# taz.de -- Rossana Rossanda über das Erbe von "1968": "Das Kapital war kühne… | |
> 1968 gab es die Möglichkeit die Arbeiterbewegung und die Revolte zu | |
> verbinden. Doch dieses Projekt scheiterte - der Graben zwischen den | |
> Generationen war zu tief, so Rossana Rossanda, Kommunistin und Gründerin | |
> von "il manifesto". | |
Bild: Rossana Rossanda: Tochter des 20. Jahrhunderts | |
taz: Frau Rossanda, im Vorwort zu Ihrer Autobiographie schreiben Sie, dass | |
Sie sich der Frage stellen möchten, warum Sie Kommunistin wurden und sich | |
bis heute als eine solche verstehen. Warum endet Ihre Selbstbefragung im | |
Jahr 1969? | |
Rosana Rossanda: 1943 war ich zuerst Aktivistin, wurde dann zur | |
Funktionärin, Stadträtin, Abgeordneten und für mindestens zehn Jahre lang | |
war ich auch Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei | |
Italiens (KPI). Über diese Zeit wollte ich Rechenschaft ablegen. Heute | |
werden über diese Partei zu viele Unwahrheiten und Dummheiten gesagt. Ich | |
bereue nicht, Teil von ihr gewesen zu sein. Die KPI hat einen wesentlichen | |
Beitrag zum demokratischen Wiederaufbau Italiens geleistet. Als ich mit der | |
Politik der KPI nicht mehr einverstanden war, bin ich gemeinsam mit anderen | |
Genossen in den offenen Konflikt gegangen. Dafür sind wir dann 1969 aus der | |
Partei ausgeschlossen worden. | |
Nach 1969 waren Sie als führendes Mitglied der Gruppe um die Zeitung "Il | |
Manifesto" weiterhin an vorderster Front politisch aktiv. Welche Bedeutung | |
hatte dieses Engagement für Ihre kommunistische Identität? | |
Fragen der Identität interessieren mich nicht besonders. "Il Manifesto" hat | |
versucht, eine marxistische Analyse für die Epoche zu aktualisieren, die | |
mit 1968 anzubrechen schien. Wir waren nicht die einzigen, die das versucht | |
haben, aber niemandem ist es wirklich gelungen. | |
Warum nicht? | |
Abgesehen von unseren individuellen Unzulänglichkeiten, war es | |
wahrscheinlich zu spät. Die Restaurationsprozesse, die dann als | |
Globalisierung und Neoliberalismus manifest wurden, waren schon im Gange. | |
Die entscheidende Phase des Konfliktes war in Wirklichkeit bereits an ihr | |
Ende gelangt. Das Kapital ist kühner und innovativer als wir gewesen. | |
Sie schreiben, dass Il Manifesto eine Brücke zwischen den jungen Ideen der | |
68er und der Weisheit der alten Linken schlagen wollte - und damit | |
gescheitert ist. Warum glauben Sie, dass dieses Projekt schief gegangen | |
ist? | |
Die Generation der 68er hatte den Elan mit Althergebrachtem zu brechen. Sie | |
verfügte aber über keine eigene politische Kultur. Die KPI war dagegen | |
Trägerin einer langen politischen Tradition, allerdings hatte sie jeden | |
Willen zur gesellschaftlichen Veränderung verloren. Ich denke, dass | |
zwischen dieser politischen Kultur der Arbeiterbewegung mit ihrer Erfahrung | |
schrecklicher historischer Tragödien einerseits und den Bedürfnissen der | |
Jungen andererseits ein Dialog hätte stattfinden können, sollen. Es kam | |
nicht dazu. Der Gap zwischen den Generationen war zu groß. Die | |
traditionelle Linke hat uns ausgeschlossen, während die neuen Bewegungen | |
fanden, dass wir zu vorsichtig und rational waren. | |
Was bleibt denn als Erbe von "1968"? | |
"1968" hat die Frage eines möglichen Bruchs mit der Überflussgesellschaft | |
aufgeworfen. Die kommunistischen Parteien und die linken Gewerkschaften | |
konnten dem Druck, der von den neuen sozialen Bewegungen, den | |
technologischen Innovationen und der kapitalistischen Neuorganisation der | |
Arbeit ausging, nicht mehr Stand halten. Gleichzeitig spitzte sich die | |
Krise der so genannten Realsozialismen zu. Die meisten politischen | |
Organisationen und Formationen der historischen Linken des 19. und 20. | |
Jahrhunderts sind innerlich kollabiert und haben sich nicht mehr davon | |
erholen können. | |
Der linke Terrorismus ist eine einschneidende historische Erfahrung, die | |
die Bundesrepublik mit Italien gemeinsam hat. Die Manifesto-Gruppe hat sich | |
damals eindeutig von den Brigate rosse distanziert. | |
Ich glaube nicht, dass dies eine wichtige gemeinsame Erfahrung gewesen ist. | |
Unsere beiden Länder haben weitaus Wichtigeres zwischen 1920 und 1945 | |
geteilt. Später trennten sich ihre Geschichten. Weder die RAF noch die BR | |
haben je für die Bundesrepublik oder Italien eine ernsthafte Bedrohung | |
dargestellt. Das ist heute eine Scheindebatte, um von wichtigeren Problemen | |
abzulenken. In einem modernen, komplexen und von einer globalisierten | |
Wirtschaft determiniertem Staat macht es keinen Sinn, einen seiner | |
Vertreter zu töten - auch nicht wenn es der Vorsitzende der größten Partei | |
ist, wie es Aldo Moro in Italien war. Das System bleibt davon unberührt. | |
Eine solche Tat trifft nur das soziale Imaginäre. Und bis heute liefert es | |
der Repression gute Argumente. Es ist aber falsch von RAF und BR als | |
Terroristen zu sprechen.Terrorismus will der Bevölkerung Angst einjagen. | |
Das waren weder Methode noch Ziel von RAF und BR. Die wahren Terroristen | |
waren im Italien der 70er Jahren die faschistischen Gruppierungen: Sie | |
haben Blutbäder angerichtet. Heute ist es die islamische Dschihad. | |
Die Frage, die RAF und Brigate rosse auch heute noch aufwerfen, ist die | |
nach der Legitimität von Gewalt als Mittel von Widerstand oder Subversion? | |
Nein. Warum denn auch? Wo sind denn heute in der westlichen Welt subversive | |
oder gar bewaffnete Gruppierungen? Wo sind denn die, die eine Revolution | |
graduell und mit friedlichen Mitteln bewirken wollten? Heute dominiert doch | |
die Vorstellung, dass das kapitalistische System das best mögliche ist. | |
Auch die Revolution kann nicht mehr wie im 19. oder Anfang des 20. | |
Jahrhunderts gedacht werden. | |
Wie sollten wir mit der politischen Gewalt der 70er Jahre umgehen? | |
Ich bin für eine Amnestie. Die würde inzwischen nur ein paar in die Jahre | |
gekommene Männer und Frauen nach jahrzehntelanger Haft oder Exil in die | |
Freiheit entlassen. An ihren Taten ist nichts mehr, das noch aufgeklärt | |
werden müsste. Man will aber nicht anerkennen, dass sie ein marginales | |
Phänomen einiger exaltierter und verzweifelter Strömungen der Linken waren. | |
Die einzigen Geheimnisse, die es in Italien gibt, sind die der Regierung | |
während der Moro-Entführung. Der Großteil der Regierung hatte nämlich kein | |
Interesse an Moros Befreiung. Das hat sogar der damalige Innenminister und | |
spätere Präsident der Republik Francesco Cossiga zugegeben. | |
Vor kurzem hat die größte Nachfolgepartei der KPI, die Democratici di | |
Sinistra, sich selbst aufgelöst, um mit Sozialliberalen und ehemaligen | |
Christdemokraten zu einer neuen Demokratischen Partei zu fusionieren. Sie | |
sagen, dass es einer großen Partei bedarf, um ein Land zu verändern. Gilt | |
dieser Satz auch für die Gegenwart? | |
Das Partito democratico will nicht mal mehr eine sozialdemokratische, | |
sondern eine Partei im Stile Clintons oder Kennedys sein. Die Ideen und die | |
Organisationen der Linken sind in die Brüche gegangen. Die sozialistischen | |
und kommunistischen Parteien waren nicht wie die anderen Parteien. Sie | |
verfügten über eine viel stärkere Organisation und eine engagiertere Basis. | |
Sollten der Triumphzug des Neoliberalismus irgendwann ein Ende haben, und | |
sollte dann in einem westlichen Industriestaat wieder eine Linke entstehen, | |
dann wird diese, im Vergleich zu den alten Parteien, komplexere politische | |
Lösungen entwickeln und sich auch eine feingliedrigere Organisation geben | |
müssen. Eine Organisation, in der sich unterschiedliche politische Subjekte | |
artikulieren können und sollen. Das wird nicht einfach sein. | |
INTERVIEW: JESSICA KRAATZ-MAGRI | |
27 Nov 2007 | |
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