind somit als Fortsetzung des
Völkermords in Ruanda zu verstehen. 60 Prozent der registrierten
Vergewaltigungen in der Provinz Südkivu wurden laut Erhebungen von den
ruandischen Hutu-Milizen begangen. Es ist eine durchaus an- und abstellbare
Strategie, wie der niederländische Wissenschaftler Hans Romkema feststellt,
der die Milizen vor Ort erforscht hat. "Die FDLR hat eine Hierarchie. Wenn
es einen vernünftigen lokalen Kommandanten gibt, wird Vergewaltigung oft
bestraft."
Weil viele FDLR-Kommandanten in Kivu früher auch in Kongos Regierungsarmee
gedient haben, verwundert es kaum, dass Kongos Regierung jetzt nichts gegen
sie tut. Zudem sind auch Regierungssoldaten für sexuelle Kriegsverbrechen
verantwortlich. Die einzige Gruppe Ostkongos, die sich den Kampf gegen die
ruandischen Hutu-Milizen auf die Fahnen schreibt, sind die kongolesischen
Tutsi-Rebellen des abtrünnigen Armeegenerals Laurent Nkunda. Doch
international gilt Nkunda mehr noch als die FDLR als Haupthindernis für den
Frieden im Kongo.
Es ist ein Skandal: Die internationale Gemeinschaft, die ihre Untätigkeit
während des Völkermords in Ruanda heute gerne öffentlich bedauert, bleibt
angesichts der im Kongo aktiven Nachfolger der Völkermörder tatenlos. Die
UNO im Kongo setzt weiter auf das Konzept "freiwilliger" Repatriierung der
Milizen nach Ruanda. Sie hat damit seit 2001 zwar 6.715 FDLR-Kämpfer aus
dem Kongo entfernen können, aber der harte Kern aus 3.000 bis 7,000 Mann
bleibt, und je kleiner er wird, desto terroristischer übt er seine
Herrschaft aus. Rund die Hälfte der beiden Kivu-Provinzen steht laut
Romkema unter direkter oder indirekter Kontrolle der FDLR sowie lokaler
Frontmilizen. Und ein mit UN-Sanktionen belegter Führer der Organisation
lebt als anerkannter politischer Flüchtling in Deutschland und klagt
derzeit gegen seine Ausweisung.
Die sexuellen Kriegsverbrechen im Ostkongo als politisch-militärische
Strategie benennbarer Täter zu verstehen - dies wäre die Grundvoraussetzung
dafür, etwas dagegen zu tun. Die Freunde der Völkermörder haben das
schneller verstanden als die internationale Gemeinschaft. Einschlägige
Kreise, die den Völkermord von 1994 in Ruanda entweder leugnen oder dafür
alle Welt verantwortlich machen außer die Täter selbst, verbreiten derzeit
Apologien zum sexuellen Terror im Ostkongo. Einer klagt, die USA hätten die
UNO dazu gezwungen, Vergewaltigung als Tatbestand vor
Kriegsverbrechertribunalen aufzunehmen. Ein anderer versucht, die
Frauenhelferin Christine Schuler-Deschryver durch Hinweis auf ihre
Teilherkunft aus einer belgischen Siedlerfamilie im Kongo ins Zwielicht zu
rücken und dadurch, dass sie und ihr Mann für die deutsche GTZ arbeiten -
wo doch Deutschland als Abnehmer von Mineralien aus Ostkongo mitschuldig
sei.
Es sind hilflose, aber konzertierte Versuche, die politische Komponente des
sexuellen Terrors im Kongo zu diskreditieren. Denn den Völkermordapologeten
bleibt nicht viel Zeit. Diesen Monat einigten sich die Regierungen Kongos
und Ruandas mit UNO, USA und EU darauf, bis zum 1. Dezember einen Plan zur
gewaltsamen Zerschlagung der Milizen im Ostkongo zu entwerfen. Ob danach
wirklich etwas geschieht, hängt vom Druck der internationalen
Öffentlichkeit ab. Diese muss endlich die Grausamkeiten an Kongos Frauen
als lösbares Problem begreifen - und nicht als bedauerliches kulturelles
Phänomen.
23 Nov 2007
## AUTOREN
Dominic Johnson
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